
Leichenschau: Die häufigsten Fehler im Notdienst
Todesfeststellung und Ausstellung des Totenscheins gehören zu den Routine-Aufgaben im Notdienst. Laut den aktuellen Studienergebnissen weisen jedoch 27 Prozent aller Todesbescheinigungen schwerwiegende Fehler auf. Dr. Alexander Siebel, Arzt und Rechtsanwalt, erklärt hier die wichtigsten Fehler.
Lesedauer: ca. 3 Minuten

Der folgende Beitrag wird vertreten durch Dr. Alexander Siebel, Herzchirurg an der Herz- und Gefäß-Klinik Bad Neustadt/Saale und Rechtsanwalt. Fragen und Redaktion: Marina Urbanietz.
Jeder Arzt zur Leichenschau verpflichtet?
Herr Dr. Siebel, Sie sind Rechtsanwalt und Arzt und können daher die Durchführung der Leichenschau aus juristischer und medizinsicher Sicht beurteilen. Stimmt es, dass jeder Arzt zur Leichenschau verpflichtet ist?
Das gehört zur Gesetzgebungskompetenz der Länder und ist in jedem Bundesland ein wenig anders geregelt. In vielen Bundesländern können sich Bereitschafts- und Notärzte auf die vorläufige Todesfeststellung beschränken. Sie müssen dann aber sicherstellen, dass ein anderer Arzt die Leichenschau übernimmt. Die Behandlung der Lebenden geht selbstverständlich vor.
Welche Aufgaben gehören bei der Durchführung der Leichenschau zu den gesetzlichen Pflichten des Arztes?
Hier sind die folgenden Pflichten zu nennen:
- Feststellung des Todes
- Feststellung der Todesursache
- Bestimmung der Todesart (natürlich oder nicht natürlich)
- Feststellung oder Eingrenzung der Todeszeit
- Erkennung von übertragbaren Krankheiten
- Meldung von nicht natürliche Todesarten und unbekannten Toten
- Reanimation vs. Todesfeststellung
Reanimation vs. Todesfeststellung
Wann sollen Ärzte reanimieren und wann darf eine Todesfeststellung erfolgen?
Als Arzt kann man sich durch eine unterlassene Reanimation wegen Totschlags durch Unterlassen oder unterlassener Hilfeleistung strafbar machen. Etwas anderes kann dann gelten, wenn es eine Patientenverfügung gibt, in der eine Reanimation ausgeschlossen wird. Dabei hat man allerdings oft das Problem, dass keine Zeit bleibt, diese zu lesen und ihre Authentizität zu überprüfen ohne gleichzeitig die Chance auf eine erfolgreiche Wiederbelebung aufzugeben.
Sind keine sicheren Todeszeichen zu erkennen, sollte man sich daher im Zweifel für eine unverzügliche Reanimation entscheiden. Stellt sich dann später heraus, dass diese vom Patienten wirksam ausgeschlossen wurde, kann die weitere Behandlung immer noch eingestellt werden.
Nulllinie im EKG, jedoch keine Totenflecke: Reanimieren oder nicht?
Ein Fallbeispiel aus der Praxis: Der Notarzt wird mit der Meldung „Bewusstlos“ alarmiert. Am Einsatzort befindet sich bereits die Rettungswagenbesatzung. Am Boden liegt auf dem Bauch ein halb bekleideter Mann in einer großen Blutlache. Es ist kein Puls zu spüren und Atembewegungen fehlen, der Körper ist warm. Im EKG zeigt sich eine Nulllinie, der Unterkiefer ist frei beweglich und Totenflecke finden sich nicht. Zu welchem Vorgehen würden Sie in diesem Fall raten?
Liegen keine sicheren Todeszeichen vor, ist mit einer Reanimation zu beginnen. Die Nulllinie im EKG ist kein sicheres Todeszeichen. Sichere Todeszeichen sind:
- Totenflecke
- Leichenstarre
- Fäulnis
- Mit dem Leben nicht vereinbare Verletzungen
Natürlicher und nicht natürlicher Tod
Welche Hinweise sind aus Ihrer Sicht entscheidend bei der Feststellung der Todesart?
Die Unterscheidung der Todesart ist dem § 159 der Strafprozessordnung geschuldet. Dieser schreibt vor, dass Tote bei denen es Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod gibt, durch die Polizei oder die Gemeindebehörde sofort der Staatsanwaltschaft oder dem zuständigen Amtsgericht zu melden sind. Dieser Paragraf enthält aber keine Legaldefinition des nicht natürlichen Todes, sodass wir auf die Kommentierung angewiesen sind.
Als nicht natürlicher Tod ist der durch Selbstmord, Unfall oder durch eine Straftat von außen herbeigeführte Tod zu betrachten. Der Tod nach oder bei einer Operation fällt demnach nur dann unter „nicht natürlich“, wenn Anhaltspunkte für einen Kunstfehler oder ein sonstiges Verschulden des behandelnden Personals erkennbar sind.
Der leichenschauende Arzt sollte daher bei der Ermittlung der Todesart in Anamnese und Befund auf folgende Hinweise achten:
- Suizid
- Unfall
- Plötzlicher Tod
- Fehlen von Vorerkrankungen
- Auffindesituation
- Verletzungen
- Stauungsblutungen
- Farbe der Totenflecken
- Geruch
- Tablettenreste
Im Zweifel sollte sich der leichenschauende Arzt zur Bescheinigung eines ungeklärten oder nicht natürlichen Todes entschließen. Auf diese Weise vermeidet er Vorwürfe wegen Strafvereitelung und sorgt für eine behördliche Aufklärung der Todesart.
Mutmaßlicher Tatort: Sofort reanimieren oder auf die Polizei warten?
Lesen Sie im zweiten Teil des Beitrags, wie Sie sich an einem mutmaßlichen Tatort verhalten müssen und welche 5 wichtigen Empfehlungen Dr. Alexander Siebel allen Kollegen auf den Weg gibt, um Fehler bei der Leichenschau zu vermeiden.