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Klinik-Wissen kompakt

21. Feb. 2023

Als Arzt Konflikte mit Angehörigen vermeiden

Konflikte auf der Intensivstation treten meist auf, wenn Entscheidungen am Lebensende unter erheblichem Zeitdruck getroffen werden müssen. Wie Konflikte zwischen Zu-/Angehörigen und dem Behandlungsteam vermieden werden können, fasst Prof. Uwe Janssens (Eschweiler) zusammen.

Lesedauer: ca. 5 Minuten

Ärztin im Gespräch mit männlicher Person
Kommunikation ist von überragender Bedeutung, um Konflikte zwischen Behandlungsteam und Zu-/Angehörigen zu vermeiden. Symbolbild (Foto: Dreamstime.com | Alexander Raths)

Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag von Prof. Dr. med. Uwe Janssens (Eschweiler) auf der DIVI2022: „Therapielimitierung: Konflikte zwischen Angehörigen und Ärztinnen/Ärzten“ | Autorin: Dr. Linda Fischer

Laut Prof. Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler, passieren weitaus mehr Konflikte auf der Intensivstation zwischen dem Behandlungsteam und den Zu-/Angehörigen, als mit dem Patienten oder der Patientin selbst. Dass diese Konflikte v. a. bei Patientinnen und Patienten mit längerer Behandlungsdauer (18 ± 15 Tage) auf der Intensivstation ein großes Thema sind, ist durch Studien belegt.1–7

Voraussetzung für Therapiezieländerung: keine Indikation, Patientenwille

Eine Therapiezieländerung erfolgt laut Janssens grob umrissen, wenn…

  • ein sinnvolles, patientenzentriertes Therapieziel nicht mehr zu erreichen ist,
  • keine ärztliche Indikation (mehr) gegeben ist oder
  • der Patientenwille die Weiterbehandlung nicht (mehr) deckt.

Zu-/Angehörige in ganzen Entscheidungsprozess einbeziehen

Laut Janssens sind die Zu-/Angehörigen sowohl bei einwilligungsfähigen als auch bei nicht einwilligungsfähigen Patientinnen und Patienten an jedem Punkt im Entscheidungsprozess zur Durchführung ärztlicher Maßnahmen wichtig.8

Janssens' Meinung: Eine PV helfe zwar nicht in jedem Einzelfall weiter, sie sei aber ein starkes Signal, das „irgendwann einmal gesetzt worden ist“ und könne die Diskussion mit Zu-/Angehörigen deutlich erleichtern.

Problematisch sei es, wenn die PV von den entscheidenden Ebenen (Oberärztinnen, Oberärzte, Zu-/Angehörige) unterschiedlich interpretiert würde: Während An-/Zugehörige die PV oft eher wortwörtlich anwenden, würden Ärztinnen und Ärzte der Intensivmedizin die PV mehr sinngemäß interpretieren, erklärt Janssens. Die PV ist also nicht immer konkret anwendbar, da sie z. B. sehr breit gefasst ist.9

Unsicherheit bei Angehörigen vermeiden: Behandlungsplan im Vorfeld klären

Seitens des Behandlungsteams sei in Gesprächen immer zu berücksichtigen, dass stellvertretende Zu-/Angehörige verunsichert sein können, beispielsweise durch mangelhafte Kommunikation mit ihnen oder fehlende Erfahrung als stellvertretende Person. Gab es kein vorangegangenes Gespräch mit dem Patienten oder der Patientin, erhöhte sich das Risiko für Unsicherheit bei den Zu-/Angehörigen in einer älteren Studie am meisten (OR 3,68).10

Janssens plädiert dafür, im Vorfeld wichtige Dinge in Gesprächen für den Behandlungsplan abzuklären: Was soll gemacht werden, was nicht? Denn nicht selten liegen dazu nur geringfügig Übereinstimmungen zwischen Patientin oder Patient und stellvertretender Person vor.11

Bei Gesprächen zu Entscheidungsprozessen sei zudem zu berücksichtigen, dass ein nicht unerheblicher Teil der entscheidenden Zu-/Angehörigen negative emotionale Effekte (Angst, Depression, komplexe Trauer) für Monate oder Jahre erfährt. Mögliche Gründe: Unsicherheiten über Präferenzen des Patienten oder der Patientin, unsichere Prognose, schlechte Kommunikation und Konflikte mit den Ärztinnen und Ärzten, unzureichende Zeit für eine Entscheidung und Schuldgefühle.12–14

Angehörigenbesprechung: Patientenpräferenzen rechtzeitig ansprechen

Daher gehöre definitiv zu den ärztlichen Aufgaben, im Rahmen der Angehörigenbesprechung, die Patientenwünsche und -präferenzen und Werte z. B. bezüglich Autonomie und Unabhängigkeit, emotionalem Wohlbefinden, Körper- und kognitiven Funktionen und Spiritualität rechtzeitig anzusprechen.15

Zentrum der Konfliktlösung: Kommunikation

Janssens rät dazu, die Erwartung der Zu-/Angehörigen zu ergründen, genauso wie deren Haltung zum Leben und Sterben, soziale und kulturelle Hintergründe und finanzielle Ressourcen. Ähnliches gilt es zu dem Patienten oder der Patientin in Erfahrung zu bringen: Gibt es chronische oder akute Krankheiten, wie sind der kulturelle und religiöse Hintergrund, gibt es eine Vorausverfügung, wie ist der sozioökonomische Status?16

  • Janssens' Tipp: Den Hausarzt oder die Hausärztin kontaktieren. „Diese/r kann unheimlich viele Dinge von den Patienten erzählen, die Sie sonst nie herausfinden.“
  • Und: Elementar wichtig sind Besprechungsräume, um diese essenziellen Gespräche führen zu können.

