
Post-Covid trifft alle Altersgruppen
Viele Menschen haben auch Monate nach einer Covid-19-Erkrankung noch gesundheitliche Probleme. Daten für Deutschland liefert eine Studie unter Leitung Dresdner Forscherinnen und Forscher. Wie die Ergebnisse insbesondere bei Kindern und Jugendlichen zu bewerten sind und wie robust das Studiendesign erscheint, erfragte das Science Media Center bei Fachleuten. 1–3
Lesedauer: ca. 9 Minuten

Redaktion: Dr. Linda Fischer
Bisher war weitgehend unklar, wie stark Kinder und Jugendliche von Post-Covid betroffen sind. Eine im Fachblatt ,,PLOS Medicine" veröffentlichte Studie unter Leitung der Uniklinik Dresden zeigt nun, dass auch sie teilweise noch über Monate mit Beschwerden zu kämpfen haben – allerdings deutlich weniger häufig als Erwachsene. Die Ursachen für das Post-Covid-Syndrom bleiben indes weiter unklar.1,2
Studie mit Daten 6 deutscher Krankenkassen
Als Long-Covid definieren die deutschen Patientenleitlinien Beschwerden, die länger als 4 Wochen nach der Corona-Infektion bestehen, als Unterform Post-Covid dauern sie länger als 12 Wochen an.
Für die Studie nutzten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Daten 6 deutscher Krankenkassen, um zu bestimmen, wie oft bestimmte Langzeit-Symptome bei durch einen PCR-Test bestätigten Covid-19-Fällen auftraten. Insgesamt umfasste der Datensatz der Studie fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Informationen von 11.950 Kindern und Jugendlichen bis 17 Jahren sowie von 145.184 Erwachsenen (bis 49 Jahre) mit einer Covid-19-Erkrankung im Jahr 2020 wurden ausgewertet. Darüber hinaus wählten die Forschenden für jede Person aus der untersuchten Kohorte 5 entsprechende Kontrollpersonen ohne gemeldete Corona-Infektion aus. Dann verglichen sie, wie viel häufiger bestimmte Symptome mindestens 3 Monate nach der Infektion bei den Covid-19-Betroffenen auftraten.
Kinder & Jugendliche seltener betroffen als Erwachsene
Das Ergebnis: Insgesamt war die Wahrscheinlichkeit, dass während der ersten Pandemiewelle an Covid-19 erkrankte Kinder und Jugendliche 3 Monate oder länger nach der Infektion dokumentierte Gesundheitsprobleme hatten, um 30 % höher als in der Kontrollkohorte. Am häufigsten klagten die Heranwachsenden über Unwohlsein und Erschöpfung, Husten, Schmerzen im Hals- und Brustbereich, aber auch Anpassungsstörungen. Bei den Erwachsenen war die Rate derjenigen, die ein Vierteljahr nach der Infektion ärztliche Diagnosen aufgrund von physischen und psychischen Symptomen erhielten, um 41 % höher als bei den Kindern und Jugendlichen.
Dennoch Ergebnisse für alle Altersgruppen statistisch signifikant
Bei ihnen wurden am häufigsten langanhaltende Geruchs- und Geschmacksstörungen, Fieber, Atemnot (Dyspnoe) und Husten in den Krankenakten vermerkt. Die Autorinnen und Autoren der Studie, zu denen auch Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), gehört, fassen zusammen: ,,Wir fanden heraus, dass die Covid-19-Diagnose mit einer höheren langfristigen Nachfrage nach Gesundheitsleistungen verbunden war, was sich in ambulanten und stationären Diagnosen einer breiten Palette von Ergebnissen mehr als 3 Monate nach einer bestätigten SARS-CoV-2-Infektion widerspiegelte. Kinder und Jugendliche scheinen zwar weniger betroffen zu sein als Erwachsene, aber diese Ergebnisse sind für alle Altersgruppen statistisch signifikant."
Stärken der Studie: Große Kontrollgruppe, lange Beobachtung
Gerade die Berücksichtigung von Heranwachsenden mit einer großen Kontrollgruppe sowie der relativ lange Beobachtungszeitraum machen für Winfried Kern von der Klinik für Innere Medizin des Universitätsklinikums Freiburg die Stärken der Dresdner Arbeit aus.
