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Dermatologie

01. Juni 2022
Die Haut in der bildenden Kunst

Rembrandt und die syphilitische Sattelnase

Der Versuch einer Erkundung von Parallelen zwischen Hautdarstellungen einst und heute zeigt, dass sich am Perfektionswahn und dem Streben nach Makellosigkeit damals wie heute nichts geändert hat. So stieß auch Rembrandts wirklichkeitsgetreue Darstellung der Sattelnase seines Malerkollegen Gerard de Lairesse auf wenig Begeisterung: Wie Exkremente würden Rembrandts Farben die Leinwand herunterlaufen, wütete der Portraitierte selbst.1-3

Lesedauer: ca. 5 Minuten

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Autoren: Prof. Dr. Günter Burg, redaktionelle Bearbeitung: Marie Fahrenhold

Makellosigkeit des Inkarnats

Kunst schafft betörende Illusionen für unsere Sinne, die unser Gehirn zu einem erhabenen Glücksgefühl katalysiert. Bei den Gemälden „Großer Meister“ rezipiert der Betrachter das Ganze und übersieht oft Details: Alterserscheinungen, Muttermale, Neubildungen, Veränderungen an Hautanhangsgebilden, Binde- und Fettgewebe, an Gefäßen und Nerven stören die Makellosigkeit des Inkarnats und wurden daher – wenn überhaupt – meist unbewusst ohne medizinische Sachkenntnis vom Künstlerin der zweidimensionalen Form eines Portraits dargestellt.

Rembrandt Harmenszoon van Rijn

Rembrandt Harmenszoon van Rijn, bekannt unter seinem Vornamen Rembrandt, wurde am 15. Juli 1606 als achtes von neun Kindern in Leiden in den Niederlanden geboren. Er gilt als einer der bedeutendsten Künstler des Barock.

Zusammen mit Jan Lievens gründete er 1625 in Leiden seine eigene Werkstadt. Durch Vermittlung des Diplomaten, Dichters und Komponisten Constantin Huygens erhielt Rembrandt zahlreiche Aufträge, unter anderen auch aus dem englischen Königshaus. Der frühe Tod der Ehefrau Saskia mit 30 Jahren markierte einen tiefen Einschnitt in seiner Schaffenskraft ab 1642.

Trotz seiner großen Erfolge und seines Bekanntheitsgrades war Rembrandt am Ende seines bewegten Lebens finanziell und sozial ruiniert – Hypotheken, Unterhaltszahlungen, Erbstreitigkeiten und Gerichtsverfahren hatten viel Geld gekostet –, obwohl sein Ansehen an den Höfen und in den Fürstenhäusern Europas aussergewöhnlich hoch war und er sich über Aufträge nicht beklagen konnte. Am 4. Oktober 1669 starb Rembrandt völlig verarmt in Amsterdam.

„Farben wie Exkremente”

Im Verlaufe seines Lebens hatte er mehr Selbstbildnisse geschaffen als irgendein anderer Künstler seiner Zeit. Sie zeigen ihn in unterschiedlichen Situationen seines von künstlerischem Erfolg und sozialen Niederlagen gekennzeichneten Lebens.

Porträt von Gerard de Lairesse, 1665–67, Öl auf Leinwand, Rembrandt van Rijn
Abb.1: Porträt von Gerard de Lairesse, 1665–67, Öl auf Leinwand, Rembrandt van Rijn
Porträt von Gerard de Lairesse, 1665–67, Öl auf Leinwand, Rembrandt van Rijn
Abb.1: Porträt von Gerard de Lairesse, 1665–67, Öl auf Leinwand, Rembrandt van Rijn

Im Alter von 59 Jahren portraitierte Rembrandt seinen 25-jährigen Malerkollegen und späteren Kunsthistoriker Gérard de Lairesse, bevor sich dieser der idealisierten klassizistischen Malweise verschrieben hatte. De Lairesse hatte sich nach seiner Erblindung im Jahre 1690 der Kunsttheorie gewidmet und äußerte sich zunehmend kritisch über die Malweise von Rembrandt als eine „[…] nur allzu bürgerliche Kunst, die in ihrem wirklichkeitstrunkenen Duktus zwar Kaufleuten, Ärzten und den Mitgliedern von Schützengilden behagen mochte, nicht aber adeligen Glanz und Größe zu verströmen vermag.“ In einer 1707 erschienenen theoretischen Schrift über die Kunst lästert er über die „raue und schlammige Malmanier“, der manche Meister im Alter verfielen, und kann damit nur den Stil seines älteren Kollegen Rembrandt gemeint haben.

Wie Exkremente würden Rembrandts Farben die Leinwand herunterlaufen, wütete de Lairesse angeekelt. Offenbar gefiel ihm sein Portrait aus des Meisters Hand nicht, der die Form der Nase naturgetreu wiedergegeben hatte (Abb. 1).

Spätmanifestation einer angeborenen Syphilis?

