
Schwangerschaft: Weniger Komplikationen bei Vegetarierinnen
Eine überwiegend pflanzliche Kost könnte das Risiko für Bluthochdruck in der Schwangerschaft senken. Das zeigen zumindest Studienergebnisse, die kürzlich im American Journal of Obstetrics and Gynecology veröffentlicht worden sind.1
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Autorin: Roxana Tabakman | Redaktion: Dr. Linda Fischer
In der prospektiven Kohortenstudie wurden 11.459 Frauen ab 18 Jahren beobachtet und ihre Ernährung von Beginn an anhand eines validierten Fragebogens zur Häufigkeit und Qualität des Verzehrs pflanzlicher Lebensmittel bewertet. Die Teilnehmerinnen hatten an der Nurses' Health Study II (1991–2009) teilgenommen.
Aus den Antworten auf den Fragebogen berechneten die Forscherinnen und Forscher den Index der pflanzlichen Ernährung (PDI) – und dies auch für Frauen, die auch tierische Nahrungsmittel aßen. Je höher der Wert, desto besser die Einhaltung der pflanzenbasierten Ernährungsweise.
Ernährung von Frauen über 20 Jahre beobachtet
„Wir wollten herausfinden, wie sich die Ernährung vor der Schwangerschaft auf die Schwangerschaft auswirkt. Deshalb haben wir die Frauen fast ihr ganzes reproduktives Leben über, d.h. beinahe 20 Jahre lang, beobachtet und uns ein Bild von ihrer typischen Ernährung vor der Schwangerschaft gemacht“, erklärte Studienautor Prof. Dr. Jorge E. Chavarro gegenüber Medscape. Chavarro ist Professor für Ernährung und Epidemiologie an der Medical School und der School of Public Health der Harvard University in Cambridge, Massachusetts. Er erforscht, wie Ernährung und Lebensstil die reproduktive und allgemeine Gesundheit von Frauen beeinflussen.
Vegetarierinnen: Geringeres Risiko für Hypertension und Präeklampsie
Aus den Daten der Nurses' Health Study II ging hervor, dass das Risiko für eine Schwangerschaftshypertonie mit der Senkung des tierischen Anteils und der Erhöhung des pflanzlichen Anteils an der Ernährung abnahm. Frauen im höchsten PDI-Quintil hatten ein signifikant niedrigeres Risiko für hypertensive Schwangerschaftsbeschwerden als Frauen im niedrigsten Quintil (relatives Risiko RR 0,76). Dieser Zusammenhang war für die schwangerschaftsassoziierte Hypertonie (RR 0,77) etwas stärker ausgeprägt als für die Präeklampsie (RR 0,80).
Frauen im höchsten PDI-Quintil hatten zudem ein um 24 % geringeres Risiko für hypertensive Schwangerschaftsbeschwerden als Frauen im niedrigsten Quintil. Das Risiko einer schwangerschaftsassoziierten Hypertonie nahm mit steigendem PDI linear ab, während der Zusammenhang zwischen PDI und Präeklampsie nur für Frauen im Quintil mit der höchsten Adhärenz galt.
„Der Zusammenhang war für die schwangerschaftsbedingte Hypertonie deutlicher als für die Präeklampsie, aber eine überwiegend pflanzliche Ernährung schien vor beiden Krankheiten zu schützen“, so Chavarro. Beide Erkrankungen verursachten zudem nicht nur Probleme während der Schwangerschaft, sondern erhöhten auch das Risiko für die Entwicklung anderer chronischer Krankheiten. „Könnte es sein, dass veränderbare Lebensstilfaktoren vor und während der Schwangerschaft nicht nur dazu beitragen, Probleme während der Schwangerschaft zu verringern, sondern auch viel später auftretende Gesundheitsprobleme der Frauen zu verhindern? Diese Frage war der allgemeine Antrieb für diese Untersuchung.“
Solide Studie, angemessene Statistik, validierter Fragebogen
Prof. Dr. Mercedes Sotos-Prieto ist Wissenschaftlerin an der Autonomen Universität Madrid und Professorin an der School of Public Health der Harvard University und war nicht an der Studie beteiligt. Sie erklärte gegenüber Medscape, dass die Methodik der Studie sehr solide sei und die Forschenden angemessene statistische Verfahren für die Analyse verwendet hätten. Sie hob hervor, dass ein validierter Fragebogen zur Häufigkeit der Nahrungsaufnahme verwendet wurde.
