Antiinfektiva: Was ist wann sinnvoll?
„Ein Thema so breit wie wichtig“: Prof. Dr. Cord Sunderkötter, Halle (Saale), hat auf der 52. DDG-Tagung neue Erkenntnisse aus dem Gebiet der topischen und systemischen Antiinfektiva vorgestellt und erläutert, bei welcher Erkrankung welche Substanzen sinnvoll eingesetzt werden sollten.
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Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag „Topische und systemische antiinfektive Therapie – was ist sinnvoll, was ist machbar?“ von Prof. Dr. Cord Sunderkötter, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, am 28. April 2023 im Rahmen der 52. Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft e. V. in Berlin | Autorin: Marie Fahrenhold
Antimykotika gegen begrenzte Mykosen
„Antiinfektiva sind noch die wenigen kausalen Therapien, die wir haben. Wir packen das Übel an der Ursache an …“, leitete Prof. Dr. Cord Sunderkötter, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), seinen Vortrag ein.
Als Beispiel nannte der Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie die topischen Therapien der Nagelmykose, die dann zum Einsatz kommen, wenn weniger als 40 % der Nagelplatte (ohne Befall der Matrix) betroffen sind. In der neuen, „sehr sinnvollen und auch praxisnahen“ Leitlinie werden die beiden gängigen Substanzen (Amorolfin und Ciclopiroxolamin) aufgeführt.
Topische antimykotische Therapien seien darüber hinaus sinnvoll bei einzelnen Herden einer Tinea corporis und – das werde laut Sunderkötter gerne vergessen – bei der Tinea capitis. Zwar werde letztere primär systemisch behandelt, aber es brauche immer zusätzlich noch die Lokaltherapie, wodurch die Ansteckungsgefahr sofort gesenkt werden könne. Auch hier empfahl er die aktuelle Leitlinie.
Antiseptika nur auf infizierten Wunden notwendig
Zu den topischen Antiinfektiva gehören auch Antiseptika (keine Antibiotika!) gegen infizierte, nicht aber kolonisierte Wunden. Ob eine Wunde infiziert ist, macht sich bemerkbar durch Eiter und zusätzliche Kofaktoren wie Sistieren der Granulation, Nekrosen, einem rotlividen/ödematösen Rand, zunehmende Schmerzen und einem unterminierten Wundrand. Sunderkötter nannte als gängige Antiseptika Octenidin (nicht sinnvoll in tiefen Wundhöhlen – mögliche Nekrose), Polihexanid, Povidon-Jod (PVP-Jod) und Chlorhexidin (bedingt sinnvoll, Erreger-Lücken).
Im Anschluss des Vortrags kam im Auditorium die Frage auf, ob PVP-Jod nicht obsolet sei, weil es einen negativen Effekt auf die Wundheilung habe. Sunderkötter antwortete: „Das habe ich auch gehört. Aber es gibt neuere Untersuchungen, die gezeigt haben, dass es so schädlich gar nicht ist.“ Eine Stimme aus dem Auditorium ergänzte: „Nein, PVP-Jod ist nicht obsolet und wirkt extrem gut gegen Viren, Bakterien, Pilze. […] So steht es auch in der Leitlinie für die chronischen Wunden.“
Kolonisierte Wunden hingegen werden nur mit NaCl (Kochsalz) gespült – „das spült die meisten Bakterien weg. Den Rest schafft das Wundsekret.“
Eine 21-jährige Patientin, die sich schon einmal vor sieben Jahren mit dem Verdacht auf ein atopisches Handekzem vorgestellt hatte, kam diesmal mit einem neuen Ekzemherd am Bauch in die Praxis, der schon seit einigen Wochen bestünde und langsam größer würde. Wie würden Sie therapieren?
Topische Therapie von Herpes simplex labialis
Für die Behandlung eines rezidivierenden Herpes simplex (HSV) empfahl der Experte initial Aciclovir und ergänzte: „Ich kann nur empfehlen, geben Sie gleich ein Steroid dazu.“ Hier gebe es bereits einige Kombinationen, die schon länger auf dem Markt sind. „Ich habe immer den Eindruck, die werden kaum beworben. Aber die sind sinnvoll.“
Auch in Studien konnte gezeigt werden, dass die Kombination wirksamer als topische Virostatika oder Kortikosteroide alleine ist und noch im Bläschenstadium hilfreich sein kann. „Aber bitte nicht die Steroide alleine“, fügte Sunderkötter hinzu. Sein Tipp: Das Ganze mit einem Wattestäbchen und nicht mit den Fingern auftragen.
