Erfahrungen einer jungen Chefärztin
Dr. Anna Jacob leitet seit 2021 gemeinsam mit 2 Kolleginnen die Gynäkologie an der Asklepios Klinik Wandsbek in Hamburg. Im Interview spricht die Chefärztin über besonders herausfordernde Themen und erklärt, was sie an ihrer Position besonders schätzt und welche Fähigkeiten für eine Chefarztposition aus ihrer Sicht essenziell sind.
Lesedauer: ca. 6 Minuten

Interview und Redaktion: Dr. Linda Fischer
Wie sieht Ihr bisheriger beruflicher Werdegang aus?
Ich habe im Dezember 2010 meine Facharztausbildung in der Asklepios Klinik in Altona begonnen. Dort bin ich auch Fachärztin geworden und habe mich in den folgenden Jahren bis zur leitenden Oberärztin der speziellen Gynäkologie hochgearbeitet. Im April 2021 habe ich mit meinen Kolleginnen die Chefarztposition in Wandsbek angetreten.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Welchen Einfluss hatte die Covid-19-Pandemie?
Morgens um 7:30 Uhr beginnt der Tag mit unserer Frühbesprechung. Je nach Aufteilung geht es dann weiter in den OP, in die Sprechstunde oder zur Visite. Gelegentlich gibt es auch Bürotage, sodass Administratives abgearbeitet werden kann. Zu dieser Zeit ist man meist für das Team Ansprechpartner für komplizierte Fälle oder aufwendige Planungen. Die Pandemie hat uns gelegentlich das OP-Programm etwas durcheinandergewürfelt, massive Änderungen am Arbeitsalltag gab es aber nicht.
Welche Voraussetzungen sind für die Chefarzt-Position notwendig?
Vor allem der Wille, Chefin zu sein – mit allem, was dazu gehört. Es ist viel Arbeit, man wird nie alle glücklich machen, muss es aber trotzdem prinzipiell wollen und versuchen. Einerseits ist es meiner Ansicht nach wichtig, gern und geschickt mit Menschen umzugehen, mit Chefarztkolleginnen und -kollegen, der Geschäftsführung, Assistentinnen und Assistenten und natürlich auch mit den Patientinnen. Andererseits ist man auch für die Organisation und Wirtschaftlichkeit einer Abteilung verantwortlich. Man muss gestalten wollen, sich mit der eigenen Abteilung identifizieren und hartnäckig und resilient sein – die Dinge ändern sich nämlich nur langsam.
Wie ist das finanzielle Einkommen als Chefärztin?
Chefarztgehälter werden individuell verhandelt, daher ist die Spanne immens. Natürlich wird man als Chefärztin nie zu den Armen gehören, die Zeiten des ganz großen Geldes sind im Krankenhaus aber weitestgehend vorbei. Ein paar alte Chefarztverträge laufen noch aus, die neue Generation erhält aber nicht mehr die alten Konditionen.
Wie klappt die Zusammenarbeit mit älteren Kolleginnen und Kollegen oder männlichen Kollegen, die Ihnen unterstehen?
Ältere Kolleginnen und Kollegen haben meiner Erfahrung nach nur selten Probleme damit, dass eine Jüngere Chefin ist. Häufig haben sie sich im Laufe ihrer Karriere aktiv dagegen entschieden, selbst Chefärztin oder Chefarzt zu werden. Und auch hier muss man realistisch und klug sein; ich bin keine bessere Ärztin, nur weil ich Chefin bin, auch nicht klinisch erfahrener, ich habe mir lediglich gewünscht, eine Abteilung zu leiten. Das heißt nicht, dass man nicht gern ältere Kolleginnen und Kollegen zurate zieht.
In unserem Fach gibt es kaum Männer, deshalb ist es nicht leicht sich ein Bild zu machen, ich darf aber vielleicht sagen, dass einige Männer, mit denen ich gearbeitet habe, es nicht ganz einfach fanden, sich nach Vorgaben (jüngerer) Frauen zu richten.
Was würden Sie gerne verbessern? Wo sehen Sie Stärken, wo Schwächen in der Tätigkeit als Chefärztin?
Das ist eine schwierige Frage, zumal sich aktuell so viel verändert. Mir persönlich erschwert es die Arbeit, dass die verschiedenen Bereiche im Krankenhaus inzwischen komplett getrennt organisiert sind. Ich habe keinen echten Einfluss auf die anderen Berufsgruppen, z. B. die Pflege oder das Büropersonal. Meinem Empfinden nach, fällt es so schwerer, ein gutes Team auszuwählen und ein gutes Teamgefühl zu erzeugen.
Gibt es etwas, das Sie anders angehen würden, als Ihre Vorgängerinnen und Vorgänger? Welche Tipps haben Sie für junge Chefarzt-Anwärter/-innen?