Schwäche: Nur über Arztkontakt ermittelte Beschwerden
,,Die Studie kann sehr gut beschreiben, wie viele Menschen nach einer Covid-Infektion wegen Beschwerden häufiger zum Arzt gehen als die Kontrollkohorte", sagte er in einer unabhängigen Einschätzung der Deutschen Presse-Agentur. Allerdings bedeute das Untersuchungsdesign auch, dass eben nur die über einen Arztkontakt ermittelten Beschwerdekomplexe erfasst worden seien: ,,Wahrscheinlich sind Müdigkeit, Erschöpfbarkeit sowie Gedächtnisprobleme und Konzentrationsschwächen deswegen in dieser Studie nicht so dominant."
Untersuchung zu möglichen Biomarkern läuft
Darüber hinaus stelle die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen keinen exakten Indikator für Einschränkungen in der Alltagsfunktionalität dar, so Kern. Der Infektiologe hatte selbst eine Post-Covid-Studie in Baden-Württemberg geleitet, deren Ergebnisse kürzlich im ,,British Medical Journal" veröffentlicht wurden. Diese zeigte, dass etwa ein Viertel der 12.000 Studienteilnehmenden im Alter zwischen 18 und 65 Jahren 6–12 Monate nach einer Corona-Infektion unter erheblichen Langzeitfolgen leidet – und dadurch stark in Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist. Aktuell vergleicht Kerns Forschungsgruppe in einer Nachuntersuchung, inwiefern sich Corona-Erkrankte mit und ohne Post-Covid-Symptomatik unterscheiden, um so möglichen Biomarkern auf die Spur zu kommen. Erste Studien legen hier nahe, dass bestimmte Blutproteine, aber auch ein niedriger Cortisolwert messbare Parameter sein könnten.
Mögliche Biomarker: Durchblutungsstörung, ZNS-Schädigung
Eine Bestimmung von Biomarkern könnte zudem helfen, die Ursachen für die Covid-19-Langzeitfolgen zu erklären. Dabei stehen laut Winfried Kern neben Durchblutungsstörungen auch Schädigungen des Nervensystems (ZNS) in der Diskussion. Geriete etwa das autonome Nervensystem in Mitleidenschaft, das unter anderem Kreislauf und Blutdruck reguliere, würde das Beschwerden wie Erschöpfbarkeit gut erklären. ,,Hier ist allerdings noch Grundlagenforschung nötig", betont der Infektiologe. Schon jetzt deute sich indes an, dass das Post-Covid-Risiko bei einer Omikron-Infektion geringer sei.
Kongress des Ärzte- und Ärztinnenverbands Long Covid im November
Fragen wie diese werden kommende Woche beim ersten Kongress des neu gegründeten Ärzte- und Ärztinnenverbands Long Covid diskutiert, der am 18. und 19. November in Jena unter der Schirmherrschaft von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stattfindet. Ein Thema werden dort auch mögliche Therapieformen sein, bei denen aber ebenfalls noch große Forschungslücken klaffen, wie Experte Kern unterstreicht: ,,So lange man die genaueren Ursachen nicht kennt, bleiben Therapieoptionen experimentell."
