
Corona-Lage: „Nicht auf Schnupfen-Niveau“
Mit dem Ende des Sommers haben Erreger von Atemwegserkrankungen wieder leichteres Spiel. Die Corona-Fallzahlen steigen schon jetzt. Was das für den ersten Herbst nach der Pandemie bedeutet.1
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Redaktion: Dr. Linda Fischer
Erleichterung hat sich breitgemacht. Der internationale Gesundheitsnotstand wegen SARS-CoV-2 ist seit Monaten beendet. Was haben da die steigenden Corona-Fallzahlen in Deutschland und auffällige Virus-Varianten zu bedeuten?
Vorweg: Fachleute sehen immer noch eine breite Grundimmunität aus Impfungen und Infektionen in Deutschland. Das heißt aber nicht, dass keine Ansteckungen erfolgen. Vielmehr erkranken grundsätzlich gesunde Menschen in der Regel nicht so schwer, dass sie hospitalisiert oder intensivpflichtig werden.1
Das Robert Koch-Institut hatte zu Kalenderwoche 33 berichtet, dass die Zahl der im Labor bestätigten Corona-Nachweise seit etwa 6 Wochen wieder steigt. Das Niveau ist aber sehr niedrig. Für Expertinnen und Experten ist aber klar, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt.2
In Kliniken steigende Corona-Infektionszahlen, aber keine Welle
Die Kliniken registrieren ebenfalls steigende Corona-Infektionszahlen, auf niedrigem Niveau. „Es gibt wieder höhere Infektionszahlen, es gibt auch wieder mehr Covid-positiv getestete Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, der „Rheinischen Post“. „Wir haben keine absolute Immunität gegen Covid, daher wird es immer wieder Infektionsausbrüche geben“, erläuterte er.
„Wir sehen kaum noch Covid-Patientinnen und -Patienten auf den Intensivstationen, allerdings gab es in den letzten Monaten auch kaum nennenswerte Infektionen in der Bevölkerung“, sagt der Intensivmediziner Christian Karagiannidis. Die Patientenzahlen seien überhaupt nicht vergleichbar mit Spitzenwerten aus Pandemiezeiten, als bis zu 6.000 Corona-Infizierte gleichzeitig versorgt wurden. Nun sind es laut Karagiannidis gut 100 bundesweit, wobei nicht alle wegen Covid-19 behandelt wurden.
Nachholeffekte, Covid- und Grippe-Impfstatus aktuell halten
Von einer neuen Corona-Welle will Gaß daher nicht sprechen. Für Herbst und Winter rechnet er wie in den vergangenen Jahren aber mit weiteren Nachholeffekten anderer Atemwegserkrankungen. Er appellierte daher an die Menschen, sich gegen Grippe impfen zu lassen, um mögliche Belastungen für Krankenhäuser abzuwenden. Besonders Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen sowie Patientinnen und Patienten mit erhöhtem Risiko und ihre Angehörigen sollten ihren Impfstatus bei Corona und Influenza auf dem aktuellen Stand halten, riet Gaß.
„Für Panik gibt es gerade keinen Grund. Wir sind in der endemischen Phase“, sagt Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. „Aber wir sind immer noch nicht auf dem Schnupfen-Niveau, wir sind auf Grippe-Niveau.“ Es könne sein, dass man mit Covid-19 ein paar Tage ausfalle.
Variante EG.5 „von Interesse“, BA.2.86 „under monitoring“
Hinsichtlich Mutationen ist die Frage entscheidend, ob noch mal eine Variante entsteht, die dem Immunsystem entgeht. „Bisher habe ich keine neue Variante gesehen, bei der ich zu besonderer Wachsamkeit mahnen würde“, sagt Watzl. Auch das RKI sieht bisher keine Hinweise auf eine höhere Krankheitsschwere.1
Vor allem 2 relativ neue Omikron-Abkömmlinge sind gerade im Fokus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte zunächst EG.5 (Eris), zu einer von nunmehr 3 „Virus-Varianten von Interesse“ hoch. Wegen des Wachstumsvorteils und Immunflucht-Eigenschaften könnte EG.5 laut WHO wieder für mehr Fälle sorgen und in einigen Ländern oder global dominant werden.
Deutlich stärker mutiert ist die Variante BA.2.86. Die WHO stufte sie kürzlich als eine von derzeit 7 „variants under monitoring“ ein. BA.2.86 weise im Vergleich zu den nächsten Verwandten knapp 30 Veränderungen im Spike-Protein auf, sagt der Spezialist für Corona-Varianten Richard Neher (Basel). Bisher lägen wenige Sequenzen aus verschiedenen Ländern vor. In Deutschland ist BA.2.86 laut RKI noch nicht nachgewiesen.1–4
Einschränkend ergänzt Neher: „Solche stark mutierten Virusvarianten werden sporadisch gemeldet, aber es handelt sich typischerweise um isolierte Beobachtungen, die sich nicht weiter ausbreiten“. Ob und wie schnell sich BA.2.86 ausbreite, bleibe abzuwarten.