10 Strategien in der Kommunikation mit Zu-/Angehörigen

  • zuhören
  • Vertrauen zählt
  • keine Überraschungen (Zu-/Angehörige über Vorgänge am Patienten oder an der Patientin informieren)
  • keine Alleingänge (einheitliche Kommunikation der zentralen Inhalte)
  • Zeit nehmen
  • einfache Sprache
  • keine Zahlenspiele mit Überlebenswahrscheinlichkeiten
  • auch selbst Emotionen/Betroffenheit zeigen
  • aktiv zuhören: Zu-/Angehörige sprechen lassen
  • weiteres Vorgehen zusammen planen17

Neben SPIKES (s. Tab. 2 in Welsch und Gottschling)18,19 kann VALUE20 eine enorme Hilfe bei der Gesprächsführung sein:

  • Value: Wertschätzung und Anerkennung der Fragen von Familienangehörigen
  • acknowledgement: Emotionen der Zu-/Angehörigen anerkennen
  • listen: zuhören
  • understand: Fragen zur Person und Persönlichkeit des Patienten oder der Patientin stellen, um sich ein besseres Bild machen zu können
  • elicit: Zu-/Angehörige zu Fragen ermutigen

Dass mit derartigen Konzepten tatsächlich Angst, Depression und die Einnahme psychotroper Medikamente bei den Zu-/Angehörigen verringert werden können, zeigt eine „Landmark“-Studie20 – allein durch gute Kommunikation und das Bekunden von Interesse seitens des Behandlungsteams.

Dass eine vorausschauende Kommunikation auch mit den Patientinnen und Patienten selbst wichtig ist, verdeutlichen Studienergebnisse zu Entscheidungen am Lebensende: Wurden stellvertretende Personen eingesetzt, ohne vorher miteinander gesprochen zu haben, wurde signifikant häufiger beatmet (56,6 vs. 23,2 %), künstlich ernährt (45,7 vs. 25 %), chemotherapiert (39,1 vs. 5,4 %) und intensiv behandelt (56,6 vs. 23,2 %), im Vergleich zu selbst entscheidenden Patientinnen und Patienten. Ärztinnen und Ärzte sollten also auf klare Gespräche über den Willen des Patienten oder der Patientin drängen, folgert Janssens.

Zeitlich begrenzter Therapieversuch: Kompetenzen zu Gesprächen schulen

Ein zeitlich begrenzter Therapieversuch beschreibt eine Vereinbarung zwischen dem Behandlungsteam und den Patientinnen und Patienten bzw. den Zu-/Angehörigen zum Einsatz einer genau festgelegten Therapie über einen bestimmten Zeitraum. Tritt innerhalb dieses Zeitraums eine Verschlechterung ein oder bleibt der Zustand unverändert schlecht, wird eine Therapiezieländerung vorgenommen und die Behandlung palliativ ausgerichtet.

Werden die Behandlungsteams zu Schlüsselkompetenzen der Angehörigenbesprechung gezielt geschult, können viele wichtige Kernelemente der Gesprächsführung deutlich verbessert werden. Das zeigen Daten einer Studie von 2021.

Dazu zählte z. B. Krankheitszustand (97,7 auf 100 %), Prognose (79,1 auf 100 %) und Risiko/Nutzen zu erläutern (34,9 auf 94,9 %), auf ethische Werte und Präferenzen einzugehen (46,5 auf 98,3 %), und Empfehlung für nächste Schritte zu geben (41,9 auf 96,6 %). Die Folge waren mehr DNR-Order (Do-not-resuscitate, keine Wiederbelebungsmaßnahmen), bei gleichbleibender Krankenhaus-Sterblichkeit.21

Kommunikationsmoderation einsetzen

Janssens empfiehlt zudem den Einsatz von Kommunikationsmoderatorinnen und -moderatoren, die die Zu-/Angehörigen sinnvoll begleiten. In einer Studie kam es durch sie zu einer verkürzten Liegedauer auf der Intensivstation der verstorbenen Patientinnen und Patienten von im Schnitt 28,5 Tagen auf 7,7 Tage. Auch die generelle Krankenhausliegedauer verkürzte sich von 31,8 auf durchschnittlich 8 Tage.22

Umgang mit Forderungen nach ungeeigneten Behandlungen

Hier empfiehlt Janssens folgendes:

  • Der Betriff „potenziell ungeeignet“ sollte anstelle von „nutzlos“ verwendet werden.
  • Klinikerinnen und Kliniker sollten den Behandlungsplan, den sie für angemessen halten, kommunizieren und dafür einstehen.23
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