Statements von Fachleuten zu der Post-Covid-Studie
Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Berlin, und niedergelassener Neurologe sowie Mitautor der S1-Leitlinie Long/Post-Covid
„Stärken dieser Studie der TU Dresden sind die große Zahl von erfassten Daten durch die Kooperation mit einigen deutschen Krankenkassen, der Nachweis der Sars-CoV-2-Infektion mittels PCR und der Vergleich mit Alters- und Geschlecht-gematchten nicht-infizierten Versicherten. Dies macht die Zahlen zur Inzidenz von Long Covid und der Symptom-Cluster bei Erwachsenen sowie Kindern und Jugendlichen recht verlässlich, auch wenn die Daten retrospektiv ausgewertet wurden. Bei Erwachsenen waren Riech- und Schmeck-Störungen (Anosmie/Ageusie), Fieber und Atemnot (Dyspnoe), bei Kindern Erschöpfung (Fatigue), Husten und Brustschmerzen am häufigsten. Berücksichtigt wurden Infektionen bis Mitte 2020, was bedeutet, dass weder Infektionen durch die Omikron-Variante noch Effekte der SARS-CoV-2-Impfungen erfasst wurden. Klar wird, dass Long Covid sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern ein wichtiges Thema ist, auch nach mildem Verlauf der Akutinfektion.“
„Probleme der Studie ergeben sich allerdings auch aus der Auswertung von Krankenkassendaten: Die Verschlüsselungsqualität limitiert die Wertigkeit der Ergebnisse, ebenso die retrospektive Auswertung. Es liegen Daten von 1,2 Millionen an Covid-19-Erkrankten aus 22 Ländern vor, darunter auch Deutschland, aus der Zeit zwischen März 2020 und Januar 2022 mit Auswertung von 54 gepoolten Studien und zwei medizinischen Datenbanken. Sie zeigen, dass respiratorische Probleme, eine Fatigue-Symptomatik und kognitive Beeinträchtigungen bei Post Covid am häufigsten sind.“4
„In einer Auswertung von Gesundheitsdaten des US Department of Veterans Affairs wurden drei Kohorten verglichen: 154.068 Personen mit Covid-19-Erkrankung, 5.638.795 zeitgleich nicht Covid-Erkrankte und 5.859,621 historische Kontrollen (vor der Pandemie) mit einem Follow-up von 400 Tagen. Es zeigte sich eine hohe Inzidenz vonAnosmie/Ageusie, Myalgien und kognitiven Problemen, aber auch ein erhöhtes Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse bis zu einem Jahr nach der Infektion.5 Dass es unterschiedliche neurologische Manifestationen im COVID-19-Akutverlauf bei Erwachsenen und Kindern gibt, zeigt die Arbeit von Cho SM, White N, Premraj L et al.“6
„Die vorliegende Studie bestätigt nun für Deutschland die international beschriebenen Post-Covid-Symptomcluster bei Erwachsenen und zeigt, dass Kinder ein anderes Muster auch postakut haben. Was leider auch diese Studie nicht zeigen kann, ist, ob tatsächlich ein Kausalzusammenhang zwischen SARS-CoV-2-Infektion und allen hier beschriebenen Symptomen besteht.“
„In einer prospektiven Fall-Kontroll-Studie von Juli 2020 bis Juli 2021 wurden hospitalisierte Covid-19-Überlebende und Kontrollen mit vergleichbar schwerer hospitalisierungspflichtiger Nicht-Covid-19-Erkrankung verglichen. Was sich dabei zeigte, war, dass die Häufigkeit neuropsychiatrischer Diagnosen nach sechs Monaten in der Covid-19-Gruppe und der Kontrollgruppe nicht signifikant unterschiedlich war! Lediglich der Verlust des Geruchssinns (Anosmie) war nach Covid-19 signifikant häufiger.7 Dies bedeutet, dass die Ergebnisse aller retrospektiven Observationsstudien mit Vorsicht betrachtet werden müssen.“
Prof. Dr. Clara Lehmann, Fachärztin für Innere Medizin, Infektiologie, Reisemedizin und Leiterin des Infektionsschutzzentrums, Uniklinik Köln
„Insgesamt erscheint diese Arbeit sehr solide und sorgfältig ausgeführt. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es eine Vielzahl Post-Covid-Prävalenzstudien ohne Kontrollgruppe gibt, sodass es wahrscheinlich zu falsch positiven Post-Covid-Fällen kommt (eigentlich dann als psychosoziale Reaktion zu werten durch die besondere Belastung der Allgemeinbevölkerung durch die Pandemie).“
