40+ und schwanger – ein Problem?
Schwangere Frauen über 40 unterliegen u. a. einem höheren Risiko für Schwangerschafts-Komplikationen und Komplikationen bei der Geburt, im Vergleich zu jüngeren Frauen. Aber hat das (nur) mit dem Alter zu tun? Prof. Dr. med. Brigitte Strizek (Bonn) klärt zu diesem Thema auf.
Lesedauer: ca. 5 Minuten

Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag von Prof. Dr. med. Brigitte Strizek (Bonn) auf der FOKO2023: „40+ und schwanger – was nun?“, in der Sitzung: „Geburtshilfe“ | Autorin: Dr. Linda Fischer
Das Geburtsalter der Mütter steigt in Deutschland an, konstatiert Prof. Dr. Brigitte Strizek, Leiterin der Abteilung Geburtshilfe und Pränatale Medizin des Universitätsklinikums Bonn. Die Ärztin rät, Risikofaktoren für die werdenden Mütter kumulativ zu bewerten – am besten bereits präkonzeptionell.
Zwar erleben die meisten Frauen 40+ unkomplizierte Schwangerschaften und Geburten, sodass Ärztinnen und Ärzte die Betroffenen positiv beraten könnten. Trotzdem müsse vor allem bei > 45-Jährigen zu erhöhten Raten an Fehlgeburten, Chromosomenstörungen sowie erhöhtem Risiko für IUFT (intrauteriner Fruchttod) und maternale Mortalität informiert werden.
Risikofaktoren können (und sollten) modifiziert werden
Modifizierbare Risikofaktoren können und sollten in Strizeks Augen minimiert werden. Dazu zählen:
- Gewichtsreduktion vor Schwangerschaft
- Bewegung
- Blutdruckkontrolle und ggf. Therapie
- Diabetes/Insulinresistenz ausschließen
- Folsäure substituieren
Empfehlungen zu 1. bis 3. Trimenon und zur Einleitung
Strizek rät im 1. Trimenon immer dazu, die Patientin über die Möglichkeit des Präeklampsie-Screenings zu informieren und großzügig ASS (Acetylsalicylsäure) zu geben, wenn mehrere Risikofaktoren zusammenkommen.
Im 2. und 3. Trimenon sollte das Risiko für Wachstumsretardierung und Präeklampsie überwacht werden und ein Wachstumsschall im späten 3. Trimenon (und ggf. 36/37 Schwangerschaftswoche, SSW) durchgeführt werden. Dann könne elektiv eine Einleitung bei der Entbindung am errechneten Termin empfohlen werden. Bei Patientinnen 40+ kann eine Einleitung ab 39 + 0 SSW elektiv angeboten werden – bei zusätzlichen Risikofaktoren auch früher.
Patientinnen für höhere maternale Mortalität sensibilisieren
Was Patientinnen ungern hören: Die maternale Mortalität ist bei 40+ signifikant erhöht und die Wahrscheinlichkeit, peripartal zu versterben, ist im Vergleich zu einer Frau zwischen 35 und 39 Jahren verdoppelt, berichtet Strizek auf Basis von Daten aus England. Und dieser Zusammenhang gestalte sich noch extremer, je weiter das Alter der werdenden Mutter fortschreitet. „Ein relevantes Problem“, kommentiert die Ärztin.
„Mortalität nur die Spitze des Eisbergs“
Unter der Mortalität verbergen sich relevante Morbiditäten: Die Konzeptionswahrscheinlichkeit sinkt, die Rate an assistierter Reproduktion (ART) steigt und die Mehrlingsrate erhöht sich – v. a. nach ART. Eine Empfehlung der Confidential Enquiry in England besagt daher, dass Frauen mit deutlich fortgeschrittenem Alter und (kardialen) Vorerkrankungen (Hypertonus, Diabetes), ein Single Embryo Transfer empfohlen werden sollte.
Mit zunehmendem Alter steigt zudem die Fehlgeburtswahrscheinlichkeit deutlich. Der Hauptgrund seien die höheren Risiken für Chromosomenstörungen, wie Trisomie 21, 13 und 18. Unverändert bleiben hingegen die Risiken für Turner-Syndrom oder Mikrodeletionen.
