Management des akuten Leberversagens
Das akute Leberversagen (ALV) ist ein seltenes Krankheitsbild, das aufgrund seiner hohen Mortalität von anderen Ursachen erhöhter Leberwerte unterschieden werden muss. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die therapeutischen Maßnahmen im Falle eines primären ALV.
Lesedauer: ca. 7 Minuten

Der folgende Beitrag von Dr. med. Samira Abu Jhaisha und Prof. Dr. med. Alexander Koch, MHBA, stammt aus dem „DIVI Jahrbuch 2022/2023“ und erscheint hier in gekürzter Fassung mit freundlicher Genehmigung der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft (MWV). Redaktion: Marc Fröhling.
Einleitung und Definition des akuten Leberversagens (ALV)
Das primäre ALV ist definiert durch eine schwere Hepatopathie (Transaminasenerhöhung, mindestens 2-fach über Normwert) mit Leberfunktionsstörung (Ikterus und Koagulopathie mit INR > 1,5) und Vorliegen einer Enzephalopathie bei Ausschluss einer vorbestehenden Lebererkrankung oder sekundärer Ursachen (z.B. Sepsis oder Hypoxie). Hiervon abzugrenzen sind die dekompensierte Leberzirrhose und das akut-auf-chronische Leberversagen, die sich auf dem Boden einer vorbestehenden Lebererkrankung entwickeln, und das sekundäre akute Leberversagen, das die Folge einer anderen Grunderkrankung (z.B. Ischämie bei kardiogenem Schock) darstellt. Bei diesen wichtigen Differenzialdiagnosen kann keine Listung zur Lebertransplantation mit „HighUrgency“-Status erfolgen.
Einige chronische Lebererkrankungen können sich mit dem Bild eines akuten Leberversagens erstmanifestieren und bilden somit eine Ausnahme hiervon. Dazu zählen das Budd-Chiari-Syndrom, die Autoimmunhepatitis, der Morbus Wilson sowie die Hepatitis-B-Reaktivierung. Die Häufigkeit des akuten Leberversagens liegt in Deutschland bei ca. 200– 500 Fällen pro Jahr. Die Sterblichkeit des Krankheitsbildes wird auf ca. 30% geschätzt.1
Ätiologie und Pathogenese
In Deutschland werden ca. 32% der Fälle von akutem Leberversagen durch nicht Paracetamol-bedingte Medikamententoxizität ausgelöst, gefolgt von viralen Infektionen (21%). Die Paracetamolintoxikation ist lediglich für 9% der Erkrankungen verantwortlich. In ca. 24% kann ein auslösendes Agens nicht festgestellt werden, sodass man von einem kryptogenen Leberversagen spricht. Seltenere Ursachen stellen das schwangerschaftsassoziierte Leberversagen und chronische Lebererkrankungen, die sich mit Bild eines ALV erstmanifestieren (Autoimmunhepatitis, Budd-Chiari-Syndrom, Morbus Wilson), dar (1).
Prognose
Es werden drei Verlaufsformen des akuten Leberversagens unterschieden. Anhand der Zeit zwischen Auftreten des Ikterus bis zur Enzephalopathie wird zwischen einem hyperakuten Verlauf (weniger als 7 Tage), einem akuten Verlauf (7–28Tage) und einem subakuten Verlauf (> 4 Wochen bis unter 26 Wochen) differenziert.3 Prognostisch günstig ist trotz der dramatischen klinischen Präsentation vor allem der hyperakute Verlauf, der die höchste Tendenz zur Restitutio aufweist.2
Die Ätiologie des Leberversagens beeinflusst die Prognose maßgeblich. So ist ein Paracetamol-induziertes Leberversagen mit einer hohen Spontanheilungsrate assoziiert, während hingegen ein kryptogenes Leberversagen eine besonders schlechte Prognose aufweist.
Etablierte Prognosetools, mithilfe derer man die Patienten identifiziert, die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit eine Transplantation benötigen, sind die King’s College Kriterien4 und Clichy-Kriterien5 (s. Tab. 1).
Transplantationslistung auf der Stufe „hoch dringlich“ (HU – High Urgency6).
