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Gynäkologie

02. Aug. 2022
Seit Juli Kassenleistung

NIPT auf Trisomien: Wichtige Tipps für die Beratung

Der Blut-Test auf Trisomien ist seit Anfang Juli Kassenleistung: Worauf es jetzt bei der schwierigen Aufklärung von werdenden Eltern ankommt, erfahren Sie hier.

Lesedauer: ca. 6 Minuten

Blutabnahme Schwangere Frau

Autor: Nadine Eckert | Redaktion: Dr. Nina Mörsch

Der nicht-invasive Pränataltest (NIPT) auf die Trisomien 13, 18 und 21 war lange nur als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) erhältlich. Seit 1. Juli 2022 können Schwangere den NIPT nun als kassenärztliche Leistung in Anspruch nehmen.

Senken der Fehlgeburtenrate

Primäres Ziel der Aufnahme des NIPT in die Mutterschafts-Richtlinie ist, die Fehlgeburtenrate der bisherigen invasiven Pränataldiagnostik zu senken. „Wenn die werdenden Eltern wissen möchten, ob das Kind z.B. eine Trisomie 21 hat, kann der Test die dafür sonst notwendige invasive Fruchtwasserpunktion in den meisten Fällen überflüssig machen“, erklärt der Facharzt für Humangenetik Prof. Dr. Carsten Bergmann von der Medizinischen Genetik Mainz. „Und sinkt die Zahl der Fruchtwasserpunktionen, nimmt auch die Zahl der dadurch induzierten Fehlgeburten ab.“

Beim NIPT wird fetale DNA aus einer Blutprobe der Mutter auf Chromosomenstörungen untersucht. Der Test gehört laut dem Berufsverband der Frauenärzte (BVF) nicht zu den allgemein empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen für alle Schwangeren, die der Überwachung einer normal verlaufenden Schwangerschaft und der Beratung dienen.

Abklärung in "individuellen Situationen hilfreich"

Aber „schwangere Frauen können durch die Änderung ihrer Lebenslage und eine gesteigerte Aufmerksamkeit für mögliche gesundheitliche Risiken beim Baby durch Trisomien einen Leidensdruck entwickeln“, sagt Dr. Jochen Frenzel vom Vorstand des BVF. „Gemeinsam mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt kann die Schwangere zu der Überzeugung kommen, dass eine Klärung zum möglichen Vorliegen einer Trisomie aufgrund ihrer individuellen Situation hilfreich für sie ist.“

Laut dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) kann der NIPT in begründeten Einzelfällen und nach ärztlicher Beratung durchgeführt werden – frühestens ab der 10. Schwangerschaftswoche. Die Kosten werden übernommen:

  • wenn sich aus anderen Untersuchungen ein Hinweis auf eine Trisomie ergeben hat oder
  • wenn eine Frau gemeinsam mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zu der Überzeugung kommt, dass der Test in ihrer persönlichen Situation notwendig ist.

Test birgt das Risiko „großer psychischer Belastung“

Vor der Durchführung des NIPT ist es wichtig, dass sich die werdenden Eltern auf mögliche ethische und medizinische Fragestellungen vorbereiten, durch die sie mit dem Test konfrontiert werden können. „Das fängt damit an, dass das Warten auf den Test und dessen Ergebnis das Wohlergehen von Schwangeren und ihren Partnern oder Partnerinnen beeinflussen kann“, betont Frenzel.

„Zu einer großen psychischen Belastung der Eltern kann aber auch eine Fehldiagnose führen – ein Risiko, das der neue Test mit sich bringt. Zudem können belastende Folgeuntersuchungen notwendig werden, der NIPT liefert nur erste Hinweise“, ergänzt der Mediziner.

Patientinnen neutral und offen zur Seite stehen

Die ausführliche Aufklärung der werdenden Eltern über die Chancen und Risiken der Untersuchung sei entscheidend, ebenso wie über mögliche Konsequenzen, die sich aus einer Entscheidung für den Test ergeben könnten, betont auch Bergmann. Um die Aufklärung durch den Frauenarzt zu ergänzen und eine ausgewogene Aufklärung sicherzustellen, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eigens eine Versicherteninformation entwickelt.

Frenzel, der selbst auch als niedergelassener Frauenarzt tätig ist, betont: „Unsere Aufgabe ist es, unseren schwangeren Patientinnen neutral und ergebnisoffen bei der Aufklärung zur Seite zu stehen und auch im Weiteren für sie da zu sein.“

Grenzen des Tests vermitteln

„Ein wichtiger Aspekt der Aufklärung ist, auch die Grenzen des NIPT zu vermitteln“, betont Bergmann. Die negative Aussagekraft des Tests ist zwar sehr gut: Ergibt der Test keine Auffälligkeiten, macht dies das Vorliegen einer Trisomie 13, 18 oder 21 sehr unwahrscheinlich. Ein positives Testergebnis bedeutet dagegen nicht immer, dass tatsächlich eine genetische Störung vorliegt. In der Regel sind weitere Untersuchungen, zum Beispiel eine Amniozentese, notwendig, um eine Trisomie sicher bestätigen oder ausschließen zu können.

„Für Schwangere ist es wichtig zu verstehen, dass der Test keinen Ersatz, sondern eine zusätzliche Möglichkeit zu anderen Verfahren der pränatalen Diagnostik darstellt. Insgesamt verursachen Chromosomenstörungen etwa 10% aller Fehlbildungen, der NIPT soll die Wahrscheinlichkeit für eine kleine Auswahl davon abklären“, erklärt Frenzel.