Bei erwartbaren schweren Verläufen solle binnen 24–48 Stunden kurzzeitig mit einem Virostatikum p.o. behandelt werden, ebenfalls in Kombination mit einem topischen Steroid. „Das ist sinnvolle systemische Therapie“, konstatierte der Dermatologe.
Für die Rezidivprophylaxe einer HSV-Infektion nannte Sunderkötter:
- Sonnenschutzcreme
- Antivirale Systemtherapie: Aciclovir 2 x 400 mg/Tag (zunächst für 4 Monate) oder Valaciclovir 500 mg/Tag (zunächst für 4 Monate). Cave: „Das darf nicht lebenslang gemacht werden“, warnte der Referent. Bei längerem Gebrauch seien kristalline Ablagerungen in der Niere oder Hepatopathie möglich – ohne Vorwarnung.
- ggf. präventive Kurzzeittherapie („proaktiv“) vor Exposition bei bekannten Triggerfaktoren (Menstruation, UV-Belastung, Fieber)
Skabies: Permethrin sinnvoll, aber Neues zu beachten
Permethrin werde sinnvollerweise bei Skabies eingesetzt, allerdings gebe es hier einige Dinge zu beachten, erklärte der Experte:
- Eine in diesem Jahr publizierte Studie hat ergeben, dass Permethrin so stark an Keratin bindet, dass im Falle von Hyperkeratosen ein „Steal effect“ eintritt – der Wirkstoff also am eigentlichen Wirkort nicht mehr ankommt. Daher muss zunächst eine Vorbehandlung (Entfernung der Schuppung) erfolgen.
- Die Haut muss trocken sein; Permethrin sollte frühestens 30 Minuten nach dem Duschen aufgetragen werden (anders als in Leitlinie!)
- Kopf (sicherheitshalber) mitbehandeln, insbesondere bei älteren Menschen (anders als in Leitlinie!)
- Aktuelle Daten von Sunderkötter und seinem Team zeigen, dass die meisten Milben an den Händen sind. Daher ist das wiederholte Auftragen von Permethrin nach dem Händewaschen essenziell. Ein weiterer Anwendungsfehler ist die zu kurze Einwirkzeit.
Zur systemischen Therapie der Skabies steht Ivermectin zur Verfügung, in einer Dosis von 200 µg/kg Körpergewicht und immer mit einer zweiten Dosis nach 7–14 Tagen. Als genetischer Resistenzfaktor gegenüber Ivermectin und damit ein möglicher Grund für das Therapieversagen nannte Sunderkötter ein Polymorphismus im P-Glycoprotein-Gen. Um einem Therapieversagen vorzubeugen, sei bei der Systemtherapie mit Ivermectin Folgendes zu beachten:
- keine gleichzeitige Einnahme von P-Glycoprotein-Inhibitoren (z. B. Morphin, Carbamezepin, Terfenandin, Verapamil),
- zweimalige Gabe einhalten und
- Anwendungsfehler, aber auch Missverständnisse auf Patientenseite nach Möglichkeit vermeiden (z. B. statt 6 Tabletten an 2 Tagen, fälschlicherweise 2 Tabletten an 6 Tage).
Ivermectin besser auf vollen Magen?
Ivermectin wurde ursprünglich gegen Wurmerkrankungen angewendet – natürlich sei es dann sinnvoll, das Mittel nüchtern einzunehmen, erklärte der Referent. Aber: „Die Resorption gleichwohl ist besser mit Nahrung!“
Sämtliche Zulassungs- und Sicherheitsdaten seien zwar für die Einnahme auf nüchternen Magen erhoben worden, weshalb die Firma diesbezüglich keine Empfehlung aussprechen könne, Sunderkötter gehe jedoch davon aus, dass das Mittel durchaus zugunsten einer besseren Resorption auf vollen Magen eingenommen werden könne.
Neues Antiparasitikum in der Pipeline?
„Wir warten alle auf das Moxidectin. Das kommt aus der gleichen Reihe und hat eine längere Halbwertzeit“, so der Dermatologe. Momentan liegen die Rechte bei einer Firma in Australien. Es habe bereits erste Fallserien gegeben, die gezeigt hätten, dass der antiparasitäre Wirkstoff aus der Gruppe der Milbemycine wirksamer als Ivermectin sein könnte, berichtete Sunderkötter weiter. Die Studie sei durch, die Ergebnisse aber noch nicht publiziert worden. „Schauen wir mal, ob da ein neues Mittel demnächst auf den Markt kommt.“