„Die Dresdner Studie hat mehrere Pluspunkte: Es gibt eine gut gewählte Kontrollgruppe, was ja sonst schon selten ist. Dann ist es insgesamt eine große Kohorte, insbesondere mit Kindern. Die Forschenden halten sich an die zeitliche Definition entsprechend der NICE-Kriterien beziehungsweise der WHO, also Persistenz der Symptome über mehr als zwölf Wochen. Auch die Notwendigkeit des SARS-CoV-2-Nachweises per PCR ist erwähnenswert (derlei Kriterien sind häufig nicht vorhanden). Die Diagnosen wurden durch einen Arzt oder Psychotherapeuten gestellt, also im Rahmen einer Präsenzvisite, nicht via App oder Selbsteinschätzung. Zusammenfassend untermauern die Ergebnisse viele bereits bekannte Daten.“
„Es gibt allerdings auch einige Kritikpunkte, die erwähnt werden sollten: Die Vermischung von stationären (sogar intensivmedizinischen) und ambulanten Fällen verzerrt das Bild. Zudem ist das Follow-up mit nur sechs Monaten relativ kurz. Alle Daten beziehen sich auf eine Zeit, in der die Ursprungsvariante von SARS-CoV-2 (Wuhan) vorherrschend war, die ein viel aggressiverer Virusstamm war als heute zirkulierende Stämme. Darüber hinaus muss erwähnt werden, dass es sich in dieser Kohorte um ungeimpfte Personen handelt, die wir in dieser Form aktuell nicht mehr finden. Die beiden letzten Punkte werden in einem Satz in der Diskussion erwähnt, sind jedoch meiner Meinung ganz zentral in der Wertung der Ergebnisse. Nichtsdestotrotz ist Post Covid ein relevantes postvirales Syndrom mit nachgewiesenen Pathologien und betroffenen Patient:innen.“
Prof. Dr. Martin Scherer, Leiter des Instituts und der Poliklinik für Allgemeinmedizin sowie Leiter des Zentrums für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
„Die neue Studie aus Dresden zu Long/Post Covid basiert auf Versicherungsdaten von über 150.000 Menschen, die in verschiedenen gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland versichert sind. In der Studie werden sorgfältig aufbereitete Daten aus dem Versorgungsalltag dargestellt. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin begrüßt diese erste große deutsche Studie zu den Long- und Post-Covid-Auswirkungen bei Kindern und Jugendlichen.“
„Unserer Einschätzung nach können die Studienergebnisse in der hausärztlichen Praxis dabei helfen, Beschwerden und Erkrankungshäufigkeiten in der aktuellen Situation einzuordnen, da sich die Auswirkungen der Pandemie sowohl infektiologisch als auch psychosozial nicht immer leicht differenzieren lassen. Bei dieser Einordnung ist die Erkrankungswahrscheinlichkeit ein wichtiger Ausgangswert, zu dem die Studie nun ebenfalls neue Erkenntnisse ermöglicht.“
„Die Studie zeigt, dass Long/Post Covid auch bei Kindern und Jugendlichen auftritt. Die Symptome unterscheiden sich aber von denen von Erwachsenen deutlich und sind insgesamt auch seltener. Allerdings gibt es aufgrund des Studiendesigns auch Einschränkungen bei der Aussagekraft der erhobenen Daten: Die Studie ist eine retrospektive Matched-Control-Studie, die auf Routine-Daten und insbesondere Diagnosecodierungen basiert, sodass es hier erhebliche Unschärfen gibt. Damit wird es schwer, sicher zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden.“
„Außerdem ist bekannt, dass die Kodierqualität für Erkrankungen und Symptome nicht unbedingt immer der realen Krankheitsschwere entspricht. Dazu kommt, dass die Daten im ersten Halbjahr 2020 erhoben wurden, zu einem Zeitpunkt, wo ausschließlich der Wildtyp von SARS-CoV-2 vorherrschend war und die Bevölkerung noch keinerlei Schutz durch vorherige Infektionen und Impfungen hatte. Es wäre deshalb problematisch, die Aussagen auf aktuelle Wellen zu übertragen.“
„Last but not least weisen die Studien-Autor:innen selbst darauf hin, dass die Ergebnisse teils im Widerspruch zu anderen (europäischen) Studien stehen, in denen sich weniger starke Auswirkungen bei Kindern und Jugendlichen zeigten. Wir hoffen, dass es in Zukunft noch weitere (auch deutsche) Studien geben wird, die uns Hausärztinnen und Hausärzten bei Prävention, Diagnostik und Therapie von Long-/Post-Covid Patient:innen helfen können.“