Nicht mittels NIPT nachweisbare Fehlbildungen sind viel häufiger

Das Risiko für die Geburt eines Kindes mit einer Trisomie steigt mit dem Alter der Mutter an. In Deutschland entstehen über alle Altersgruppen bei 10.000 gezeugten Kindern 19,42 Fälle von Trisomie, davon werden nach Schätzungen von EUROCAT 11,24 von 10.000 abgetrieben.

Einen offenen Rücken, einen Bauchwanddefekt oder einen Herzfehler, die um ein Vielfaches häufiger vorkommen als Trisomien, kann der Test zum Beispiel nicht nachweisen. Frenzel zufolge sei es ebenso wichtig zu wissen, was der Test nicht leisten kann und dass es beim Vorliegen einer Trisomie keine Möglichkeit der Heilung oder ursächlichen Behandlung gibt.

Bunter Strauß an Möglichkeiten – und Fallstricken

Der NIPT wird von kommerziellen Anbietern durchgeführt, die den Test mittlerweile um immer mehr Krankheiten erweitern, auf die getestet werden kann. Die Nutzung vieler dieser Zusatzoptionen sieht Humangenetiker Bergmann kritisch. „Es sollte zumindest vorab eine umfangreiche Aufklärung der Schwangeren erfolgen, da diese neben Vorteilen auch Nachteile mit sich bringen“, sagt er. „Wenn man als Schwangere die Kernfrage hat, ob das Kind eine Trisomie 21 hat, dann sollte man den Umfang der NIPT-Untersuchung auch bewusst begrenzen.“

Bergmann ist wichtig, dass es sich beim NIPT um ein Screeningverfahren und nicht um einen diagnostischen Test handelt. Ein entscheidender Qualitätsparameter für Screeningverfahren wie dem NIPT ist der positive prädiktive Wert (PPV). Für die 3 von den Kassen bezahlten Trisomien sei der PPV sehr hoch, sofern sich der Test sich auf diese Erkrankungen begrenze. Nehme man aber viele andere, zumeist sehr seltene Erkrankungen hinzu, reduziere sich die Verlässlichkeit des Gesamttests signifikant, erklärt er.

„Dies zieht mehr falsch-positive Resultate und in der Folge wieder mehr invasive diagnostische Eingriffe nach sich. Damit wird der eigentliche Mehrwert des NIPT aufgeweicht bzw. sogar weitgehend zunichte gemacht“, so Bergmann.

Grundlegende Fragen vorab klären

Die Thematik sei nicht so unkompliziert, wie sie in den oft bunten Broschüren der verschiedenen kommerziellen Anbieter des NIPT dargestellt werde, so Bergmann weiter. „Man muss sich als betreuender Arzt und als Schwangere den grundlegenden Fragen stellen, etwa weshalb man den NIPT nutzen möchte.“

„Nur weil der Test jetzt kostenlos ist, muss man ihn ja nicht zwangsläufig durchführen lassen“, betont der Humangenetiker. Deshalb sei eine vernünftige und detaillierte Aufklärung der Schwangeren so wichtig. Diese sei allerdings durch die Beratungsziffer nicht ausreichend abgegolten. „Für eine adäquate Beratung reicht die Vergütung nicht aus, speziell wenn jetzt – wie zu erwarten ist – viel mehr Frauen Interesse an dem Test haben werden.“

Möglichkeiten der Pränataldiagnostik auf Trisomien

Bislang enthielt die Mutterschafts-Richtlinie keine Trisomie-Diagnostik. Als IGeL stand neben dem NIPT (seit 2012) ein freiwilliges Ersttrimester-Screening (ETS) zwischen der 11. und 14. Schwangerschaftswoche zur Verfügung. Dabei werden 3 Werte ermittelt, um eine statistische Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Trisomie zu errechnen:

  • Breite der Nackentransparenz im Ultraschall,
  • Konzentration von PAPP-A (pregnancy-associated plasma protein A) im mütterlichen Blut.
  • Konzentration von Beta-hCG (humanes Choriongonadotropin) im mütterlichen Blut.

Die Trisomie-Detektionsrate des ETS beträgt 90%, die Rate an falsch-positiven Ergebnissen liegt bei 3 bis 5%. Bei einem Risiko von 1:300 beträgt die Sensitivität 87,26% und die Spezifität 95,50%. Ergibt sich beim ETS ein hohes Risiko für eine Trisomie, kann eine invasive Diagnostik auf Kosten der Krankenkassen in Anspruch genommen werden.

Für Mütter über 35 Jahre und Risikoschwangere übernehmen Krankenkassen die Kosten für invasive Diagnostik auch ohne vorangegangenen ETS.

Der NIPT erkennt verschiedene Trisomien unterschiedlich genau und in Abhängigkeit von dem Risiko der Population, in der er angewendet wird: Bei Trisomie 21 liegt die Sensitivität bei 99,13% und die Spezifität bei 99,95%.

Die Schätzungen für die Sensitivität des Tests bei den anderen beiden Trisomien (Trisomie 13: 87,47%; Trisomie 18: 93,01%) gelten als nicht robust, da sie über viele Studien hinweg stark variieren und da es generell nur kleine Fallzahlen gibt. Für die Spezifität liegen derweil robuste Belege vor (Trisomie 13: 87,47%, Trisomie 18: 99,94%).

Dieser Beitrag ist im Original auf Medscape.de erschienen.

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