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Covid-19 in der Praxis

24. Sep. 2021
Covid-19 bei Älteren

Prädiktoren für Long-Covid und Delir als Schlüsselsymptom

Gibt es Prädiktoren für Long-Covid? Reduziert die vollständige Impfung gegen Covid-19 auch das Risiko, an Long-Covid zu erkranken? Dieser Frage ging ein Forscherteam um die britische Altersmedizinerin Dr. Claire Steves nach.1

Lesedauer: ca. 6 Minuten

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Autorin: Ute Eppinger

Die Altersmedizinerin Dr. Claire Steves, Clinical Senior Lecturer am King´s College London, stellte beim Geriatriekongress ihre Analysen aus großen Symptom-Tracking-Studien vor, an der mehrere Millionen Menschen teilnehmen – darunter auch einige Tausend Zwillinge 1. Die Geriaterin ist seit über 10 Jahren auch stellvertretende Direktorin (Clinical) für TwinsUK, dem größten Zwillingsregister in Großbritannien und untersucht anhand der Daten auch die Beziehung zwischen Long-Covid und Alterungsprozessen.

Erste Daten aus der Covid Symptom Study-App lieferten im Juli 2020 wichtige Anhaltspunkte über die Symptome von Covid-19. Grundlage der Studie war die Smartphone-basierte App, die am 28. März 2020 in Großbritannien gestartet war. Steves und ihre Kollegen werteten die Symptome aus, die 2.618.862 Teilnehmer über App gemeldet hatten.

Unter den 18.401 Teilnehmern, die sich einem SARS-CoV-2-Test unterzogen hatten, war der Anteil der Teilnehmer, die über Geruchs- und Geschmacksverluste berichteten, bei den Testpositiven (4.668 von 7.178 Personen; 65,03%) höher als bei denjenigen mit einem negativen Testergebnis (2.436 von 11.223 Teilnehmern; 21,71%) (Odds Ratio [OR] 6,74). Die Forscher werteten Geruchs- und Geschmacksverlust als potenziellen Prädiktor für Covid-19 zusätzlich zu bekannteren Symptomen wie Fieber und Husten.

In ihrer Symptomkombination berücksichtigten sie u.a. Anosmie, Müdigkeit, anhaltenden Husten und Appetitlosigkeit. Steves und ihre Kollegen entwickelten daraus ein Prädiktionsmodell und wandten dieses auf die 805.753 Personen an, die Symptome gemeldet und nicht auf Covid-19 getestet worden waren. Nach diesem Modell waren 140.312 der 805.753 Teilnehmer (17,42%), wahrscheinlich mit dem Virus infiziert; das entspricht einem Anteil von 5,36% der Gesamtnutzer der App.

Delir: Bei Gebrechlichen ein Schlüsselsymptom für Covid-19

Beobachtungen, dass gebrechliche Patienten, die mit Covid-19 infiziert sind, nicht die klassischen Symptome entwickelten, sondern Anzeichen eines Delirs zeigten, führten zu einer weiteren Datenanalyse. Die Forscher des King’s College London werteten dazu Informationen aus der Covid Symptom Study-App und von Patienten, die in das St. Thomas’ Hospital in London eingeliefert wurden, aus. Ihre Analyse ergab, dass Delir ein Schlüsselsymptom von Covid-19 bei gebrechlichen, älteren Menschen ist.

Bei der Krankenhauskohorte (n=322) handelte es sich um Patienten im Alter von 65 Jahren oder älter, die zwischen dem 1. März und dem 5. Mai 2020 ins St. Thomas’ Hospital eingeliefert wurden, eine Covid-19-Infektion wurde mittels RT-PCR bestätigt.

Die App-basierte Kohorte (n=535) setzte sich aus Patienten im Alter von 65 Jahren oder älter zusammen, die die Covid Symptom Study-App nutzten; maßgeblich war die selbstberichtete Covid-19-Positivität zwischen 24. März (Launch der App) und 8. Mai 2020.

