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Covid-19 in der Klinik

05. Mai 2020
Dr. Matthias Thöns im Interview

Schluss mit der strikten Isolation in Heimen und Kliniken!

Der Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns beschreibt die aktuellen Besuchsverbote in Kliniken und Heimen als „zu pauschal und zu rigoros” und plädiert für flexible Lösungen. Auch eine invasive Beatmung bei hochbetagten Patienten sieht er in vielen Fällen kritisch.

Lesedauer: ca. 3 Minuten

Interview: Dr. Horst Gross

Hat die Covid-19-Pandemie Auswirkungen auf Ihre palliativmedizinische Tätigkeit?

Dr. med. Matthias Thöns ist Arzt für Anästhesiologie, Notfall- und Palliativmedizin
Dr. med. Matthias Thöns ist Arzt für Anästhesiologie, Notfall- und Palliativmedizin

Dr. Thöns: Ja, sehr deutliche sogar! Ich erlebe jetzt immer häufiger, dass Angehörige  bewusst ihre Verwandten aus der Klinik nach Hause holen, um sie selbst zu versorgen. Die Menschen verzichten eher auf die Sicherheit der Klinik, als die Isolation durch die Klinikhygiene zu ertragen. Dahinter steckt die begründete  Angst, dass sonst der geliebte, schwer kranke Mensch  auf Nimmerwiedersehen in der Klinik verschwindet. Durch die Isolationsmaßnahmen haben Angehörige ja  kaum noch Einfluss darauf, was dort passiert.

Welche konkreten Probleme sehen Sie in Heimen und Kliniken?

Dr. Thöns: Die Besuchsverbote sind zu pauschal und zu rigoros. Das ist ja eine regelrechte Kontaktsperre für Angehörige. So etwas war am Anfang der Krise sicher angemessen. Jetzt müssen wir in langsamen Schritten in die Normalität zurück. Da sind flexible Lösungen nötig, etwa Gesprächsräume mit Plexiglas oder die Begrenzung auf Bezugspersonen und das Tragen von Schutzmasken. Diese Epidemie könnte uns noch Monate oder Jahre beschäftigen. Wollen wir die älteren Menschen in der Zwischenzeit einfach wegschließen,  nur weil das die einfachste Lösung ist?

Gilt das auch in der Palliativmedizin?

Dr. Thöns: Da haben wir glücklicherweise eine  Ausnahmeregelung. Angehörige, die infektfrei sind, unterliegen auf Palliativstationen und in Heimen nicht den strengen Hygieneauflagen. Im Hospiz gibt es deshalb auch keine Isolationsmaßnahmen.

Muss man mit einer symptomatischen SARS-CoV-2-Infektion unbedingt ins Krankenhaus?

Dr. Thöns: Klinisch entspricht das in vielen Fällen einer Erkältung und die bekommt man bei guter Pflege auch zu Hause in den Griff. Das gilt auch für ältere Patienten. Kliniken sind gerade für betagte Menschen ein gefährlicher Ort. Dort lauern Infektionen und bei Hochbetagten oder kognitiv eingeschränkten Menschen die Gefahr ein Delir zu entwickeln. Natürlich muss man so etwas immer mit dem Hausarzt und dem Pflegedienst absprechen. Bei Demenzbetroffenen senkt eine gute Versorgung bei Pneumonie gegenüber der stationären Einweisung mit Ortswechsel sogar die Mortalität (J Am Board Fam Pract. 1997 Mar-Apr;10(2):82-7).

Im hohen Alter ist SARS-CoV-2 besonders gefährlich. Wie sinnvoll ist dann die Beatmung?

Dr. Thöns: Wir wissen mittlerweile sehr genau, dass sich bei Hochbetagten durch eine Beatmung die Prognose nicht wesentlich verbessert. Die Mortalität  von invasiv beatmeten Coronapatienten über 80 Jahre liegt in der Größenordnung von 97 %. Und beim Überleben einer 2-3 wöchigen Beatmung beim ARDS wissen wir – nur 12% kehren dann zurück in ihr altes Leben (JAMA. April 22, 2020. doi:10.1001/jama.2020.6775).

Wer soll das entscheiden?

Dr. Thöns: Die Betroffenen! Es ist jetzt an der Zeit, mit den älteren Menschen über dieses heikle Thema zu sprechen. Wollen sie im Falle einer schweren SARS-CoV-2-Infektion die geringe Chance der Intensivtherapie wahrnehmen, auch um den Preis der Isolation von ihrer Familie. Oder ist die palliativmedizinische Betreuung in der häuslichen Umgebung – im Fall der Fälle – nicht doch der bessere Weg? Das scheint mir durchaus verantwortbar, da in solchen Fällen sowieso schon die ganze Familie infiziert ist. 

Ist die ambulante Versorgung dieser Herausforderung gewachsen?

Dr. Thöns: Genau das ist der Punkt. Deshalb haben wir hier in Witten eine Initiative gestartet, um die Hausärzte und die Palliativmedizin besser zu vernetzen. Gerade in diesen kritischen Zeiten geht es darum, die häusliche Versorgung drastisch zu verbessern. Vielleicht ist ja jetzt der richtige Zeitpunkt dafür, dass Hausärzte und Palliativmediziner die Initiative ergreifen und ihre Kompetenz bei der ambulanten Betreuung unter Beweis stellen. Covid-19 ist kein exklusives intensivmedizinsches Problem – 6 von 7 Patienten werden gut von Hausärzten versorgt.

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