Covid-19: Unbehandelte neuropsychologische Defizite chronifiziert?
Unbehandelt können sich neuropsychologische Defizite bei Patientinnen und Patienten mit Covid-19 chronifizieren. Darauf deuten Verlaufskontrollen über 6 Monate hin. Prof. Dr. Kathrin Finke (Jena) grenzt in ihrem Vortrag neuropsychologische Defizite bei Post-Covid ein und spricht unter anderem zu Symptomen und relevanten klinischen Risikofaktoren.
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Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag von Prof. Dr. Kathrin Finke (Jena) auf der Neurowoche 2022: „Neuropsychologisches Profil und Verlauf kognitiver Einschränkungen im Zusammenhang mit COVID-19“ in der Sitzung „Meet the Expert: neurologische Aspekte des Post-/Long-Covid-Syndroms“ | Autorin: Dr. Linda Fischer
Kerndefizit bei Post-Covid: Grundverlangsamung
Laut Prof. Dr. Kathrin Finke, psychologische Leitung des Gedächtniszentrums der Klinik für Neurologie im Universitätsklinikum Jena (UKJ), ist das neuropsychologische Profil der Post-Covid-Patientinnen und -Patienten (nach NICE-Kriterien1) durch signifikante Beeinträchtigung besonders in Aufmerksamkeitsfunktionen, Gedächtnis und Exekutivfunktionen gekennzeichnet. Besonders ausgeprägt ist das Defizit in der Grundaktivierung (Alertness). Finke folgert: Das Kerndefizit der Problematik könnte eine Grundverlangsamung des Gehirns und damit der allgemeinen Informationsverarbeitung sein.
Neuropsychologische Symptome, Prävalenz und Risikofaktoren
Rund 30 % der Post-Covid-Patientinnen und Patienten leiden unter lang anhaltenden neurologischen und/oder neuropsychiatrischen Symptomen.2 Vor allem kognitive Dysfunktionen werden beklagt, genauso wie Brain Fog, Fatigue, Schlafstörungen und affektive Symptome.3
Diese Symptome, einschließlich kognitiver Dysfunktionen, treten auch nach milden Krankheitsverläufen auf.4 Signifikante Risikofaktoren für kognitive Dysfunktionen umfassen ein höheres Alter und eine schwere akute Erkrankung (MoCA-Test, Montreal Cognitive Assessment).5
Untersuchung mit NAB, TAP, HADS, PTSS, BFI, FAS
Für die neuropsychologische Untersuchung im Neuro-Post-COVID Zentrum des UKJ setzen Ärztinnen und Ärzte in allen Altersgruppen die Neuropsychological Assessment Batterie (NAB) ein. Eine computerbasierte Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP), die spezifische Reaktionszeit-basierte Untersuchungen erlaubt, ist ebenfalls Teil des Repertoires.
Zudem werden die Patientinnen und Patienten mittels HADS Depressions- und Angstskala (HADS-D/A) und posttraumatischer Stressskala (PTSS-14) zur psychischen Gesundheit befragt. Gefragt wird zudem nach der Fatigue mit dem Brief Fatigue Inventory (BFI) und Fatigue Assessment Scale (FAS).
Aufmerksamkeit bei Post-Covid leicht beeinträchtigt
Die Kernproblematik bei Patientinnen und Patienten mit anhaltenden Symptomen scheint eine leicht beeinträchtigte Aufmerksamkeit zu sein. Das leitet Finke anhand von Daten einer Stichprobe mit 150 Patientinnen und Patienten ohne psychiatrische und neurologische Vorerkrankungen (im Schnitt 47 Jahre alt, Range 21–69 Jahre, 75 % weiblich) ab, die im Mittel > 1 Jahr nach der milden akuten Erkrankung immer noch subjektiv mit Symptomen belastet waren.
Laut NAB-Testung waren in dieser Stichprobe die sprachliche Leistung, Gedächtnis und Wahrnehmung hingegen nicht beeinträchtigt. Der computerbasierte TAP bestätigt deutliche Defizite bei einfachen Aufgaben (z. B. Reaktion auf visuellen Reiz).
Oxford Cognitive Screen-Plus für schnelles, einfaches Screening
Eine solch ausführliche Testbatterie ist zeitintensiv, gibt Finke zu bedenken. Gesucht werde daher z. B. nach einer Alternative zu dem MoCA als Mittel, Betroffene besser zu screenen.
Hier arbeitete Finke mit Kolleginnen und Kollegen an der Einführung des Oxford Cognitive Screen-Plus, ein tabletbasiertes Screening zur Erfassung auch subtiler kognitiver Einschränkungen (sub-)klinischer Populationen. Der Vorteil: Das Screening stellt das kognitive Profil mit betroffenen und nicht betroffenen Domänen dar und liefert eine automatisierte Auswertung der verschiedenen relevanten Funktionen.
Dieser Test konzentriert sich stark auf Aufmerksamkeit, Exekutivfunktionen und das aufmerksamkeitsgesteuerte Gedächtnis. Dieser Test konnte bereits bei einer größeren Kohorte (n = 282) eingesetzt werden, die aus der Post-COVID-Ambulanz (Innere Medizin) am UKJ rekrutiert wurde, und mit einer gesunden Kontrollgruppe (n = 52) verglichen wurde.6
Das Ergebnis: Auch mit diesem automatisierten, etwas kürzeren, vereinfachten und schneller durchführbaren Screening zeigten die Patientinnen und Patienten signifikante Defizite, und zwar im Bereich der verzögerten Gedächtnis-Abrufe, der Aufmerksamkeit und der Exekutivfunktionen. Also ein ähnliches Ergebnis wie mit der längeren Testung, resümiert Finke.
Mehr Fatigue und Depression als bei gesunden Menschen
Die Patientinnen und Patienten zeigen deutlich höhere Werte in Fatigue- und Depressionsskalen (BFI, PHQ-9) als gesunde, so Finke. Sie seien zwar nicht immer klinisch relevant, aber gegenüber gesunden Kontrollgruppen deutlich erhöht.
Die ausführliche Testung mit NAB, TAP, BFI FAS, HADS-A/D und PTSS-14 zeigen in der ersten Stichprobe (n = 150) klar, dass besonders Fatigue, aber auch psychische Belastung mit neuropsychologischen Defiziten korreliert, erklärt Finke.
3 signifikante Prädiktoren für kognitive Defizite
In der größeren Stichprobe (n = 282) zeigte sich dann, dass es 3 signifikante Prädiktoren für kognitive Defizite gibt:
- Initialer Schweregrad der Covid-19-Erkrankung
- Alter
- Ausmaß der Fatigue
Keinen signifikanten Einfluss haben hingegen die seit der Infektion vergangene Zeit sowie Depression und bestehende Vorerkrankungen.
Unbehandelt Chronifizierung möglich
Finke verdeutlicht anhand von Testungsdaten (n = 50), dass Patientinnen und Patienten, die im Schnitt seit über einem Jahr Symptome beklagen, und die 6 Monate später ohne Behandlung nochmals untersucht wurden, kaum signifikant verbesserte Beschwerden hatten. Zwar habe sich der Index verbessert, der in der NAB über alle Tests hinweg gebildet wird, das Kerndefizit in der Aufmerksamkeit bleibe jedoch bestehen. In der computerbasierten TAP zeige sich ein ähnliches Bild.
Dies spricht für eine Chronifizierung bei diesen Patientinnen und Patienten, folgert Finke. Die Verlaufskontrollen zu neuropsychologischen Auffälligkeiten über 6 Monate deuteten darauf hin, dass diese Defizite unbehandelt persistieren könnten.