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Klinik-Wissen kompakt

23. Aug. 2017

Alkoholisierter Patient flieht aus der Klinik: Analyse aus juristischer Sicht

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Lesedauer: ca. 3 Minuten

Der folgende Beitrag basiert auf einem aktuellen Fallbericht aus der CIRSmedical Anästhesiologie.1 Redaktionelle Aufbereitung: Marina Urbanietz.

Zwangsmaßnahmen in der Klinik: Die Rechtslage

Grundsätzlich darf ein Patient – solange keine Unterbringungsanordnung existiert – nicht gegen seinen Willen auf der Station oder im Krankenhaus festgehalten werden, da dies den Straftatbestand der Freiheitsberaubung gemäß § 239 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllt. Ausnahmen gelten nur dann, wenn eine Maßnahme sowohl medizinisch (zwingend) notwendig und zur Vermeidung einer (über die Störung der Heilbehandlung hinausgehenden) Eigen- bzw. Fremdgefährdung unbedingt geboten ist (OLG Bamberg, Urt. v. 5. Dezember 2011, Az. 4 U 72/11).

Eine ärztliche Zwangsmaßnahme (bspw. Einsperren, Fixierung, Hand- oder Fußfesseln, Bettgitter, Bauchgurt am Stuhl, sedierende Medikamente zur Ruhigstellung etc.) kann in folgenden Fällen gerechtfertigt sein:

  • wenn beim Patienten eine akute Eigengefährdung (Notstandsituation gemäß § 34 StGB) besteht; 
  • wenn eine akute Fremdgefährdung (Notwehrsituation gemäß § 32 StGB) vorliegt.

Das heißt, wenn nach Einschätzung des ärztlichen Personals eine gegenwärtige erhebliche Gefahr besteht, dass der Patient sich selbst einen schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden zufügt oder gewalttätig gegen andere Patienten oder Mitarbeiter des Krankenhauses wird.

Bei längeren Fixierungen richterlicher Beschluss erforderlich

Bei längeren Fixierungen (mehr als 24 Stunden) oder wiederkehrenden Fixierungen ist stets ein richterlicher Beschluss zu erwirken. Die Fixierung muss ein Arzt schriftlich anordnen, spätestens jedoch unmittelbar nach der Maßnahme durch das Pflegepersonal genehmigen.

Dokumentation: Die Fixierung ist zu dokumentieren und zwar mit dem Namen des anordnenden Arztes, dem Anordnungsgrund, die Art der Fixierung sowie die voraussichtliche Dauer der Fixierung von maximal 24 Stunden ohne erneute schriftliche Anordnung. Die Fixierungsanordnung ist sofort aufzuheben, sobald die Voraussetzungen für ihre Anordnung wegfallen. Ferner müssen fixierte Patienten unter ständiger akustischer und optischer Beobachtung stehen, angelegte Fixierungen sind alle zwei Stunden zu kontrollieren (OLG Bamberg, Urt. v. 5. Dezember 2011, Az. 4 U 72/11). Auch dies ist zu dokumentieren.

Fixierung nur als Ultima Ratio

Zu beachten gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Danach ist eine Fixierung als ärztliche Zwangsmaßnahme nur dann ein angemessenes Mittel, wenn die Bewegungsfreiheit des Patienten am wenigsten eingeschränkt wird, aber den Zweck der freiheitsentziehenden Maßnahme erfüllt. Die Fixierung darf nur als letztes verfügbares Mittel (ultima ratio) angewandt werden und nur solange, wie die Gefahr für Leib und Leben nicht durch weniger einschneidende (mildere) Mittel abgewendet werden kann.

Bei erheblicher Fremd- und Eigengefährdung: Polizei verständigen!

Bei Gefahr im Verzug und bei Erkennen einer erheblichen Fremd- bzw. Eigengefährdung ist unverzüglich die Polizei zu verständigen. Bis die Polizei eintrifft, sollte nicht die Gesundheit der Mitarbeiter und die der Mitpatienten gefährdet werden. Der Patient sollte als milderes Mittel zunächst beruhigt, ihm gut zugeredet, nötigenfalls deeskalierend auf ihn eingewirkt und gegebenenfalls ein Psychiater konsiliarisch miteinbezogen werden. Haben diese Maßnahmen von vornherein keinen Aussicht auf Erfolg, dürfen sogleich schwerwiegendere Maßnahmen ergriffen werden.

Pflegekraft setzt sich durch ärztliche Anordnung hinweg: Rechtlich zulässig?

Im vorliegenden Fall hatte der Arzt nur eine Bauchfixierung angeordnet. Welche Anordnungsgründe seiner ärztlichen Entscheidung zugrunde lagen, kann der Sachverhaltsschilderung nicht entnommen werden. Die zuständige Pflegekraft fixierte den Patienten aufgrund drohender Aggressivität jedoch mit einem 3-Punkt System. Insofern hat sie sich über die ärztliche Anordnung hinweggesetzt. Sollte die drohende Aggressivität des Patienten erst nach der ursprünglichen ärztlichen Anordnung zutage getreten sein, handelte die Pflegekraft womöglich gerechtfertigt aufgrund einer Notwehrsituation gemäß § 32 StGB.

Ob der anwesende Arzt die Maßnahme für medizinisch (zwingend) notwendig erachtete, kann dem Sachverhalt ebenfalls nicht entnommen werden. Allerdings obliegt den Pflegekräften eine weitreichende Sicherungspflicht und somit eine Garantenstellung, so dass ihnen eine entsprechende fachliche Kompetenz bei der Wahrnehmung ihrer Überwachungsaufgaben zugebilligt wird (OLG Bamberg, Urt. v. 5. Dezember 2011, Az. 4 U 72/11). Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre es angezeigt gewesen, die Polizei zu verständigen.

Weshalb dann der Arzt im weiteren Verlauf keine erneute Fixierung anordnete, nachdem sich der Patient bereits aus dem Bauchgurt und aus der Handfixierung befreit hatte, kann nicht nachvollzogen werden. Ebenfalls nicht nachvollzogen werden kann, weshalb in greifbarer Nähe des Patienten eine Schere gelagert wurde, so dass dieser sich den Fußgurt durchschneiden konnte. All dies stellt mögliche Haftungsgründe dar.

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