Erythrodermie und Blasenbildung bei einem Neugeborenen
Erfahren Sie im zweiten Teil der Kasuistik, welche Diagnose hinter den Symptomen steckt und welche Therapie das Neugeborene während seines 4‑wöchigen Aufenthaltes auf der Intensivstation erhalten hat.
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Dieser Beitrag basiert auf dem Artikel von Gasslitter I, Kohlmaier B, Schwaberger B et al. Erythrodermie und Blasenbildung bei einem Neugeborenen. Dermatologie. 2023; DOI: 10.1007/s00105-023-05141-6 | Redaktion: Marie Fahrenhold
Verdachtsdiagnosen
Es wurde die Verdachtsdiagnose einer kongenitalen Ichthyose, Typ keratinopathische Ichthyose gestellt. Differenzialdiagnostisch musste an eine Epidermolysis bullosa, toxische epidermale Nekrolyse, ein „staphylococcal scaled skin syndrome“, weitere Infektionen mit Bakterien (Listerien, Haemophilus influenzae), Pilzen oder Viren (HSV (Herpes-simplex-Virus), VZV (Varizella-Zoster-Virus), Coxsackie, CMV (Zytomegalievirus)), eine (bullöse) Skabies oder eine Lues congenita gedacht werden.
Weitere Befunde
Die Exomsequenzierung mit HPO-Term-Auswertung zeigte die heterozygote Missense-Mutation c.562A > G im KRT1-Gen, die zu einer Aminosäurensubstitution p.(ASN188Asp) führt. Sie wird in SIFT und POLYPHEN als pathogen angeführt und wurde bereits in der Literatur bei einem Patienten mit epidermolytischer Ichthyose berichtet. 3
Diagnose
Somit konnte die klinische Verdachtsdiagnose einer epidermolytischen Ichthyose auf molekularer Ebene bestätigt werden.
Therapie und Verlauf
Es erfolgte eine umfangreiche Aufklärung der Eltern über Prognose, Verlauf und Therapieoptionen sowie eine genetische Beratung. Der Kontakt mit der deutschen Selbsthilfegruppe Ichthyose e. V. und einer anderen betroffenen Familie in Österreich wurde vermittelt.
Während des 4‑wöchigen Aufenthaltes an der Intensivstation erhielt das Kind eine analgetische Therapie mit Morphin, eine antibiotische Therapie bei Erhöhung der Entzündungswerte, Elektrolyt‑, Vitamin- und Eisensubstitutionen sowie eine hochkalorische Ernährung. Die Lokaltherapie erfolgte mit einer Dexpanthenol-haltigen Wund- und Heilsalbe 5‑mal täglich.
Bei einer Kontrolle 6 Wochen später zeigte der Säugling eine Erythrodermie mit vereinzelten Erosionen und palmoplantaren Hyperkeratosen (Abb. 1 und Abb. 2). Anamnestisch berichtete die Mutter über rezidivierende Blasenbildung. Die Lokaltherapie erfolgte mit Sonnenblumenöl in Unguentum Cordes, Ölbädern und antiseptischem Wundmanagement.




Definition
Ichthyosen sind eine Gruppe genetisch bedingter Hauterkrankungen, denen eine Störung der Barrierefunktion und folgend eine pathologische Verhornung gemeinsam ist. Sie werden in nichtsyndromale und syndromale Ichthyosen eingeteilt, wobei Letztere mit einer Beteiligung anderer Organe einhergehen. 1
Die seltene epidermolytische Ichthyose zählt zu den nichtsyndromalen Ichthyosen und wird durch Mutationen in den Genen Keratin‑1 (KRT1) oder Keratin-10 (KRT10) verursacht. Sie wird überwiegend autosomal-dominant vererbt. Die epidermolytische Ichthyose manifestiert sich bei Geburt mit einer kongenitalen ichthyosiformen Erythrodermie mit einem unterschiedlichen Ausmaß an Blasen und Erosionen (Bild des „verbrühten Kindes“). Im Kindesalter nimmt die Blasenbildung ab, und es entwickelt sich eine zunehmende Hyperkeratose, v. a. im Nacken, um die großen Beugen und an den Extremitätenstreckseiten. Kinder mit KRT1-Muationen zeigen zudem eine diffuse palmoplantare Hyperkeratose. 2
Fazit
Bei Neugeborenen mit Erythrodermie und Blasenbildung muss an eine epidermolytische Ichthyose gedacht werden. Es ist eine intensivmedizinische Überwachung wegen der erhöhten Infektionsgefahr durch die gestörte Hautbarrierefunktion und die ausgedehnten Erosionen notwendig. 4
Differenzialdiagnostisch stellen kutane Infektionen die häufigste Ursache für Erosionen und Blasen in der Neonatalperiode dar, weshalb eine ausführliche Erregerdiagnostik essenziell ist.
Eine schnelle Diagnose bei Neugeborenen mit Verdacht auf eine Genodermatose ist wichtig für eine frühe Information der Eltern über Prognose und Verlauf, gezielte humangenetische Beratung, Kostenersatz für Medikamente sowie die Kontaktaufnahme zu Selbsthilfegruppen und stellt eine Entscheidungshilfe für weitere Untersuchungen und zielgerichtete Therapien dar. Die molekulargenetische Analyse zur Diagnostik von Ichthyosen hat andere invasive Methoden in den Hintergrund gestellt. Der Nutzen von Hautbiopsien beim Neugeborenen muss aufgrund der erhöhten Infektionsgefahr streng abgewogen werden. 4,5
Die Therapie der epidermolytischen Ichthyose erfolgt im Kindesalter mit intensiven lokaltherapeutischen Maßnahmen, orale Retinoide sind üblicherweise erst im Erwachsenenalter erforderlich. 5 Hoffnungsvolle zukünftige Behandlungsansätze sind Enzymersatz- und Gentherapien, diese befinden sich allerdings noch in einem frühen Entwicklungsstadium.
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