
Lazarus-Phänomen wahrscheinlich häufiger als dokumentiert
Spontane Herzaktivität nach erfolglosen Reanimationsversuchen: Das ist wohl nicht so selten wie vermutet. Jeder Siebte überlebt dies ohne neurologische Schäden.
Lesedauer: ca. 3 Minuten

Autorin: Nicola Siegmund-Schultze | Redaktion: Marc Fröhling
Kernbotschaften
Die spontane Rückkehr der Herzfunktion nach Herzstillstand (EKG-Nulllinie) und erfolglosen Versuchen einer kardiopulmonalen Reanimation ist wahrscheinlich häufiger als vermutet: Es besteht eine Untererfassung des Lazarus-Phänomens, auch aus forensischen Gründen. Das ergibt ein Review von Fallbeschreibungen und Befragungen von Intensivmedizinern. Bei den dokumentierten Fällen überlebte knapp jeder dritte Patient das Lazarus-Phänomen. Bei 14 % blieben keine neurologischen Schäden zurück. Die Forscher regen an, die Zeit des EKG-Monitorings nach Herzstillstand von den üblichen 10 Minuten auf mindestens 30 Minuten zu verlängern und das Lazarus-Phänomen in der Ausbildung stärker zu berücksichtigen.
Lazarus-Phänomen: Das steckt dahinter
Die sogenannte Selbstreanimation (englisch: autoresuscitation), auch Lazarus-Phänomen genannt, ist ein spontanes Wiederauftreten der Herzaktivität nach erfolglosen Versuchen der kardiopulmonalen Reanimation durch qualifizierte Personen. Kasuistiken werden seit 1982 beschrieben.1 Schon der erste dieser Fälle, eine 68jährige mutlimorbide Patientin mit Asystolie und neurologischen Todeszeichen, führte zu Irritationen beim ärztlichen und pflegerischen Personal: Die Patientin atmete und bewegte sich spontan 20 Minuten nach Extubation und Einstellen aller anderen medizinischen Maßnahmen und wurde 2 Tage später ohne erkennbare neurologische Defizite aus der Klinik entlassen.1 Danach gab es immer wieder Berichte.2 Ein Team von Ärzten in Griechenland, den USA und Deutschland hat die international publizierten Fälle und Umfragen nun erneut bewertet.3
Immer wieder wird von Fällen berichtet, in denen Patienten mit Herzstillstand nach Beendigung der Reanimationsmaßnahmen einen Spontankreislauf zurückerlangen. Ein aktueller Review hat das Phänomen untersucht. Zum Beitrag >>
Design
Sichtung der internationalen wissenschaftlichen Datenbanken nach Beobachtungsstudien, Fallbeschreibungen und Research Letters zu Patientinnen und Patienten mit mindestens einer Episode von Selbstreanimation nach erfolglosen Reanimationsmaßnahmen.
Hauptergebnisse
- Es wurden 66 den Qualitätskriterien entsprechende Publikationen mit 76 Fällen eines Lazarusphänomens analysiert.
- Die Mehrzahl der Fälle (58 %) ereignete sich im Krankenhaus.
- Die Reanimationsversuche waren für median 30 Minuten erfolgt.
- Die häufigsten Befunde des initialen Herzstillstands waren Asystolie (29 %), elektrische Aktivität des Herzens ohne Puls (28 %) und Kammerflimmern (22 %).
- Die mediane Zeit zwischen der Beendigung der Reanimationsversuche und dem spontanen Wiederauftreten von Lebenszeichen (Lazarus-Phänomen) betrug 5 Minuten.
- Die zeitliche Variationsbreite war hoch: von weniger als 1 Minute bis zu 20 Minuten, in einem Fall auch 240 Minuten.
- 68 % der Patientinnen und Patienten mit Lazarus-Phänomen starben (52/76) und 32 % (24/76) überlebten.
- 11 der 76 Patienten (14,5 %) überlebten das Lazarus-Phänomen ohne neurologische Defizite und die übrigen überlebten mit moderaten oder schweren neurologischen Einschränkungen.
- Bei respiratorischer Komorbidität war die Sterblichkeit höher als bei Patienten ohne Atemwegsvorerkrankungen.
- Zur Frage der Erfassung des Lazarusphänomens berücksichtigten die Autoren eine Umfrage unter 103 Intensivmedizinern von 2013 in Frankreich. Diese ergab, dass jeder zweite Arzt schon in der praktischen Tätigkeit mit dem Lazarus-Phänomen zu tun hatte.4
Größere Beachtung in medizinischer Ausbildung gefordert
Das Lazarus-Phänomen ist nach Einschätzung der Autoren nicht so selten wie bislang angenommen, die vorliegenden Berichte weisen auf ein deutliches "underreporting" hin. Deshalb sollte es in der Ausbildung der Mediziner größere Bedeutung bekommen.
Da die Erfolglosigkeit professioneller Reanimationsversuche als objektive Behandlungsgrenze gelte, seien die Ärzte häufig zurückhaltend mit Berichten über das Lazarus-Phänomen, auch aus forensischen Gründen. Das Autorenteam empfiehlt, nach Beendigung der Wiederbelebungsmaßnahmen das Monitoring noch für mindestens 30 Minuten fortzusetzen.3
Bei der Organspende nach Kreislaufstillstand (Donation after Circulatory Determination of Death), wie sie in Deutschland derzeit nicht erlaubt ist, aber immer wieder gefordert wird, beträgt die so genannte „No-Touch-Zeit“ unter Echokardiografie nach der Asystolie 5-10 Minuten. Nach dieser Zeit kann der Patient füt tot erklärt werden, auch ohne gesonderte Hirntoddiagnostik.5 In Deutschland ist die Hirntoddiagnostik und ein damit festgestellter Hirntod Voraussetzung für die Organspende.
Dieser Beitrag ist im Original auf Univadis.de erschienen.