
Beschäftigungsverbot wegen unscharfer Formulierung im Mutterschutzgesetz?
Das novellierte Mutterschutzgesetz trat im Januar 2018 in Kraft. Was hat sich seitdem konkret für schwangere Ärztinnen geändert, wo besteht noch Verbesserungsbedarf und wie wirkt sich Covid-19 auf die Arbeit schwangerer Ärztinnen aus? Wir sprechen zu diesem Thema mit PD Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser, der Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB).
Lesedauer: ca. 5 Minuten

Interview und Redaktion: Dr. Linda Fischer.
Was hat sich im novellierten Mutterschutzgesetz verbessert und wo sehen Sie noch Verbesserungspotential?
Dr. Puhahn-Schmeiser: Umgestaltet wurde das Mutterschutzgesetz (MuSchG) beispielsweise hinsichtlich der Arbeitszeiten: Zwar ist Nachtarbeit weiterhin nicht möglich – aber mit ausdrücklichem Einverständnis der Schwangeren kann nun flexibler gearbeitet werden, auch am Wochenende und an Sonn- und Feiertagen. Jedoch nicht über 8,5 Stunden täglich bzw. 90 pro Doppelwoche. Außerdem wird Frauen eine Freistellung zum Stillen erleichtert und Schutzfristen wurden verlängert – etwa bei Behinderung, Fehlgeburt oder Mehrlingsschwangerschaft. Auch Schülerinnen und Studentinnen sind erstmalig mit erfasst.
Auf der anderen Seite gibt es die Problematik in §11 des MuSchG: „Der Arbeitgeber darf eine schwangere Frau keine Tätigkeiten ausüben lassen und sie keinen Arbeitsbedingungen aussetzen, bei denen sie in einem Maß Gefahrstoffen ausgesetzt ist oder sein kann, dass dies für sie oder für ihr Kind eine unverantwortbare Gefährdung darstellt.“
Über die weit gegriffenen und damit juristisch schwierigen Formulierungen „sein kann“ und „unverantwortbare Gefährdung“ kann jedes Beschäftigungsverbot argumentiert werden. Fußend auf diesen Formulierungen wurde Chefärztinnen und – ärzten von den beaufsichtigenden Behörden regelrecht empfohlen, Schwangere nicht mehr einzusetzen. Gerade in OP- und Interventionsbereichen oder im Labor ist dadurch ein Einsatz von Schwangeren eigentlich nicht mehr möglich.
Welche Möglichkeiten bieten sich dem Arbeitgeber im Umgang mit schwangeren Ärztinnen am Arbeitsplatz?
Dr. Puhahn-Schmeiser: Der Arbeitgeber ist gesetzlich dazu verpflichtet, den Arbeitsplatz anhand der Gefährdungsbeurteilungen umzugestalten oder, falls dies nicht möglich ist, die schwangere Ärztin auf einen anderen Arbeitsplatz umzusetzen. Erst wenn diese beiden Optionen nicht möglich sind darf ein Beschäftigungsverbot erfolgen.
Die beaufsichtigenden Behörden möchten natürlich eine Schuldzuweisung umgehen, falls doch Probleme auftreten und sprechen demgemäß Empfehlungen an die Chefärztinnen und -ärzte oder Kliniken aus. Aber auch die Chefärztinnen und -ärzte wollen und können verständlicherweise die Verantwortung im Zweifelsfall nicht tragen. Und das führt oft dazu, dass schwangere Ärztinnen kategorisch nicht mehr in den OP dürfen, ohne, dass der Arbeitsplatz angepasst wird und spezielle Rahmenbedingungen eingeführt werden, unter denen die Frau weiter operieren könnte.
Das treibt den DÄB um. Der Schutz des ungeborenen Kindes und der Mutter sollte differenziert durch individualisierte Anpassungen erfolgen und nicht durch pauschalisiertes Negieren.
Was fordern Sie konkret, um diese Problematik anzugehen?
Dr. Puhahn-Schmeiser: Der Mutterschutzausschuss des Bundesfamilienministeriums steht in der Pflicht, das MuSchG zu konkretisieren und praxistaugliche Lösungsansätze zu finden. Da aber bis zu ersten Ergebnissen der Überarbeitung noch einige Zeit ins Land gehen wird, strebt der DÄB an, bereits vorher mit den beaufsichtigenden Behörden einen bundesweiten Konsens zu finden, um der Ungleichbehandlung von schwangeren Ärztinnen entgegenzuwirken und Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen individualisierten Einsatz von schwangeren Ärztinnen ermöglicht.
Ich spreche von Ungleichbehandlung, weil es durchaus auch Positivbeispiele von Kliniken gibt, etwa in Hamburg, die es schaffen, Schwangere trotz gleicher Gesetzgebung weiter operieren zu lassen. Dort arbeiten die Kliniken effektiv mit den zuständigen Behörden zusammen, um die erforderliche Infrastruktur individualisiert für Schwangere zu schaffen. Andere beaufsichtigende Behörden sind in keiner Weise dazu bereit – es gibt also große regionale Unterschiede.
Der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) setzt sich für eine verstärkte Forschung zu offenen Fragen der Gendermedizin ein. Er ist, unter anderem, Mitglied der Medical Women’s International Association (MWIA) und im Deutschen Frauenrat.
Sie bekommen regelmäßig Zuschriften von schwangeren Ärztinnen, die um Rat fragen. Wie reagieren Sie darauf?
Dr. Puhahn-Schmeiser: Diese Einzelfallberichte, die uns auf diesem Wege erreichen, haben uns dazu veranlasst, eine Umfrage zu Auswirkungen des MuSchG zu starten. Das Ergebnis: 43 % der insgesamt 790 teilnehmenden Ärztinnen und Medizinstudentinnen fühlen sich in ihrer Karriere behindert. Und wir, der DÄB, versuchen nun Strategien zu erarbeiten, wie wir gewährleisten können, gemeinsam mit den verschiedenen beaufsichtigenden Behörden in Konsens zu kommen.
Hat Covid-19 die MuSchG-Problematik für schwangere Ärztinnen weiter verschärft?
Dr. Puhahn-Schmeiser: In der Anfangsphase der Pandemie fehlten belastbare Daten, etwa zu potentiellen intrauterinen Auswirkungen des Virus. Deswegen wurden Schwangere sinnvollerweise von der Arbeit ausgeschlossen. Mittlerweile gibt es große Studien mit Schwangeren, die zeigen, dass das Virus womöglich keinen solchen Effekt hat. Da dies aber noch nicht sicher ist, sehe ich das derzeitige Verfahren mit schwangeren Ärztinnen als gerechtfertigt an.
Die Problematik des MuSchG existierte aber bereits vorher – das zeigen unsere Umfrageergebnisse, in denen Frauen, die während der Pandemie schwanger wurden, nicht mit einbezogen sind. Es ist also wichtig klarzustellen, dass die Problematik nicht Pandemie-bedingt, sondern rein durch das MuSchG bedingt ist.
Welche ärztlichen Fachgebiete sind von dem novellierten MuSchG besonders betroffen?
Dr. Puhahn-Schmeiser: Natürlich sind Ärztinnen, die invasive Eingriffe vornehmen, wie etwa Chirurginnen oder Internistinnen deutlich mehr in ihrem ärztlichen Alltag betroffen als beispielsweise Psychotherapeutinnen. Vor allem sind Ärztinnen betroffen, die Patientinnen und Patienten direkt versorgen, da auch Blutentnahmen, Wundtoiletten oder -kontrollen meist nicht mehr möglich sind.
Was dann noch bleibt, sind Tätigkeiten wie Briefe schreiben oder der Stationsalltag – lediglich ein Bruchteil von dem, was für die ärztliche Weiterbildung erforderlich ist. Werden weitere Bildungsinhalte nicht erfüllt, verlängert sich die Weiterbildung und die Karriere wird behindert.

