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Dermatologie

23. Juli 2022

Häufige Fehlerquellen in der Dermatologie

Irren ist menschlich – und damit auch ärztlich. Prof. Dr. Peter Elsner präsentierte die häufigsten Behandlungsfehler in der dermatologischen Praxis und gab wichtige Hinweise zur Prävention und dem richtigen Umgang. 1–4

Lesedauer: ca. 6 Minuten

Behandlungsfehler Medizin

Dieser Beitrag beruht auf dem Vortrag „Vorsicht Falle! Fehlerquellen in der Praxis“ von Prof. Dr. Peter Elsner (Gera) auf der 28. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie am 14.07.2022 in München | Autorin: Marie Fahrenhold

Ein lehrreicher Gutachtenfall

„Wir müssen einen aktiven Beitrag zur Patientensicherheit leisten, indem wir uns mit dem der Möglichkeit auseinandersetzen, dass auch im ärztlichen Handeln Fehler passieren“, verdeutlichte Prof. Dr. Peter Elsner, ehemaliger Direktor der Universitäts-Hautklinik Jena und mittlerweile an der SRH-Hautklinik-Ambulanz Gera sowie als Mitglied der Rechtsanwaltskammer auf dem Gebiet des Medizinrechts tätig. 1

Elsner stellte den Gutachtenfall eines Patienten vor, der aufgrund eines akuten arteriellen Verschlusses des linken Beines in einer Klinik behandelt worden war. Bereits auf dem Patientenbegleitblatt waren eine Novalgin- und Penicillinallergie vermerkt gewesen.

Kurz nach der Aufnahme erhielt der Patient trotzdem zur Schmerzbehandlung Novalgin sowie Tramadol i.v. und nach der Arterienthrombektomie prophylaktisch das Präparat Gramaxin® i.v. (Wirkstoff: Amoxicillin-trihydrat und Clavulansäure).

Wie zu erwarten war, entwickelte der Patient ein generalisiertes Exanthem, was das hinzugezogene dermatologische Team mittels Dermatohistologie als fixes toxisches Arzneimittelexanthem diagnostizierte. Im Entlassungsbericht wurden die Diagnosen Penicillin- und Novalgin-Allergie sowie ein fixiertes toxisches Arzneimittelexanthem festgestellt und eine allergologische Abklärung empfohlen. Letzteres sei aber nicht passiert, berichtete Elsner. Ebenso wenig habe der Patient einen Allergie-Pass erhalten.

„Ja ja – steht ja alles im Computer“

Vier Jahre später wurde der Patient mit starken Oberbauchschmerzen, Fieber, Schüttelfrost, Übelkeit und Durchfall in dasselbe Klinikum eingeliefert. Der Rettungsdienst hatte bereits eine Penicillinallergie auf den Dokumentationsbogen geschrieben. Da der Patient aufgrund der Schmerzen nicht auskunftsfähig war, wurde dessen Ehefrau befragt, die ausdrücklich und wiederholt auf die bestehende Novalgin- und Penicillinallergie hinwies. Dieser wurde daraufhin gesagt: „Ja, ja, kennen wir. Es steht ja alles im Computer.‘“

Am Aufnahmetag erhielt der Patient wieder Novalgin und Buscopan als Kurzinfusion, ab dem Folgetag das Ganze viermal täglich. Es entwickelte eine Hautrötung, die von den Internisten aufgrund des sommerlichen Wetters als Sonnenbrand interpretiert und mit einer Sonnenbrandcreme behandelt wurde. Am dritten Tag bekam er Novalgin und Buscopan nur noch zweimal, danach wurde es abgesetzt.

Nach fünf Tagen wurde der Patient aufgrund einer schweren Hautreaktion in die dermatologische Klinik verlegt. Die Diagnose lautete: Toxische epidermale Nekrolyse (TEN) bei bekannter Metamizol-Allergie basierend auf dem typischen klinischen Bild (Exantheme mit Bullae 70% der Körperoberfläche inkl. Genitale, enoral frei) und der entsprechenden Histologie.

