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Covid-19 in der Praxis

26. Aug. 2022

Covid-19-Risiko mit Wetter-App vorhersagen?

Ein US-Ehepaar hat eine vielversprechende Vision: Eine „Covid-19-Vorhersage“ basierend auf der gleichen Technologie, die auch Wetter-Apps verwenden. Tapio Schneider ist Klimawissenschaftler, seine Frau ist Maschinenbauingenieurin. In vielerlei Hinsicht ging es ihnen während der Corona-Pandemie wie vielen anderen Familien auch: zwei kleine Kinder, die nicht zur Schule gingen, und endlose Zoom-Meetings von zu Hause aus.

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Wetter App Handy

Autorin: Laura Tedesco | Redaktion: Marina Urbanietz

„Wir haben uns wie alle anderen zu Hause verkrochen und darüber gesprochen, wie Lockdowns vermieden werden könnten“, erinnert sich Schneider, Professor für Umweltwissenschaften am California Institute of Technology und leitender Wissenschaftler am Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA. Er war der Meinung, dass Lockdowns nie wirklich gut funktionierten.

„Selbst auf dem Höhepunkt der Pandemie waren nur 1-2 % der Bevölkerung tatsächlich ansteckend“, sagt er. „98% hingegen mussten nicht isoliert werden.“ Aber das Problem war es herauszufinden, wer diese infektiösen Menschen waren. Dann kam ihm die Idee: Was wäre, wenn er eine „Covid-19-Vorhersage“ mit der gleichen Technologie erstellen könnte, die auch Wetter-Apps verwenden?

Studienergebnisse vielversprechend

Schneiders Frau, ebenfalls Professorin am California Institute of Technology, untersuchte Körpertemperatursensoren. Vielleicht könnten die Daten ähnlicher Geräte mit den Daten von Covid-19-Tests kombiniert werden, um das individuelle Ansteckungsrisiko vorherzusagen? Wenn man diese Daten an eine App sendet, könnte jeder Benutzer sein persönliches Risiko direkt auf seinem Smartphone sehen.

Tapio Schneider hat ein internationales Team zusammengestellt, um herauszufinden, ob eine solche App bei der Kontrolle der Covid-19-Pandemie tatsächlich helfen könnte. Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend und wurden bereits in der Fachzeitschrift „PLOS Computational Biology“ publiziert.

Wie eine Covid-19-Vorhersage-App funktioniert

Jeder, der einmal eine Wetter-App benutzt hat, hat sich darüber aufgeregt, dass die Wochenendvorhersage am Montag ganz anders aussehen kann als am Freitag. Das liegt an der riesigen Menge an Daten, die ständig importiert werden und die Genauigkeit der Vorhersage erhöhen, je näher das tatsächliche Datum rückt.

Alle 12 Stunden wird eine Analyse durchgeführt. In einem ersten Schritt wird der aktuelle Zustand der Atmosphäre erfasst – u.a. Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit. Diese Informationen werden mit der Vorhersage von vor 12 Stunden synchronisiert und dann in ein Modell eingefügt. Ein Algorithmus sagt voraus, wie die Bedingungen in den kommenden 12 Stunden sein werden, die Wetter-App wird aktualisiert, und einen halben Tag später wiederholt sich der Zyklus.

Die Covid-19-App von Schneider und seinem Team würde eine ähnliche Methode anwenden, indem die Infektionsdaten in ein Krankheitsverfolgungsmodell einfügt werden. Dabei soll der Weg von der Exposition über die Infektion bis hin zur Genesung aufgezeichnet werden. Die dafür benötigten Daten würden die Ergebnisse von Covid-19-Tests genauso umfassen, wie die Virusmenge im lokalen Abwasser.

„Das Entscheidende ist, dass es sich dabei um personenbezogene Daten handelt“, erklärt Schneider. Die App würde nicht nur den Prozentsatz der Infizierten in einer Stadt vorhersagen, sondern auf der Grundlage der Daten, die Bluetooth-fähige Geräte aufnehmen, das individuelle Infektionsrisiko bewerten.

Wie effektiv wäre die App?

In der Studie erstellten Schneider und sein Team eine Simulationsstadt, die New York in der Frühphase der Pandemie nachempfunden war. Das Datennetz umfasste Tausende von sich kreuzenden Punkten, von denen jeder eine Person darstellte - einige mit vielen täglichen Interaktionen, andere mit wenigen.

Die Simulationen ergaben, dass wenn 75 % der Menschen eine solche App nutzen und sich wie empfohlen selbst isolieren würden, könnte die Pandemie wirksam bekämpft werden. Voraussetzung hierfür sind allerdings auch hohe diagnostische Raten.  

„Es ist genau so effektiv wie ein Lockdown, mit dem Unterschied, dass sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung gleichzeitig isolieren müsste, etwa 10%“, sagt Schneider. „Die meisten Menschen könnten ihr Leben normal weiterführen“. Die Frage, die allerdings offenbleibt: Werden denn je 75% aller Menschen eine solche App nutzen?

Datenschutzbedenken

Eine weitere potenzielle Herausforderung ist die Überwindung von Datenschutzbedenken, auch wenn die Daten anonymisiert werden. Wenn man mit kleineren Gruppen beginnt, z. B. an den Universitäten oder am Arbeitsplatz, könnte die Akzeptanz größer sein, sagt Schneider. Zudem scheinen jüngere Menschen eher bereit zu sein, ihre Gesundheitsdaten preiszugeben, vor allem, wenn dadurch ein weiterer Lockdown verhindert werden kann, so Schneider weiter. Anm. der Redaktion: Prof. Schneider bezieht sich auf die Situation in den USA, hierzulande dürfte es datenschutzrechtlich komplizierter sein.

Die Methode ist nicht neu

Die mathematische Modellierung für Infektionskrankheiten ist nicht neu. Bereits während der H1N1-Pandemie (Schweinegrippe) nutzte die CDC die Methode, um die Ausbreitung einzudämmen. Auch beim Zika-Virus nutzten die Forscher mathematische Modellierungen, um den Zusammenhang zwischen dem Virus und der Mikrozephalie besser zu verstehen. Laut einer aktuellen Studie (Clinical Infectious Diseases, 1 March 2022) hat sich die mathematische Modellierung bisher in allen Fällen als nützlich erwiesen.

Aufgrund der hohen Zahl der symptomlosen Infizierten und der kurzen Inkubationszeit ist die Kontaktnachverfolgung nur begrenzt in der Lage, die Ausbreitung von Covid-19 zu kontrollieren. Wenn man mehrere Datenquellen mit einem Modell der Krankheitsübertragung kombiniert, wird man effizienter.

„Wir haben hier eine Technologie, mit der wir Epidemien in den Griff bekommen und sogar ganz eindämmen können, wenn sie weit genug verbreitet ist und mit Tests kombiniert wird“, sagt Schneider.

Die Anwendung dieses mathematischen Ansatzes bei Einzelpersonen ist die wahre Innovation in Schneiders Vision. In der Vergangenheit konnten wir beispielsweise vorhersagen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, eine ansteckende Person in ganz New York City zu finden. Die App, die Schneider zu entwickeln hofft, würde jedoch das individuelle Ansteckungsrisiko für jeden Nutzer ermitteln.

Dieser Beitrag ist im Original auf Medscape.com erschienen.

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