Sie hält die Studie nicht zuletzt wegen der avisierten Population für wichtig. „Bei schwangeren Frauen gab es immer größere Widerstände, was die Ernährung betrifft, und das Gleiche gilt für ältere Erwachsene. Aber wir haben gesehen, dass eine solche Kostform, wenn sie qualitativ hochwertig ist, mit gesundheitlichen Vorteilen verbunden ist.“
Studien laufen auch zu pflanzenbasierter Kost und Gebrechlichkeit
Sotos-Prieto hat einen Doktortitel in Ernährungsepidemiologie und Public Health. Sie arbeitet mit großen epidemiologischen Kohorten, wie etwa amerikanischen Krankenschwestern, auf denen diese Studie basiert, und der Kohorte ENRICA, die für die spanische Bevölkerung und die Bevölkerung älterer Erwachsener repräsentativ ist. Sie ist Autorin weiterer Studien, die einen Zusammenhang zwischen pflanzenbasierter Kost und einem geringeren Risiko für Gebrechlichkeit aufzeigten. Dies gilt sowohl für die Studie mit amerikanischen Krankenschwestern als auch für eine Arbeit mit einer Kohorte von mindestens 60 Jahre alten Frauen in Spanien (ENRICA-1).
Sotos-Prieto ist auch Leiterin eines Forschungsprojekts zur Bewertung des kardiovaskulären Risikos im Hinblick auf veränderbare Lebensstile. Speziell für dieses Projekt wurde der Healthy Heart Test entwickelt, mit dem die Qualität der Ernährung „in 5 Minuten bewertet werden kann, denn wir alle wissen, dass Ärzte und Ärztinnen für solche Dinge eigentlich keine Zeit haben“. Dieser Test könnte in der klinischen Praxis eingesetzt werden, um verbesserungsfähige Lebensgewohnheiten zu ermitteln, wie z. B. raffiniertes Mehl durch Vollkornprodukte ersetzen oder den Verzehr von Hülsenfrüchten steigern, so Sotos-Pietro.
Tomaten und Pommes: (Un)Gesunde pflanzliche Lebensmittel
Der größte Nutzen einer pflanzlichen Kost ergibt sich aus der Ernährung insgesamt, nicht aus einem einzelnen Lebensmittel. In diesen Studien wurde daher ein Punktesystem verwendet, um zu ermitteln, welche Lebensmittel gesund sind und welche nicht.
Die Ernährungsweise wurde seit 1991 alle 4 Jahre mithilfe eines semiquantitativen Fragebogens zur Verzehrhäufigkeit von 131 Nahrungsmitteln und Getränken im jeweiligen Vorjahr erfasst. Die Forscherinnen und Forscher ermittelten die durchschnittliche Häufigkeit, mit der die Frauen jedes Lebensmittel verzehrten. 18 Lebensmittelgruppen wurden in 3 Kategorien untergeteilt:
- gesunde pflanzliche Lebensmittel: Vollkornprodukte, Obst, Gemüse, Nüsse, Hülsenfrüchte, pflanzliche Öle, Tee und Kaffee
- ungesunde pflanzliche Lebensmittel: Fruchtsäfte, raffiniertes Getreide, Kartoffeln, zuckerhaltige Getränke, Süßigkeiten und Desserts
- tierische Lebensmittel: Milchprodukte, Eier, Fisch oder Schalentiere, Fleisch und verschiedene Lebensmittel tierischen Ursprungs
Gesunde pflanzliche Lebensmittel wurden positiv bewertet, während weniger gesunde pflanzliche sowie die tierischen Lebensmittelgruppen negativ bewertet wurden. Der Verzehr der einzelnen Lebensmittelgruppen wurde in Quintile des PDI eingeteilt.
Frauen im obersten PDI-Quintil hatten ein signifikant niedrigeres Risiko für hypertensive Schwangerschaftsbeschwerden als Frauen im niedrigsten Quintil. Zwischen dem PDI und dem Erkrankungsrisiko bestand eine negative Dosis-Wirkungs-Beziehung. „Eine vegetarische Kost ist nicht unbedingt gesünder als eine nicht vegetarische, wenn sie aus überflüssigen Nahrungsmitteln wie Pommes frites und Softdrinks besteht“, sagt Sotos-Prieto. „Der Unterschied zwischen einer gesunden und einer ungesunden Ernährung liegt in der Qualität der pflanzlichen Lebensmittel.“
Ganz auf Fleisch verzichten nicht nötig
Chavarro sagte, dass für ihn der Verzicht auf Fleisch vor 22 Jahren eine der schwierigsten Entscheidungen seines Lebens war. „Heute ist das kein Problem mehr“, sagt er. Er verstehe aber, dass es für manche Menschen schwierig sei, ihre Ernährung umzustellen und tierische durch nicht tierische Produkte zu ersetzen. Ganz auf Fleisch verzichten müsse man aber nicht.
„Die Frauen im obersten Quintil sind nicht unbedingt Vegetarierinnen oder Veganerinnen, aber sie konsumieren viel weniger tierische Lebensmittel als die anderen“, erklärte er weiter. Eine vegetarische oder vegane Ernährung sei nicht unvereinbar mit einer gesunden Schwangerschaft. „Alle Veganer wissen, wie sie Vitamin B12 durch Nahrungsergänzungsmittel substituieren können.“
Bessere Gewichtskontrolle bei pflanzenbasierter Kost
Ein großer Teil des in der Studie beobachteten Benefits scheint auf eine bessere Gewichtskontrolle zurückzuführen zu sein. Der Body-Mass-Index (BMI) in der Zeit zwischen der Bewertung der Ernährung und der Schwangerschaft war für 39 % des Zusammenhangs zwischen PDI und hypertensiven Störungen in der Schwangerschaft und für 48 % des Zusammenhangs zwischen PDI und schwangerschaftsbedingtem Bluthochdruck verantwortlich.