Ich glaube, dass die alten Hierarchien der Vergangenheit angehören. Wie in allen Bereichen können wir auch in Ärzteteams mehr von der Gruppe profitieren. Jeder hat eigene Talente, Erfahrungen und Interessen, die eingebracht werden können und sollten, um gemeinsam weiterzukommen. Medizin ist nie schwarz/ weiß – auch die Patientinnen profitieren von unseren unterschiedlichen Fähigkeiten und Erfahrungen. Als Chef muss man dann natürlich aushalten können, nicht das Maß aller Dinge zu sein.
Welchen Vorteil hat die Arbeit als Chefärztin?
Die Chefarztposition ist etwas für diejenigen, die Spaß daran haben, Dinge neu zu denken und zu gestalten. Ich empfinde es als Vorteil, Abläufe zu hinterfragen und zu optimieren, die Arbeit angenehmer für alle zu machen, für die Patientinnen den „optimalen Krankenhausbesuch“ zu erdenken und umzusetzen. Auch das Wissen darum, wie Krankenhausarbeit wirtschaftlich möglich ist, ist durchaus spannend. Das sind die Vorteile der Führungsposition. Egal in welcher Konstellation, wird diese immer mehr Arbeit mit sich bringen, aber vielleicht auch ein bisschen mehr Flexibilität und im besten Fall weniger Nachtdienste.
Sie teilen sich die Position mit 2 Kolleginnen: Wie kam es dazu und was schätzen Sie daran? Wo gibt es Schwierigkeiten?
Wir haben es uns aktiv so ausgesucht. Es war keine Stelle für ein Führungsteam ausgeschrieben und wir wurden auch nicht angefragt. Wir drei haben schon lange miteinander gearbeitet, kennen das Tempo und Arbeitsethos der jeweils anderen und wissen, dass wir gut miteinander funktionieren. Als wir dann irgendwann alle leitende Oberärztinnen in verschiedenen Kliniken waren, haben wir uns naturgemäß gefragt, wie es weitergehen soll. Alleine wollte keine von uns Chefärztin sein. Nicht nur wegen des Arbeitspensums, sondern weil es uns auch nicht zeitgemäß erschien, dass eine Person an der Spitze für alles steht, für die komplette Bandbreite unseres Fachs. Wir haben uns bei Asklepios mit einem Konzept beworben und man hat uns eine Klinik angeboten.
Die Vorteile des Teams sind unserer Ansicht nach unermesslich: Wir teilen uns die administrativen Aufgaben - je nach Neigung und Interessen - dabei lerne ich jeden Tag von meinen Kolleginnen, wir können uns fachlich auf Augenhöhe besprechen und tun das auch regelmäßig, wir sind für unser Team jederzeit und auf kurzem Wege ansprechbar, ist eine im Urlaub, sind die anderen nach wie vor für die Klinik verfügbar und so weiter … wir würden es immer wieder so machen.
Schwierigkeiten im eigentlichen Sinne gibt es bisher nicht. Natürlich dauert es mal länger, wenn man sich zu dritt bespricht, statt allein zu entscheiden, aber das empfinden wir nicht als Nachteil.
Welche Themen erachten Sie als Chefärztin als besonders herausfordernd?
Tatsächlich gibt es da ein Thema, das mich persönlich sehr umtreibt. Dieses heißt New Work/ Generation Y. In einer Umgebung wie dem Krankenhaus dieser Generation das zu bieten, was sie sich wünscht, empfinde ich als extreme Herausforderung. Da wir Flexibilität, Homeoffice und geregelte Arbeitszeiten kaum bieten können, bin ich immer bemüht, ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, wie sinn- und wertvoll unsere Arbeit ist und den jungen Kolleginnen und Kollegen so „Sinn“ zu vermitteln. Ich hoffe, das gelingt mir. So abgedroschen es klingt, ich glaube Arzt sein ist nur mit einer ordentlichen Portion Leidenschaft zu bewältigen. Diese gerät leider zurzeit in Vergessenheit … oder sogar in Verruf.
Sind Beruf und Familie(nplanung) als Chefärztin vereinbar und wenn ja, wie?
Aktuell bin ich in Elternzeit, muss also die Frage ganz klar mit Ja beantworten. Dies ist aber nur deshalb so (halbwegs) entspannt möglich, weil meine Kolleginnen in der Klinik die Stellung halten. Wir sind alle unterschiedlich alt, kommen uns also mit der Familienplanung auch nicht in die Quere. Natürlich ist es aktuell stressiger in der Klinik als sonst, aber ich habe niemals das Gefühl die Abteilung im Stich gelassen zu haben, weil ja Chefärztinnen vor Ort sind.
Durch unsere Team-Struktur teilen wir uns auch Hintergrundbereitschaften, so dass jede auch oft genug entspannt bei der Familie sein kann, ohne immer das Telefon im Blick zu haben.
Wenn Sie mich nach Tipps fragen, wie das gelingen kann, ist also der Schlüssel ganz klar das Führungsteam.