Es wurde ein Verdachtspass ausgestellt und dem Expertengremium des Dokumentationszentrums schwerer Hautreaktionen (dZh) am Universitätsklinikum Freiburg vorgelegt. Diese kamen zu der Ansicht, dass Metamizol (Novalgin) die wahrscheinliche Ursache für die Auslösung des generalisierten, bullösen, fixen Arzneimittelexanthems war.

Ein Fehler kommt selten allein: Das Schweizer Käse Modell

„Eine wichtige Botschaft, die ich Ihnen mitgeben möchte: Ein Fehler kommt selten allein“, betonte Elsner. Hier kommt das sogenannte Schweizer Käse Modell (Abb. 1) ins Spiel. Dieses geht davon aus, dass aus einer Gefahr nur dann ein Unfall oder ein unerwünschtes Ereignis entstehen kann, wenn die dazwischen liegenden Kompensationsmechanismen (Menschen oder technische Vorkehrungen) versagen, also „Löcher“ entstanden sind. 2

Schweizer Käse Modell
Abb. 1: Swiss Cheese Model of System Accidents 3

Diese „Löcher“ entstehen durch aktives (Fehler und Verstöße von Ärztinnen oder Ärzten, Krankenschwestern oder Pflegepersonal etc.) und latentes menschliches Versagen (durch Entscheidungen, die auf höheren Stufen einer Organisation gefällt werden), werden durch beitragende Faktoren beeinflusst und sind außerdem „dynamisch“, das heißt sie öffnen, schließen oder verschieben sich über die Zeit.

Im präsentierten Fall hätten Fehler laut Elsner vermieden werden können, wenn bei Erstbehandlung das Aufnahmeblatt gelesen und danach gehandelt worden wäre – gleiches gilt für den Arztbrief nach Entlassung. In der Zweitbehandlung hätte man die Fremdanamnese der Ehefrau ernst nehmen müssen. Außerdem sei es wichtig, bei auftretenden Reaktionen rechtzeitig einen Expertenrat einzuholen und nicht tagelang zu warten, erklärt der Dermatologe.

Fehler im rechtlichen Sinne

Der Arzt bzw. die Ärztin ist verpflichtet, den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft anzuwenden. Die dabei einzuhaltenden Sorgfaltspflichten sind zahlreich, ebenso die möglichen Fehlerquellen. Letztere lassen einteilen in:

Behandlungsfehler
  • Behandlung nicht nach dem „den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden,
    allgemein anerkannten fachlichen Standard“. Dies ist nicht der „Goldstandard", sondern das, was ein durchschnittlicher Arzt des jeweiligen Fachbereichs erbringen kann (Facharztstandard).
  • Leitlinien sind hilfreich, Abweichung möglich („sind nicht letzte Weisheit“)
  • Experte muss Expertenstandard bieten!
Grobe Behandlungsfehler
  • „wenn der Arzt oder die Ärztin eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt oder einer Ärztin schlechterdings nicht unterlaufen darf.“
  • Beweislastumkehr für Schaden; das heißt, der Arzt oder die Ärztin muss beweisen, dass jeder Schaden, den der Patient reklamiert, nicht auf seine oder ihre Behandlung zurückzuführen ist.
Aufklärungsfehler
  • „sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände müssen aufgeklärt worden sein“
  • mündlich!
  • rechtzeitig (mind. 1 Tag vorher, bei stationärer Behandlung idealerweise vor der Aufnahme)
  • verständlich
  • Cave: Ästhetik! („Worst-Case-Szenario an Nebenwirkungen beschreiben“)
  • Beweislast für Aufklärung liegt bei Arzt/Ärztin
Befunderhebungsfehler
  • Medizinisch gebotener Befund wird nicht (rechtzeitig) erhoben
  • Klassiker: fehlende dermatologische Untersuchung eines Exzidates („Alles, was Sie exzidieren, sollten Sie dermatohistologisch untersuchen lassen.“)
  • Kann zur Beweislastumkehr führen
Sicherungsaufklärungsfehler
  • Fehlen der therapeutisch gebotenen Aufklärung des Patienten zur Sicherung des
    Heilerfolges, zum Schutz vor Unverträglichkeitsrisiken oder anderen
    Nachteilen,
  • oder die Unterrichtung der nachbehandelnden Ärztinnen oder Ärzte bzw. der Patientin oder des Patienten über erhobene Befunde zur Sicherung einer sachgerechten Nachbehandlung.
Dokumentationsfehler
  • alle wesentlichen Informationen und Behandlungsergebnisse, die aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung bedeutsam sind, müssen dokumentiert sein. Hierzu zählen insbesondere Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und Eingriffe sowie ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen sowie Arztbriefe von Vor- und Mitbehandlern.
  • In die Patientenkartei gehören außerdem: Laborergebnisse, Ausdrucke von Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren, Röntgenbilder, OP-Berichte, Narkoseprotokolle, Pflegebögen, pharmakologische Verordnungen und Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen. 4
Fehler aus „voll beherrschbarem Risiko“
  • Risiko, dessen Verwirklichung von der Behandlerseite auszuschließen ist
  • Klassiker: Vergessenes OP-Besteck im Bauchraum, Lagerungsschaden bei OP oder verwechselte Biopsie