Um das Ausmaß von Gebrechlichkeit und Delir der Patienten festzustellen, wurde in der Klinik die Clinical Frailty Scale verwendet, in der App-basierten Kohorte der PRISMA-7-Fragebogen.

Steves und ihre Kollegen fanden bei 25,2% der Klinikpatienten ein Delir, in der App-basierten Kohorte waren es 35,6%. Wobei der Anteil unter den gebrechlichen Klinikpatienten 38,1% betrug, unter den nicht-gebrechlichen Klinikpatienten hingegen nur 12,4%. Unter den gebrechlichen Patienten der App-basierten Kohorte betrug der Anteil 44,5%, unter den nicht-gebrechlichen bei 26,1%.

Sowohl in der Klinik als auch in der App-basierten Kohorte war Gebrechlichkeit signifikant mit Delir bei Covid-19 assoziiert. Unter den Klinikpatienten lag die OR bei 3,22, in der App-basierten Kohorte lag die OR bei 2,29.

Diese Datenanalyse ist die erste Studie, die zeigt, dass Delir ein wahrscheinliches Symptom von Covid-19 bei gebrechlichen älteren Erwachsenen ist, auch wenn der genaue biologische Zusammenhang noch geklärt werden muss.

Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer systematischen Bewertung der Gebrechlichkeit älterer Menschen und eines Screenings in Krankenhäusern, Pflegeheimen und in Gemeinden. „Covid-19 sollte bei gebrechlichen älteren Menschen, die Verwirrtheit zeigen, in Betracht gezogen werden – auch wenn sie keine anderen krankheitstypischen Symptome für diese Infektion zeigen“, so Steves.

Studie zu Prädiktoren: Wer erkrankt an Long-Covid?

Mit einer im März publizierten Analyse prognostizierten Steves und ihre Kollegen, wie viele Infizierte an Long-Covid erkranken. Die Forscher analysierten die Daten von 4.182 Fällen von Covid-19, bei denen die Betroffenen ihre Symptome in der Covid Symptom Study-App angegeben hatten.

Die Forscher prognostizierten, dass eine von 20 Personen mit Covid-19 wahrscheinlich 8 Wochen oder länger unter Symptomen leidet (Long-Covid). Das Team fand auch heraus, dass ältere Menschen, Frauen und Personen mit 5 oder mehr Symptomen in der ersten Krankheitswoche eher Long-Covid entwickelten (OR 3,53).

Die Datenauswertung ergab, dass die meisten Menschen mit Covid-19 zwar berichteten, nach 11 Tagen oder weniger wieder fit zu sein, dass aber etwa einer von 7 (13,3%, 558 Nutzer) Covid-19-Symptome hatte, die mindestens 4 Wochen andauerten. Von diesen war einer von 20 (4,5%, 189 Nutzer) 8 Wochen lang krank, und einer von 50 (2,3%, 95 Nutzer) litt länger als 12 Wochen unter Beeinträchtigungen.

Etwa 10% der 18- bis 49-Jährigen, die an Covid-19 erkranken, leiden an Long-Covid, bei den über 70-Jährigen sind es sogar 22%. Neben dem Alter spielt auch das Gewicht eine Rolle: Menschen, die an Long-Covid erkranken, haben einen etwas höheren Body-Mass-Index (BMI) als Menschen mit kurzem Infektionsverlauf.

Bei Frauen war die Wahrscheinlichkeit, an Long-Covid zu erkranken, um fast 50% höher als bei Männern (14,5% gegenüber 9,5%) – allerdings nur in der jüngeren Altersgruppe.

Die Forscher fanden auch heraus, dass Menschen mit Asthma eher an Long-Covid erkrankten. Mit anderen zugrunde liegenden Gesundheitszuständen gab es keine eindeutigen Zusammenhänge.