1. Trimenon: Ersttrimester-Screening, NIPT, invasive Diagnostik
Daraus folgen Strizeks Empfehlungen zum 1. Trimenon:
- Kein NIPT (nicht-invasiver Pränataltest) ohne vorhergehenden Ultraschall
- Kein NIPT schon in der 10. SSW
Patientinnen sollten zu verschiedenen Möglichkeiten der Pränataldiagnostik beraten werden:
- Ersttrimester-Screening
- NIPT
- invasive Diagnostik (v. a. bei erhöhter Nackenfalte, ohne vorgeschaltete NIPT)
Risiko für Fehlbildung umstritten, Präeklampsie-Risiko mäßig
Ob das allgemeine Fehlbildungsrisiko erhöht ist, sei umstritten, so Strizek. Ihrer Meinung nach spielen z. B. bei Herzfehlern, Ösophagusatresie oder Kraniosynostosen vielmehr andere Risikofaktoren abseits des Alters eine Rolle, wie etwa Adipositas, hoher Blutdruck und hoher Blutzucker.
Bezüglich Präeklampsie liegt das Alter 40+ in der Leitlinie zu hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen unter den Risikofaktoren „nur“ im Mittelfeld (Relatives Risiko RR 2,0). Zum Vergleich: Ein Body-Mass-Index (BMI) > 30 kg/m2 wird mit einem RR von 3 bis 5 gelistet, chronische Hypertonie mit einem RR von 1,5 und ein diastolischer Wert > 110 mmHg mit einem RR von 3. Diese Komponenten spielen bei den Schwangerschaftskomplikationen wohl z. T. eine wichtigere Rolle als das Alter allein.1
Nicht immer Aspirin bei 40+ zur Präeklampsie-Prävention
Dass nicht in jedem Fall ab der 12. SSW (vor der 37. SSW) ASS 150 mg 1 × täglich abends präventiv gegen frühe Präeklampsie eingesetzt werden muss, demonstriert Strizek mithilfe des FMF (Fetal Medicine Foundation) London PE Calculators: Gibt sie nur das Alter einer gesundheitlich unauffälligen 45-jährigen Schwangeren ein, spuckt der Rechner ein Ausgangsrisiko von 1:97 aus. Trägt Strizek die anderen, in diesem Fall gesundheitlich unbedenklichen Faktoren mit ein, sinkt das Risiko um den Faktor 3 auf 1:357. Die Schwangere würde in diesem Berechnungsmodell kein Aspirin benötigen. Es gibt also einzelne Patientinnen, die nicht unbedingt von Aspirin profitieren.
Auch die FIGO (International Federation of Gynecology and Obstretrics) wertet das Risiko eines fortgeschrittenen Alters als geringen Risikofaktor für Präeklampsie, so Strizek. Alter allein bedeutet nicht, dass der Frau Aspirin verordnet werden muss – es sei denn, es kommen andere Risikofaktoren hinzu. Ärztinnen und Ärzte können der Patientin aber zumindest ein Präeklampsie-Screening zur Abschätzung ihres individuellen Risikos anbieten, rät Strizek.
BMI mitentscheidend bei Komplikationen
Dass nicht nur das Alter, sondern vielmehr der BMI mitentscheidend für den Verlauf einer Schwangerschaft sein kann, zeigt eine Studie aus England, an der nur Schwangere mit einem BMI < 30 kg/m2 teilnahmen. Frauen 40+ (im Schnitt 42 Jahre) entbanden im Schnitt eine Woche früher, als 20–30-Jährige. Einen Unterschied zu den 35- bis 39-Jährigen gab es nicht – auch nicht hinsichtlich des Geburtsgewichts.2
Bei 40+ zeigen die Daten häufiger eine Einleitung und eine etwas geringere Rate an normalen vaginalen Entbindungen. Die Raten von Präeklampsie und Gestationsdiabetes waren ähnlich. Ein NPO (normal pregnancy outcome) hatten 80 % bei 40+, bei den 20–30-Jährigen waren es 77 Prozent. Statistisch zeigte sich also kein Unterschied.
Strizeks Folgerung: Adipositas scheint einen relativ großen Einfluss zu haben. Einzig signifikant erhöht war die Totgeburtenrate bei 40+ im Vergleich zu den anderen Altersgruppen.
Geburtseinleitung bei 40+, ja oder nein?
Zur Geburtseinleitung nur aufgrund des Alters gibt es in den Leitlinien keine alleinige Empfehlung. Jedoch sollten Ärztinnen und Ärzte im Hinterkopf behalten, dass beispielsweise bei adipösen Schwangeren mit zusätzlichen Risikofaktoren eine Einleitung mit 39 + 0 SSW angeboten und sorgfältig abgewogen werden sollte.3 Bei Gestationshypertonie sollte ab 37 + 0 SSW und bei einer chronischen Hypertonie ab 38 + 0 SSW die Beendigung der Schwangerschaft empfohlen werden.4