Diese zeigt eine deutliche Verformung und Einsenkung des knöchernen Nasengerüstes unterhalb der Stirne. Es ist nicht auszuschließen, dass diese von einer handgreiflichen Auseinandersetzung herrührte, die ihn zur Flucht aus Lüttich nach Amsterdam veranlasst hatte. Möglicherweise handelt es sich aber um die Spätmanifestation einer angeborenen Syphilis (Lues connata, Abb. 2). Kommt es bei der Mutter bis zur 30. Schwangerschaftswoche zu einer Infektion mit Treponema pallidum (Erreger der Syphilis), so führt dies entweder zu einem Abort oder das Kind kommt mit einer schweren sekundären Syphilis zur Welt, die sich zu einer Lues connata präcox (Frühmanifestation vor Vollendung des ersten Lebensjahres) oder Lues connata tarda (Symptome der Lues connata manifestieren sich bis zu vier Jahre nach der Geburt) mit typischen bleibenden Stigmata auswächst.

Lues connata, Sattelnase
Abb. 2: Sattelnase infolge des Einbruchs des knöchernen Nasengerüstes, Spätmanifestation einer Lues connata

Zu den frühen, nach der Geburt auftretenden Symptomen gehören eine Rhinitis syphilitica (Koryza syphilitica) mit eitrigem, schnarchendem Schnupfen infolge der ulzerierten nasalen Schleimhäute, Einsenkung des nasalen Knochengerüstes, eine interstielle Hepatitis mit Hepathosplenomegalie und Fibrose („Feuersteinleber“), Gelbsucht infolge der Leberstörung und einer hämolytischen Anämie.

Weiterhin finden sich eine Osteochondritis der langen Röhrenknochen und Störung des Epiphysenwachstums, was zu einer schmerzhaften Pseudoparalyse (Parrot’schen Pseudoparalysen) und zu bleibenden Deformitäten führt.

An der Haut treten in diesem frühen Stadium typische Sekundärsyphilitische Effloreszenzen, ähnlich wie bei Erwachsenen auf, jedoch mit dem Unterschied, dass bei der Lues congenita auch Bläschen und Blasen auftreten können; diese finden sich niemals bei der sekundären Syphilis eines Erwachsenen. Typisch sind die Hochsinger’schen Infiltrate im Bereich der Lippen, die die Grundlage für die spätere Entwicklung der Parrot’schen Lippenfurchen bilden.

Lues connata tarda in den Gemälden Alter Meister

Die späten Stigmata einer durchgemachen congenitalen Syphilis zeigen sich beim Jugendlichen ab dem späten Kindesalter in Form der Hutchinson Trias (Keratitis, Zahnstörungen, Schwerhörigkeit), Sattelnase infolge des Einbruchs des knöchernen Nasengerüstes (Abb. 2), Periostitis mit diversen knöchernen Verformungen (Higouménaki; Dubois) sowie Parrot’schen Lippenfurchen (Abb. 3), wie auf dem Portrait des Robert de Masminesvon Meister von Flémalle R. Campin (13751444) dargestellt.

a) Bildnis eines feisten Mannes, auch Bildnis des Robert de Masmines, vor 1430, Öl auf Holz, Meister von Flémalle; b) Parrot’sche Lippenfurchen
Abb. 3: a) Bildnis eines feisten Mannes, auch Bildnis des Robert de Masmines, vor 1430, Öl auf Holz, Meister von Flémalle; b) Parrot’sche Lippenfurchen

Horton Johnsons 2004 im Journal of the Royal Society of Medicine veröffentlichter Beitrag Gérard de Lairesse: genius among the treponemes beginnt mit dem Hinweis, dass „throughout history many an eminent career has ended in syphilis, but the brilliant career of Gérard de Lairesse (1641–1711) began in syphilis” – „Im Laufe der Geschichte endete so manch herausragende Karriere mit einer Syphilis, die glänzende Karriere von Gerard de Lairesse (1641–1711) begann mit einer.“2

Auch der Cranachaltar in der St. Wolfgangskirche zu Schneeberg/Sachsen bietet bei der Figur des Judas Hinweise auf eine Sattelnase als Spätmanifestation einer Lues connata.

DermARTologie – Das Inkarnat
Alterungsprozesse, Muttermale, Neubildungen, Veränderungen an Hautanhangsgebilden, Gewebe oder Gefäßen: Bei den Gemälden Großer Meister rezipiert der Betrachter meist das Ganze und übersieht dabei Details, die in dem Buch DermARTologie – Das Inkarnat (Springer-Verlag, 2022) von Prof. Dr. Günter Burg, Dr. Michael L. Geiges und der Kunsthistorikerin Cathérine Hug aus mehreren Tausend Kunstwerken aufgespürt und aus der Perspektive der Dermatologie eingeordnet und vergleichend mit Krankheitsbildern interpretiert werden. Zum Buch >>

Vor Einführung von Penicillin 1941 war die Syphilis eine häufige und chronisch in Stadien verlaufende Infektionskrankheit mit geringer Selbstheilungstendenz, an der auch der Humanist, Dichter, Kirchenkritiker und Reichsritter Ullrich von Hutten erkrankte und auf der Ufenau im Zürichsee unter Qualen („Pour un plaisir, mille douleurs”) verstarb.

Über den Autor
Prof. Dr. med. Günter Burg

Prof. Dr. med. Günter Burg ist deutsch-schweizerischer Dermatologe und hat durch seine Arbeiten auf dem Gebiet der Dermatoonkologie und Dermatohistopathologie, insbesondere der kutanen Lymphome und des malignen Melanoms, international wichtige Impulse gesetzt.

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