Die Forscher nutzten diese Informationen, um ein Modell zu entwickeln, das auf der Grundlage von Alter, Geschlecht und Anzahl der Frühsymptome vorhersagen kann, wer das höchste Risiko für Long-Covid hat. Statistische Tests zeigten, dass diese Vorhersage in der Lage war, mehr als 2 Drittel (69%) der Personen zu erkennen, die später an Long-Covid erkrankten.

Hochgerechnet auf die Allgemeinbevölkerung Großbritanniens, die eine andere Alters- und Geschlechtszusammensetzung aufweist als die Nutzer in der Covid-Symptomstudie, schätzt das Team, dass 1 von 7 (14,5%) der Menschen mit symptomatischem Covid-19 mindestens 4 Wochen lang krank ist, 1 von 20 (5,1%) 8 Wochen lang und 1 von 45 (2,2 %) 12 Wochen lang oder länger.

Doppelte Impfung halbiert auch das Risiko für Long-Covid

Dass die vollständige Impfung gegen Covid-19 im Fall einer Erkrankung auch das Risiko halbiert, Long-Covid zu entwickeln, zeigt eine Analyse von Steves und ihren Kollegen, die Anfang September in The Lancet Infectious Diseases erschienen ist.

Die Wissenschaftler analysierten die Daten von Teilnehmern, die zwischen dem 8. Dezember 2020 und dem 4. Juli 2021 ihre Symptome, Tests und Impfungen in der Covid Symptom Study-App aufgezeichnet hatten, darunter 1.240.009 Erwachsene mit einer ersten Impfdosis und 971.504 vollständig geimpfte Erwachsene.

Die Datenauswertung ergab: Auch für den unwahrscheinlichen Fall, sich nach vollständiger Impfung mit Covid-19 zu infizieren, war das Risiko, Long-Covid zu entwickeln, um fast die Hälfte reduziert.

Und nicht nur das: Bei den vollständig Geimpften kam es auch zu weniger Krankenhausaufenthalten (73% weniger wahrscheinlich) und einer geringeren Belastung durch akute Symptome (31% weniger wahrscheinlich).

Die häufigsten Symptome waren ähnlich wie bei ungeimpften Erwachsenen – z.B. Anosmie, Husten, Fieber, Kopfschmerzen und Müdigkeit. All diese Symptome traten bei den Geimpften milder und seltener auf, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie in der ersten Krankheitswoche an mehreren Symptomen litten, war halb so groß. Niesen war das einzige Symptom, das bei geimpften Personen mit Covid-19 häufiger auftrat.

Menschen, die in den am stärksten benachteiligten Gebieten leben, hatten jedoch ein höheres Infektionsrisiko nach nur einer Impfung (OR 1,11). Während das Alter an sich keinen Risikofaktor darstellte, war die Wahrscheinlichkeit, sich nach der Impfung mit Covid-19 zu infizieren und zu erkranken, bei gebrechlichen Menschen bis zu zweifach höher (OR 1,93).

„Die Ergebnisse zeigen, dass Risikogruppen gezielt angesprochen werden müssen“, sagt Steves. Es habe sich gezeigt, dass gebrechliche Erwachsene überproportional häufig von Covid-19 betroffen sind. Das Forschungsteam schlägt vor, dass Strategien – wie rechtzeitige Auffrischimpfungen, gezielte Maßnahmen zur Infektionskontrolle (darunter auch regelmäßige Tests für das Pflegepersonal von Risikogruppen) – und weitere Untersuchungen zur Immunantwort auf die Impfung in dieser Gruppe dazu beitragen könnten, das Problem zu lösen.

„Es ist eine gute Nachricht, dass die doppelte Impfung das Risiko, sich mit Covid-19 anzustecken und – wenn das der Fall ist – an Long-Covid zu erkranken – deutlich verringert.“ Steves´ Einschätzung nach ist das eine weitere „wichtige Informationen, um junge Menschen zur Impfung zu bewegen.“

Dieser Beitrag ist im Original auf Medscape.com erschienen.

Quellen
  1. 33. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG), 2. bis 4. September 2021, online

Bildquelle: © gettyImages/Isabel Pavia

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