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Gynäkologie

30. Okt. 2023
Präklinische Forschung

Verjüngung von Eizellen durch Spermidin

Spermidin verbesserte in einer Studie die Qualität von Eizellen bei alten Mäusen. Forscherinnen und Forscher spekulieren, dass Spermidin möglicherweise auch die Fruchtbarkeit von Frauen verlängern könnte. Fachstimmen sehen Potenzial in den Ergebnissen für die Reproduktionsmedizin und fordern mehr Untersuchungen.1

Lesedauer: ca. 8 Minuten

Spermidin für jüngere Eizellen?
Eizellen mit Spermidin verjüngen – geht das? (Foto: Dreamstime.com | 7active Studio)

Redaktion: Dr. Linda Fischer

Das Stoffwechselprodukt Spermidin verbessert sowohl die Qualität der Eizellen als auch die Fruchtbarkeit älterer weiblicher Mäuse. Diese Erkenntnisse könnten bei der Suche nach einem Medikament für eine längere Fruchtbarkeit von Frauen helfen.1

Wenig Spermidin mit geringer Eizellqualität verbunden

Das Forschungsteam in China verglich die Stoffwechselprodukte der Eierstöcke von jungen mit denen älterer weiblicher Mäuse. Dabei entdeckte das Team Unterschiede im Spermidinspiegel: Er war bei älteren Tieren geringer und ging mit schlechterer Qualität der Eizellen und weiteren Anzeichen der Eierstockalterung einher. Spritzten die Forscherinnen und Forscher den älteren Mäusen zum Ausgleich Spermidin, förderte das die Follikelentwicklung, die Eizellreifung, die Embryonalentwicklung und die Fruchtbarkeit dieser Mäuse.

Externe Spermidin-Zufuhr verlängert Leben verschiedener Spezies

Spermidin ist ein natürliches Polyamin, das die Zellerneuerung aktiviert und für die Aufrechterhaltung der Zellgesundheit sorgt. Mit zunehmendem Alter sinkt der Gehalt an Spermidin im Körper. Die externe Zufuhr von Spermidin verlängert die Lebensspanne und den Gesundheitszustand verschiedener Spezies, darunter Hefe, Fadenwürmer, Fliegen und Mäuse. Es wird vermutet, dass der mit dem Alter abnehmende Spermidinspiegel mit altersbedingten Erkrankungen im Zusammenhang steht.2

Fachstimmen

PD Dr. Verena Nordhoff
Leiterin des reproduktionsmedizinischen Labors am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster

„Spermidin und weitere Polyamine sind schon seit vielen Jahren im Zusammenhang mit Alterungsprozessen im Gespräch. Es ist bekannt, dass die Produktion von Polyaminen mit zunehmendem Alter abnimmt, daher wurden diese Moleküle als mögliche Anti-Aging-Produkte in verschiedenen Studien untersucht.“

„Die Autoren der vorliegenden Studie haben in ihrem tierexperimentellen Ansatz nun festgestellt, dass die Produktion von Spermidin auch im Eierstock der Maus während des Alterungsprozesses abnimmt. Daher untersuchten sie, ob eine exogene Gabe dieser Substanz die Auswirkungen des Alterns auf die Fruchtbarkeit von Mäusen abmildern könnte. Sie fanden heraus, dass sowohl eine Injektion in den Körper der Maus als auch eine Supplementierung in das Trinkwasser, die Fruchtbarkeit gealterter Mäuse verbesserte. Die Zugabe von Spermidin in die in vitro Kultur von unreifen Eizellen von gealterten Mäusen oder Schweinen half, dass mehr Eizellen (bis zum Metaphase II Stadium) reiften, und deren Qualität zudem insgesamt verbessert wurde.“

„Insgesamt handelt es sich um eine gute und solide Studie. Allerdings muss bedacht werden, dass sich Mäuse stark vom Menschen unterscheiden, insbesondere was den Alterungsprozess betrifft. Ein Mäuseweibchen lebt etwa 2 Jahre und ist die meiste Zeit ihres Lebens fruchtbar. Im Gegensatz dazu sind Menschen langlebig und die Abnahme der weiblichen Fruchtbarkeit mit dem Alter ist mit anderen Komplikationen verbunden, die bei Mäusen nicht vorhanden oder möglicherweise irrelevant sind.“