Diagnostik
Die Eigen- und Fremdanamnese bildet die Grundlage der Diagnostik. Es werden insbesondere bestehende Vorerkrankungen (auch der Leber) eruiert. Der Beginn und die Art der Beschwerden (Ikterus, Enzephalopathie) sollten abgefragt und das Verhalten in Bezug auf Noxen sowie die Einnahme von Medikamenten (insbesondere Schmerzmitteln), Nahrungsergänzungsmitteln, Phytotherapeutika und Tees oder Pilzmahlzeiten überprüft werden. Eine Reise-, Sozial- und Familienanamnese kann ebenfalls Hinweise auf eine mögliche Ätiologie liefern.7
Mithilfe der Labordiagnostik wird einerseits die Krankheitsschwere (s. Tab. 2) objektiviert, andererseits können ggf. spezifische Ursachen des Leberversagens identifiziert werden. Neben einer Basisdiagnostik, die unter anderem ein Differenzialblutbild, Cholestasewerte, Transaminasen, Lebersyntheseparameter, Gerinnungsparameter und Retentionsparameter sowie Infektwerte enthält, wird je nach klinischem Verdacht ein erweitertes Screening auf virologische, toxikologische, metabolische oder autoimmune Ursachen durchgeführt (s. Tab. 3).
Die transabdominelle Sonografie ist essenzieller Bestandteil der weiteren Diagnostik. Größe, Form, Oberflächenbeschaffenheit der Leber (höckrige Oberfläche?) sowie die Homogenität (Raumforderungen, fokale Mehr- oder Minderverfettungen?) und Echogenität (Verfettung?) des Parenchyms sowie der Befund einer Splenomegalie liefern wichtige Hinweise auf eine möglicherweise vorbestehende Lebererkrankung. Hier ist zu erwähnen, dass Aszites auch im Rahmen eines akuten Leberversagens auftreten kann und nicht zwangsläufig als sicheres Zirrhosezeichen zu interpretieren ist. Durch farbcodierte Dopplersonografie können vaskuläre Ursachen eines Leberversagens ausgeschlossen werden. Bei schlechten Schallbedingungen ergänzt man eine kontrastmittelgestützte Computertomografie oder alternativ eine Magnetresonanztomografie mit leberspezifischem Kontrastmittel. Die Durchführung einer Leberbiopsie ist nicht Teil der Routinediagnostik.
Abkürzungen: ANA: antinukleäre Antikörper; ANCA: Anti-Neutrophile cytoplasmatisch
Antikörper; AMA: antimitochondriale Antikörper; AP: alkalische Phosphatase; β-HCG:
humanes Choriongonadotropin; CDT: Carbohydrat-defizientes Transferrin; CMV:
Zytomegalievirus; EBV: Epstein-Barr-Virus; ETG: Ethylglukuronid; HbA1c: Hämoglobin A1c:
HSV: Herpes-simplex-Virus; SLA: Soluble Liver Antigen; SMA: Smooth Muscle Antigen;
VZV: Varizella Zoster Virus.
Therapie
Spezifische Therapieoptionen bei ALV
Die Gabe von N-Acetylcystein ist seit den 1970er-Jahren zur Therapie des Paracetamol-induzierten akuten Leberversagens etabliert. N-Acetylcystein wirkt antioxydativ und hilft, die endogenen Glutathion-Speicher aufzufüllen und unterstützt damit direkt die Mechanismen, die zur Inaktivierung toxischer Metabolite des Paracetamol beitragen.8 Es wird in dieser Indikation in einer Dosierung von insgesamt 600 mg/kgKG intravenös über 72 h verabreicht. In einigen Fällen gibt es weitere spezifische Therapieoptionen. Eine Übersicht bietet Tabelle 4.
Allgemeinmaßnahmen und supportive Therapie auf der Intensivstation
Sofern möglich, sollten Patienten mit akutem Leberversagen intensivmedizinisch überwacht werden (Kreislauf, BGA, neurologischer Status). Auch beim nicht Paracetamol-induzierten Leberversagen sollte eine intravenöse Therapie mit N-Acetylcystein als intravenöses Schema erfolgen (150 mg/kg in 5% Glukose für 1 h, danach 12,5 mg/kg über 4 h, danach 6,25 mg/kg über 67 h). Die hierunter häufig auftretende Übelkeit kann symptomatisch therapiert werden, anaphylaktische Reaktionen sind selten.
Die Volumen- und Kreislauftherapie sollte mit balancierten kristalloiden Lösungen durchgeführt werden und folgt den Empfehlungen der Surviving Sepsis Campaign Leitlinien.10 Eine Hyponatriämie ist mit erhöhtem intrakraniellem Druck assoziiert und sollte daher vermieden werden (Ziel SerumNatrium 140–150 mmol/l). Bei Hypoglykämie erfolgt eine Substitution mit einem Ziel-Blutzucker von 140 mg/dl.