Die häufigsten Fehler in der Dermatologie

Anhand einer Analyse der Behandlungsanlässe von 337 Gutachten der Norddeutschen Schlichtungsstelle (Elsner et al. 2022, in Submission) wird ersichtlich, dass Behandlungsfehler bei nahezu jeder Diagnose auftreten können – von Akne und Psoriasis bis zum Lipom. „Aber es häuft sich schon ein bisschen in der Onkologie“, fügte Elsner hinzu. Als häufigste Fehler in der Dermatoonkologie nannte er die versäumte Auflichtmikroskopie, eine versäumte Biopsie sowie eine dermatohistologische Fehldiagnose beim Melanom. Beim Basalzellkarzinom sind häufige Fehler eine nicht schnittrandkontrollierte Exzision sowie eine versäumte Nachexzision, wenn nicht in toto exzidiert wurde.

Die Gutachtenanalyse ergab ferner, dass sich in der Dermatologie nur jeder dritte Behandlungsfehlervorwurf bestätigt. In > 25% der Fälle kam es zu einem Schadensersatzanspruch. Der Großteil der bestätigten dermatologischen Behandlungsfehler hatte leichte bis mittelschwere permanente Folgen, 7% permanent schwerste gesundheitliche Folgen und 5% eine Todesfolge.

Fehler passiert – was tun?

Um Fehler zu vermeiden, sollte eine Sicherheitskultur etabliert werden – zum Beispiel mittels Checklisten, Leitlinien, Qualitätsmanagement, Kommunikation, Teamwork und CIRS (Berichts- und Lernsysteme).

Materialien zur Sicherheitskultur zum Download

Im Jahr 2005 wurde der gemeinnützige Verein Aktionsbündnis Patientensicherheit gegründet. Er setzt sich für eine sichere Gesundheitsversorgung ein und widmet sich der Erforschung, Entwicklung und Verbreitung dazu geeigneter Methoden. Weitere Informationen sowie kostenfreie Schulungsmaterialien für Sie selbst und/oder Ihr Praxisteam finden Sie hier.

Ist ein Fehler passiert, gilt es zunächst, den Schaden zu mindern. Des Weiteren ist es verpflichtend, den betroffenen Patienten zu informieren (s. BGB § 630c Abs. 2). „Man sollte sich aber eine gute Situation überlegen und das Gespräch idealerweise mit Zeugen, vielleicht Praxismitarbeitern, durchführen“, ergänzte Elsner.

Auch die Berufshaftpflichtversicherung sowie Vorgesetzte müssten informiert werden. Im Falle einer bestehenden Rechtsschutzversicherung, empfehle es sich, auch diese zu informieren.

Die Dokumentation sollte gesichert sein. Es kann laut Elsner hilfreich sein, zunächst ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen und dieses zur Akte legen. Er riet zudem, sich Zeugen zu sichern und anwaltlichen Rat einzuholen.

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