Long-Covid: Jetzt steht der Hausarzt im Mittelpunkt
Gute Nachrichten für Betroffene von Long-Covid: Ein neues Versorgungsmodell setzt auf qualifizierte Langzeitbetreuung durch Hausärztinnen und Hausärzte. Das Modellprojekt könnte die derzeit noch defizitäre Versorgung in der Fläche deutlich verbessern.
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Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag von Dr. Jördis Frommhold auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag 2023 | Autor: Dr. med. Horst Gross, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin
Lotsenfunktion
Die bisherigen Rehabilitationsangebote sind oft unzureichend und konzentrieren sich vorrangig auf die Reha von Patientinnen und Patienten nach akuten Covid-19-Erkrankungen, berichtet Long-Covid-Expertin Dr. Jördis Frommhold. Spezialambulanzen für Long-Covid-Betroffene sind meist nur an universitären Zentren zu finden und verfügen über viel zu wenige Therapieplätze.
Doch letztlich sind in den meisten Fällen die Hausärztinnen und Hausärzte für die ambulante Weiterbehandlung zuständig. Mangels Expertise bleibt es dann oft bei einer einfachen Krankschreibung, die kaum zur Genesung beiträgt, so die Einschätzung der Expertin.
Beratung per Videochat
Frommhold bringt ihre Erfahrungen als ehemalige Chefärztin der MEDIAN Klinik Heiligendamm in die Beratungsstelle ein. Das Konzept will eine Art Lotsenfunktion für die ambulante Versorgung durch den Hausarzt oder die Hausärztin übernehmen.
Neben dem dominierenden Langzeit-Covid werden hier auch andere postinfektiöse Krankheitsbilder betreut. Das in Rostock angesiedelte Hilfsangebot besteht zunächst aus einer etwa einstündigen Beratung und Sichtung der Vorbefunde.1 Anschließend wird individuell ein multimodales Therapiekonzept erstellt, das vom Hausarzt oder von der Hausärztin umgesetzt werden kann.
Dieses Konzept ähnelt dem multimodalen Ansatz in der Schmerzmedizin. Dass die Erstberatung auch in Form eines Video-Chats möglich ist, erweitert den Kreis der Hilfesuchenden. Ein weiterer Vorteil ist, dass auch der Hausarzt oder die Hausärztin an diesem Chat teilnehmen kann.
Hohe Akzeptanz
Mit ca. 100 Patientinnen und Patienten pro Monat erreicht die Rostocker Ambulanz bereits ein bemerkenswert hohes Beratungsvolumen. Besonderen Wert wird dabei auf die Einordnung des Beschwerdebildes im Sinne typischer Symptomcluster gelegt.2
Frommhold unterscheidet folgende Symptomkomplexe: das Post-Intensive-Care-Syndrom (PICS). Im Vordergrund stehen Symptome wie Muskelschwäche, Schlafstörungen, Gedächtnisprobleme und emotionale Instabilität.
Zahlreiche Symptomcluster
Eine weitere Symptomgruppe umfasst Störungen der Atemfunktion, die häufig bei unauffälligem körperlichem Befund auftreten. Typische Symptome sind Hyperventilation und Zwerchfellfunktionsstörungen.
Kognitive Defekte bis hin zur Demenz bilden eine weitere Symptomgruppe. Diese Probleme treten vorwiegend nach einer Infektion mit der Delta-Variante auf.
Schließlich weist Frommhold darauf hin, dass es unter Long-Covid zu einer Exazerbation psychosomatischer Grunderkrankungen mit Angststörungen, Panikattacken und Atemnot kommen kann. Erfolgversprechende Therapieansätze (z. B. Physiotherapie, Atemtherapie, kognitive Verhaltenstherapie und Entspannungsübungen) müssen sich an der individuellen Symptomausprägung orientieren, so Frommhold.
Pacing lernen
Ein zentraler Aspekt ist das Pacing. Die Patientinnen und Patienten sollen lernen, das Tempo ihrer körperlichen und geistigen Aktivitäten selbst zu regulieren. Es geht darum, Überlastungssituationen zu vermeiden, da diese, nach der Pacing-Theorie, dauerhafte Erschöpfungszustände auslösen können.
Zum Pacing gehört auch, das soziale Umfeld und den Arbeitgeber über diese Problematik zu informieren. Nur mit deren Verständnis ist eine soziale und berufliche Wiedereingliederung möglich, ohne dass es zu Rückschlägen kommt. All dies wird im Rahmen der Erstkonsultation in die Wege geleitet.
Keine Kassenleitung
Ambulante Beratungsangebote bei Long-Covid und anderen postinfektiösen Erkrankungen nach dem Rostocker Modell übernehmen die Krankenkassen bisher noch nicht. Die typische Erstberatung (60–100 €) wird privat in Rechnung gestellt. Doch die Rostocker Expertin Frommhold ist zuversichtlich: Angesichts des überwältigenden Handlungsbedarfs wird sich das bald ändern.