Prognose zu Grippe und Corona-Wellen schwierig
Viren entwickeln sich weiter und sowohl Zeitpunkt als auch Ausmaß ihrer Zirkulation hängen von verschiedenen Parametern ab, wie das RKI erklärt. Allerdings habe auch Corona bislang insbesondere im Herbst und Winter starke Erkrankungswellen verursacht. „Deshalb ist auch künftig mit einem Anstieg der Fallzahlen in diesen Jahreszeiten zu rechnen“, teilte das RKI mit.
„Wir werden weiter ein gewisses Auf und Ab erleben“, meint der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb. Doch solange keine gänzlich andere Variante entstehe, sehe er keine pandemische Situation. „Aber wachsam müssen wir schon bleiben.“ Was die Intensivstationen betrifft, so rechnet Karagiannidis in den kommenden Monaten „immer wieder mit einzelnen Fällen, vor allem bei immungeschwächten Patienten, allerdings in keinster Weise vergleichbar mit der Pandemie“. Im Vordergrund des Geschehens erwarte er vielmehr Grippe und bei Kindern das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Alle 3 Atemwegserreger könnten zu Personalausfällen führen.1
Auffrisch-Impfungen für bestimmte Gruppen empfohlen
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt nur noch bestimmten Gruppen Auffrisch-Impfungen, vorzugsweise im Herbst und ähnlich wie beim Grippeschutz. Dazu gehören
- Menschen ab 60 Jahren,
- Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen ab einem Alter von 6 Monaten,
- Pflege- und Gesundheitspersonal sowie
- Angehörige von Patientinnen und Patienten mit Risiko.5
Mindestens 12 Monate sollen seit der letzten Impfung oder Infektion vergangen sein. Gesunden Erwachsenen < 60 Jahren und Schwangeren wird dies nicht mehr empfohlen. Grundimmunisierung und Booster empfiehlt die Stiko auch nicht mehr für gesunde Säuglinge, Kinder und Jugendliche.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte kürzlich auf der Plattform X (früher Twitter) an, dass die angepassten Vakzine wahrscheinlich ab 18. September in den Praxen seien. Watzl zufolge kann man auf die neuen Impfstoffe warten. Günstig wäre es in den Augen des Immunologen, wenn die Variante EG.5 vorherrschend bliebe, da das Spike-Protein dem von XBB.1.5 ähnlich sei. An diese Variante wurde z. B. der Pfizer/Biontech-Impfstoff angepasst.
Bei Infektion Kontakte reduzieren, bei Symptomen testen
Es gibt immer noch Menschen, die auf Schutz angewiesen sind. Das RKI rät neben einem Impfschutz gemäß Stiko-Empfehlung: bei einer akuten Atemwegsinfektion 3 bis 5 Tage zu Hause bleiben, Kontakte möglichst reduzieren, in die Armbeuge husten und niesen und regelmäßig die Hände waschen. „Besondere Vorsicht geboten ist bei einem Kontakt mit Personen, die durch einen schweren Verlauf von Atemwegsinfektionen gefährdet sind“, hieß es. Für immungeschwächte Patientinnen und Patienten seien neben Auffrischimpfungen auch Masken bei Corona-, Grippe- und RSV-Wellen und ein früher Therapiebeginn wichtig, sagt Karagiannidis.
Bei typischen Symptomen kann man sich laut Leif Sander von der Charité in Berlin weiterhin zu Hause testen. „Antigentests auch aus dem letzten Jahr können weiterhin genutzt werden, solange ihr Haltbarkeitsdatum nicht überschritten ist und sie bei der empfohlenen Temperatur gelagert wurden.“ Es gebe bisher keine Hinweise, dass die herkömmliche Virusdiagnostik durch die neuen Varianten beeinträchtigt werde.
Immunologe Watzl gibt zu bedenken, dass SARS-CoV-2 nicht mehr verschwinde und dass Infektionen in der jetzigen Phase für Immungesunde ein Auffrischen der Immunität bedeuteten. „Würde man das Virus für mehrere Jahre auf ein ganz niedriges Niveau zurückdrängen, dann drohen am Ende wieder mehr schwere Erkrankungen“, sagt er. Zu viel Schutz könne somit kontraproduktiv sein. Das Risiko von Langzeitfolgen sei zwar nicht verschwunden, Long-Covid könne man auch nach einer zweiten Corona-Infektion bekommen. Aber man werde dahin kommen, dass das Risiko auf einem ähnlichen Niveau liege wie bei anderen Infektionskrankheiten.1