Übertragbarkeit auf den Menschen

„Die Fruchtbarkeit und die Funktion der Eierstöcke sind bei Mäusen und Menschen recht unterschiedlich. Labormäuse sind Inzuchttiere und somit genetisch sehr ähnlich und haben keine Menopause. Im Gegensatz dazu ist der Mensch genetisch vielfältig, und die weibliche Fortpflanzungszeit dauert einige Jahrzehnte, wobei man sagen muss, dass die Abnahme der Fruchtbarkeit sehr individuell ist. Die Tatsache, dass die Autoren auch bei Schweineeizellen positive Wirkungen nachweisen konnten, ist zwar beruhigend, aber dieser Ansatz ist noch weit von einer routinemäßigen Anwendung beim Menschen entfernt.“

„Ob man Frauen, die möglicherweise Einschränkungen in der Fruchtbarkeit haben, Spermidin als Supplement verschreiben sollte, ist schwer zu sagen. Man kennt derzeit weder die notwendige Dosis, noch die Dauer einer Behandlung, um beim Menschen eine Wirkung auf die Eierstöcke zu erzielen. Außerdem zeigte Spermidin in tierexperimentellen Studien epigenetische Auswirkungen. Daher müssten zuerst weitere Studien durchgeführt werden.“

Dr. Sandra Laurentino
Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Gruppenleiterin in der Abteilung für Klinische und Operative Andrologie am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster

Zum Studiendesign

„Die Studie wurde gründlich durchgeführt und alle Ergebnisse mit gleich mehreren Methoden validiert. Die Autoren untersuchten verschiedene Möglichkeiten der Applikation von Spermidin, zum Beispiel als Injektionen oder die mögliche Aufnahme des Moleküls über das Trinkwasser, aber auch als Zusatz zur in vitro Kultur von Mäuse- und Schweineeizellen. Die von den Autoren festgestellten Auswirkungen auf die Eizellen ähneln den Ergebnissen, die bei anderen gealterten Zellen und Geweben beobachtet wurden. Dies ist nicht die erste Studie, in der die Auswirkungen von Spermidin auf die Funktion der Eierstöcke von Mäusen untersucht wurden, aber es ist die erste, die eine potenzielle Anti-Aging-Wirkung auf dieses Gewebe nachweist.“

Wirkung von Spermidin und potenzielle Nebeneffekte einer Supplementierung

„Spermidin wird natürlicherweise vom Körper produziert, wobei der Gehalt mit zunehmendem Alter abnimmt. Spermidin ist auch in Nahrungsmitteln enthalten, allerdings in geringen Mengen. Spermidin und andere Polyamine wirken, indem sie die Autophagie und die Interaktion mit den Mitochondrien verstärken, wodurch die Zellen länger gesund bleiben.“

„Spermidin-Präparate sind in Deutschland rezeptfrei erhältlich und werden als Anti-Aging- und Pro-Langlebigkeits-Mittel eingesetzt. Es gibt Hinweise darauf, dass Spermidin den Auswirkungen des Alterns auf Leber, Muskeln und Gehirn entgegenwirken könnte, und es werden derzeit klinische Studien am Menschen durchgeführt. Obwohl Tier- und Humanstudien darauf hindeuten, dass Spermidin gut verträglich ist, hat eine frühere Studie an Mäusen gezeigt, dass eine Behandlung mit sehr hohen Dosen Schäden in den Eierstöcken und insbesondere in den Granulosazellen hervorruft. Dies konnten die Autoren in der vorliegenden Studie auch zeigen: die höchsten Konzentrationen von Spermidin führten zu schlechteren Ergebnissen. Das deutet darauf hin, dass die richtige Dosierung ein wichtiger Faktor zu sein scheint und nicht ‚einfach so‘ in größeren Mengen eingenommen werden sollte.“

PD Dr. Michele Boiani
Leiter der Arbeitsgruppe „Mouse Embryology“, Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, Münster

Übertragbarkeit auf den Menschen

„Die Autoren verwendeten einen Mausstamm, der extrem fruchtbar ist: 12 bis 15 Mäuse pro Wurf sind für jüngere Müttertiere keine Seltenheit. Es gibt andere Stämme, die für die menschliche Unfruchtbarkeit repräsentativer wären, bei denen es nach einem Jahr fast keine Würfe mehr gibt. Zudem braucht ein primordialer Follikel im Ovar bei Mäusen 19 Tage und bei Frauen 3 Monate bis zum Eisprung. Und die Mäuse, die in der Studie von Spermidin profitiert haben, hatten noch eine beträchtliche ‚Ovarian Reserve‘, im Gegensatz zu Frauen im fortgeschrittenen fortpflanzungsfähigen Alter. Es bleibt also zu sehen, ob Spermidin auch bei Frauen die bei Mäusen beobachteten Wirkungen hat.“

„Nach einem Jahr war der Wurf der Mäuse ohne Spermidin um 80 % und mit Spermidin um 60 % reduziert. Bei In-vitro-Fertilisation und In-vitro-Maturation war die Qualität der Eizellen etwa 10 % höher (absolut betrachtet) mit Spermidin. Die Studie umfasste auch einen kleinen Test an Eizellen von Schweinen, der meiner Meinung nach jedoch zu vorläufig ist.“

„Zum Schluss: Wenn Spermidin keine negativen Nebenwirkungen hat, dann ist sein Einsatz auch beim Menschen von Interesse – ich betone ‚von Interesse‘ – nicht mehr und nicht weniger.“

Potenzial der Spermidineinnahme

„Spermidin, oral oder parenteral eingenommen, wirkt auf den gesamten Körper. Wenn Spermidin keine Kontraindikationen hat, sehe ich keinen Grund, es bei Frauen nicht zu probieren – unter medizinischer Aufsicht. Wenn eine Frau, die Spermidin nimmt, sich besser fühlt, kann auch die reproduktive Funktion davon profitieren; es könnte ein Placebo-Effekt sein. Alternativ könnte es sich um eine indirekte Wirkung durch andere Funktionen auf die Funktion des Eierstocks handeln.“

Dr. Laura Wester
Postdoc in der Forschungsgruppe Molekulare Genetik des Alterns, Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln

Zum Studiendesign

„Die Wirkung von Spermidin auf eine gesündere Alterung der Eizellen ist überzeugend: Zum einen gelangt der Wirkstoff nach systemischer Injektion tatsächlich in die Ovarien, zum anderen zeigen sich positive Effekte insbesondere auf die Follikelentwicklung, Eizellreifung und frühe Embryonalentwicklung, wenn man die Daten von alternden Mäusen mit und ohne Spermidinsupplementierung vergleicht. Besonders überzeugend ist meines Erachtens die im Mittel erhöhte Nachkommenzahl bei den mit Spermidin behandelten älteren Mäusen im Vergleich zu den unbehandelten Tieren.“

„Ob Spermidin insgesamt einen systemischen positiven Einfluss auf ein gesünderes Altern hat und so die Fertilität erhöht, oder ob der Effekt durch eine direkte Einwirkung von Spermidin auf die Eizellen innerhalb der Ovarien zustande kommt, ist für mich noch nicht abschließend geklärt, da die meisten Daten dieser Studie auf einer systemischen Gabe beruhen.“

„Interessanterweise deuten Daten aus Versuchen mit Eizellen von Schweinen darauf hin, dass eine Behandlung mit Spermidin während der Eizellkultur, die Fruchtbarkeit erhöhen kann. Allerdings fehlt der direkte Vergleich zwischen ‚jung‘ und ‚alt‘, stattdessen wurden die Eizellen biochemisch ‚gestresst‘ und ihre Entwicklung mit und ohne Spermidinzusatz mit ungestressten Eizellen verglichen.“

Übertragbarkeit auf den Menschen

„Mäuse sind prinzipiell gute Modellorganismen, da sie Säugetiere sind. Grundlegende Prozesse wie das Altern und auch die Eizellenentwicklung sind hochkonserviert.“

„Allerdings gibt es beim reproduktiven Altern von Frauen eine deutliche Besonderheit, die bei Mäusen nicht auftritt: Die Menopause. Mit dem Einsetzen der Wechseljahre steigt das Risiko für bestimmte Krankheiten stark an, daher wäre es interessant, die Wirkung von Spermidin speziell auf die Menopause zu untersuchen, wofür es bereits spezielle Forschungsmodelle gibt.“

„Darüber hinaus wäre es angesichts der positiven Ergebnisse dieser Arbeit interessant, neben der Übertragbarkeit auf den Menschen im Allgemeinen auch die Übertragbarkeit speziell auf die In-vitro-Kultur und Befruchtung von Eizellen weiter zu untersuchen. Möglicherweise könnten dadurch die Techniken der assistierten Reproduktionsmedizin und zum Beispiel auch des ‚Social Freezing‘ verbessert werden.“

Wirkung von Spermidin und potenzielle Nebeneffekte einer Supplementierung

„Für mich stellen sich 2 Fragen. Gibt es systemische Nebenwirkungen bei Mäusen, die mit Spermidin supplementiert werden? Und gibt es Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung der Nachkommen nach der Gabe von Spermidin bei der Mutter? Beides wurde in dieser Studie nicht getestet. Allerdings ist zu beachten, dass Spermidin als Nahrungsergänzungsmittel ein bekannter Wirkstoff in der Altersforschung ist. So konnte in verschiedenen Modellorganismen wie Hefe, Fliegen, Fadenwürmern, menschlichen Zellen in Kultur und Mäusen eine verlängerte Lebensspanne beziehungsweise ein gesünderes Altern nach Gabe von Spermidin beobachtet werden.3,4 Auch konnten in früheren Studien an Mäusen auch nach Langzeitgabe von Spermidin keine Nebenwirkungen beobachtet werden.“5

„Zudem ist Spermidin ein natürliches Polyamin, das in allen Organismen vorkommt und auch in der Nahrung enthalten ist, so dass eine grundsätzliche Toxizität nicht zu erwarten ist. Dennoch ist der Wirkmechanismus, der den Spermidin-Effekten zugrunde liegt, nicht abschließend geklärt: Um negative Nebenwirkungen auszuschließen, müssen detaillierte Untersuchungen zu Nebenwirkungen, zu geeigneten Dosierungen und zum Zeitfenster der Spermidin-Gabe über die Lebensspanne hinweg durchgeführt werden. So finden sich beispielsweise Polyamine in erhöhter Konzentration in Krebszellen. Eine Supplementierung von Spermidin könnte sich bei fortgeschrittenem Krebs negativ auswirken. Solche Kontraindikationen müssen in klinischen Studien geprüft werden. Wie bei allen positiven Ergebnissen von Supplementen und Medikamenten ist zu beachten, dass die Dosis das Gift machen kann und auch das Zeitfenster, in dem ein Wirkstoff eingesetzt wird.“

Potenzial von Spermidin für die Reproduktionsmedizin

„Während die Altersforschung im Allgemeinen seit Jahren einen Aufschwung an medialer Aufmerksamkeit und Fördermitteln erfährt, ist das reproduktive Altern bei Frauen immer noch ein Nischenthema, das erst langsam aus seinem Schattendasein heraustritt. Meines Erachtens ist es höchste Zeit, dass wir die Auswirkungen systemischer Anti-Aging-Therapien auch konsequent auf das reproduktive Altern von Frauen und damit auf ihr gesundes Altern im Allgemeinen untersuchen. Die positiven Effekte von Spermidin sollten in weiteren Modellen, auch in Bezug auf die Menopause, untersucht werden, um einen Einsatz auch beim reproduktiven Altern von Frauen in Erwägung ziehen zu können. Ein weiteres spannendes Thema wird die Supplementierung von Spermidin im Rahmen der In-vitro-Kultivierung von Eizellen sein, die zum Beispiel bei der assistierten Reproduktionsbehandlung häufig eingesetzt wird.“

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