„Ein Teil des Zusammenhangs scheint sich durch eine bessere Gewichtskontrolle über einen längeren Zeitraum erklären zu lassen“, erklärt Chavarro. Frauen, die sich stärker pflanzlich ernährten, nahmen langsamer zu als Frauen, die mehr tierische Lebensmittel zu sich nahmen. „Sie unterscheiden sich in ihrer Gewichtsentwicklung über viele Jahre hinweg. Ein Teil des Zusammenhangs, den wir beobachten, hat also mit einer besseren langfristigen Gewichtskontrolle zu tun. Die andere Hälfte des Zusammenhangs ist jedoch auf die Ernährung selbst zurückzuführen und nicht unbedingt auf das Gewicht.“ Die Forscherinnen und Forscher vermuten, dass Mechanismen wie endotheliale Dysfunktion, Entzündung oder Blutdruck vor der Schwangerschaft den Zusammenhang erklären.
Sotos-Prieto hält diesen Punkt für „äußerst relevant“. Dies zeige, wie wichtig eine Gewichtskontrolle zu Beginn der Schwangerschaft sei. Dadurch könnten sich auch andere Parameter wie etwa ein Schwangerschaftsdiabetes verbessern. „Ich denke, dass die Prävention hier ansetzen sollte. Diese Ergebnisse zeigen, dass Interventionen notwendig sind, um die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhöhen, dass eine Schwangerschaft mit einem angemessenen Gewicht begonnen wird. Und dazu gehört auch die Ernährungsumstellung.“
Ergebnisse nicht auf alle Frauen übertragbar
Über 90 % der Frauen, die an der Studie teilnahmen, waren ethnisch weiß und nicht hispanisch. Auf die Frage, ob sich die Ergebnisse auch auf andere Bevölkerungsgruppen übertragen ließe, meinte Chavarro: „Die Studie muss in anderen Bevölkerungsgruppen wiederholt werden, und das wird Zeit brauchen. Aber auch ohne diese Informationen glaube ich, dass wir die Ergebnisse nutzen können, um andere Populationen unabhängig von ihrer Ethnie zu informieren.“
Sotos-Prieto räumte ein, dass diese Hypothese in der spanischen Bevölkerung noch nicht getestet worden sei. Sie ist jedoch Autorin einer ähnlichen Studie, in der fast 12.000 Spanierinnen und Spanier mit demselben PDI über eine Dekade beobachtet wurden. In dieser Studie war jeder PDI-Anstieg um 10 Punkte mit einem um 14 % geringeren gesamten Sterberisiko (Hazard Ratio HR 0,86) und einem um 37 % geringeren Sterberisiko aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden (HR 0,63).
Sotos-Prieto ist auch der Meinung, dass die aus der Studie abgeleiteten Empfehlungen auf andere Bevölkerungsgruppen übertragen werden können, „vorausgesetzt, dass die Kultur des jeweiligen Landes berücksichtigt wird, um zu sehen, welche Anpassungen möglich sein könnten. Wenn es sich zum Beispiel um eine Bevölkerung handelt, die viel raffiniertes Mehl verzehrt, sollten kleine Änderungen zugunsten von Vollkornprodukten vorgenommen werden.“
Evidenzen abwägen
Die Studie hat methodische Stärken und Schwächen, und Chavarro selbst räumt ein, dass „dies nicht das letzte Wort zum Thema hypertensive Schwangerschaftsstörungen ist“. Aber es bestehe ein dringender Bedarf an Antworten.
Das American College of Obstetricians and Gynecologists und die WHO ermutigen Frauen dazu, sich vor und während der Schwangerschaft gesund zu ernähren. Doch was eine gesunde Ernährung ausmacht, wenn es darum geht, das Risiko eines ungünstigen Schwangerschaftsausgangs zu minimieren, dazu machen sie nur wenige Aussagen. „Sie bleiben da ziemlich zweideutig und vage“, so Chavarro.
Die neuen Ergebnisse deuteten darauf hin, dass eine pflanzliche Kost eine solche Strategie sein könnte, zumal es Hinweise darauf gebe, dass besonders die Hochrisikogruppe der Frauen über 35 davon profitieren könnte.
„Es gibt sicherlich viele Möglichkeiten, sich gesund zu ernähren, aber wenn wir an diese Schwangerschaftskomplikationen denken, die schwerwiegende Folgen für die Mutter und den Fötus haben können, sollten wir dies als eine gesunde Ernährungsoption in Betracht ziehen“, so Chavarro.
Dieser Beitrag ist im Original auf Medscape.com erschienen. Er wurde von Markus Vieten übersetzt und adaptiert.