Eine prophylaktische antiinfektive Therapie ist nicht empfohlen, jedoch ein regelmäßiges mikrobiologisches Sampling und eine frühe empirische Therapie bei klinischem Anhalt für eine Infektion. Die Indikation zum Beginn einer Nierenersatztherapie richtet sich nach den allgemeinen Kriterien (schwere metabolische Acidose, refraktäre Hyperlaktatämie etc.). Nur bei Vorliegen von Blutungszeichen oder bei invasiven Prozeduren werden Gerinnungsprodukte bedarfsgerecht (am besten nach differenzierter Gerinnungsdiagnostik z.B. durch Thrombelastographie) substituiert.
Höhergradige hepatische Enzephalopathie und Hirndruck sind wichtige klinische Faktoren für eine ungünstige Prognose. Zur Therapie der hepatischen Enzephalopathie kommen neben allgemeinen Maßnahmen (ruhige und dunkle Umgebung, Oberkörperhochlagerung) Lactulose p.o. und als rektaler Einlauf orales Rifaximin und intravenöses L-Ornithin-L-Aspartat zum Einsatz. Bei Voranschreiten der Enzephalopathie (HE >°3) müssen Intubation, Analgosedierung und mechanische Beatmung in Betracht gezogen werden.2,7
Plasmapherese
Der therapeutische Plasmaaustausch stellt einen relativ neuen Ansatz zur Therapie des akuten Leberversagens dar. Aufgrund des unterschiedlichen Patientenkollektives in Bezug auf Ätiologie und Schwere des akuten Leberversagens sowie der unterschiedlichen Verfahren der Plasmapherese sind diesbezügliche Studien nur bedingt vergleichbar und die Fallzahlen häufig niedrig, jedoch erscheint der Therapieansatz vielversprechend und sollte in weiteren prospektiven Studien mit größeren Fallzahlen untersucht werden.
Lebertransplantation
Die Lebertransplantation ist die einzige kurative Therapie des akuten Leberversagens. In Deutschland gehen ca. 10% der Lebertransplantationen auf Fälle eines akuten Leberversagens zurück.1 Bei Erfüllen der King’s-College-Kriterien bei Vorliegen eines Paracetamol- oder nicht Paracetamol-induzierten Leberversagens bzw. der Clichy-Kriterien bei viral bedingtem akuten Leberversagen (s. Tab. 1) kann eine „High-Urgency“-Listung zur Lebertransplantation bei Eurotransplant erfolgen.6 Diese Patienten werden mit höchster Priorität vor Patienten mit anderen Indikationen für eine Lebertransplantation berücksichtigt.
Voraussetzung für die Listung ist außerdem die Evaluation des Patienten durch ein interdisziplinäres, erfahrenes Transplantationsteam in Bezug auf kardiopulmonale, zirkulatorische und infektiologische Aspekte hinsichtlich der Transplantierbarkeit sowie der Compliance und möglicher Kontraindikationen.
- Das akute Leberversagen (ALV) ist ein seltenes Krankheitsbild, das aufgrund seiner hohen Mortalität von anderen Ursachen erhöhter Leberwerte unterschieden werden muss.
- Es ist definiert durch das Vorliegen einer ausgeprägten Leberwerterhöhung mit der Trias aus Koagulopathie, Ikterus und hepatischer Enzephalopathie in Abwesenheit einer chronischen Lebererkrankung und sekundärer Ursachen (z.B. kardiogener Schock).
- Die zugrundeliegende Ursache des akuten Leberversagens (z.B. medikamentös-toxisch, viral, autoimmun) gilt es, strukturiert durch Anamnese, Laboruntersuchungen und apparative Diagnostik zu identifizieren.
- Neben einigen ursachenspezifischen Therapiemaßnahmen steht vor allem die supportive intensivmedizinische Therapie der Komplikationen des ALV, insbesondere des Multiorganversagens im Mittelpunkt.
- Da die Lebertransplantation häufig die einzige Chance auf Heilung darstellt, sollten Patienten mit akutem Leberversagen umgehend in einem Transplantationszentrum vorgestellt werden.
Mehr zu diesem und anderen Themen aus dem Bereich Intensiv- und Notfallmedizin finden Sie im „DIVI Jahrbuch 2022/2023“, erschienen am 28. November 2022 bei der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft. Es enthält ausgewählte State of the Art-Beiträge und brandaktuelle wissenschaftliche Arbeiten – kurz, kompakt und auf den Punkt.
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