Lesen Sie auch vom DGIM-Kongress 2021: Ärztin und Mutter – Zwischen Rabenmutter und Hausfrau
Trotz der guten Gesetzgebung in Deutschland, verursacht die Mutterschaft für junge Ärztinnen immernoch einen deutlichen Karriereknick. Wo die Probleme liegen und was sich ändern muss, fasste die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, Dr. Christiane Groß, auf dem diesjährigen DGIM-Kongress zusammen. Zum Beitrag >>
Wie äußert sich die Problematik jeweils während und nach dem Medizinstudium?
Dr. Puhahn-Schmeiser: Für schwangere Medizinstudentinnen zeigte unsere Umfrage, dass sie an Kursen teilweise nur verzögert teilnehmen dürfen. Bei den obligatorischen Famulaturen sind Blutentnahmen und der Zugang zum OP tabu. Darunter leidet natürlich die Ausbildung und das Studium wird so verzögert.
Als Fachärztin oder Oberärztin ist es ein bisschen einfacher. Aber auch hier ist fachliche Fort- und Weiterbildung wichtig. Darf eine schwangere Ärztin zum Beispiel nicht mehr operieren, kann sie ihre Kompetenzen nicht weiterentwickeln und fängt nach der Schwangerschaft deutlich zurückgesetzt an. Die Elternzeit dazugerechnet, kommen dann schnell insgesamt zwei Jahre zusammen.
Mütter oder Väter: Wer nimmt vorwiegend die Elternzeit in Anspruch?
Dr. Puhahn-Schmeiser: Das sind immernoch vorwiegend die Mütter. Langsam findet aber ein Umdenken statt. In dem Männer-dominierten Fach der Neurochirurgie etwa, war es vor einigen Jahren ein No-Go als Mann Elternzeit in Anspruch zu nehmen. Mittlerweile ist es eigentlich Usus, dass zumindest die zwei gewährten Partnermonate von Männern genommen werden. Ich persönlich finde das noch deutlich ausbaufähig, aber es ist ein Anfang.
Ich denke, es lohnt ein Blick zum nordischen Modell, welches die paritätische Aufteilung der Elternzeit fordert, um einen finanziellen Zuschuss zu bekommen. Das wäre auch für uns ein Gedankenspiel wert.
Was raten Sie einer Frau, die den Beruf einer Ärztin anstrebt, hinsichtlich Familienplanung?
Dr. Puhahn-Schmeiser: Es gibt natürlich ganz unterschiedliche Lebensplanungen und ‑modelle – eine Musterlösung gibt es nicht. Manche empfehlen, Kinder im Studium zu bekommen; ich persönlich würde erst meinen Facharzt machen. In keinem Fall sollte man sich generell vom Beruf abhalten lassen, Kinder zu bekommen.

PD Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser ist Fachärztin für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Freiburg und Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes e.V. (DÄB). Im DÄB setzt sie sich, unter anderem für gendergerechte Arbeitsplätze ein.
Foto: © Oliver Kraus
Diese Themen könnten Sie auch interessieren: