Post-Covid-Syndrom: Update zu Ursachen und Therapie
Autoantikörper scheinen bei Post-Covid-Syndrom eine zentrale Rolle zu spielen. Einen Überblick über die aktuelle Studienlage und Therapieansätze gibt Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen.
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Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag von Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen (Berlin) auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag 2023: „Was machen Autoantikörper mit den Infizierten?“ | Autorin: Dr. Linda Fischer
Patientinnen und Patienten mit Post-Covid, die keine organischen Auffälligkeiten aufweisen, werden dem Post-Covid-Syndrom (PCS) zugeordnet, erklärt Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen, Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie und Leiterin der Immundefekt-Ambulanz im Institut für Medizinische Immunologie der Charité, Berlin. Zu den Leitsymptomen zählen meist Fatigue, Belastungsintoleranz und kognitive Symptome.
Teil des PCS kann ME/CFS (Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome) sein. Betroffen von einem solchen post-infektiösen ME/CFS nach Covid-19 seien überwiegend jüngere Frauen.1 ME/CFS selbst wird durch unterschiedliche Infektionen ausgelöst und ist im ICD als neurologische Erkrankung eingeordnet. Hauptsymptom ist eine ausgeprägte Belastungsintoleranz.
Covid-19 triggert bei PCS nachweisbare Autoantikörper
Covid-19 kann eine Vielzahl unterschiedlicher Autoantikörper triggern, die beim PCS nachweisbar sind. Die Forschung der letzten Monate zeigt, dass – ähnlich wie bei ME/CFS nach anderen Infektionen – bei PCS Autoantikörper und gestörte Gefäßregulation eine zentrale Rolle spielen könnten:2–4 Das Immunsystem ist anhaltend aktiviert und Entzündungen sind bei vielen Betroffenen früh in der Erkrankung zu beobachten. Bei ME/CFS finden sich diese Entzündungen nach einigen Jahren mit der Erkrankung kaum noch.
Als Ursache für ein PCS wird u. a. die Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus‘ bei der akuten Covid-19-Erkrankung diskutiert. Auch Antikörper gegen GPCR (G-Protein-gekoppelte Rezeptoren) werden im Zusammenhang mit Post-Covid beschrieben.2 Wodurch genau ME/CFS nach Covid-19 getriggert werde, sei bisher aber hypothetisch, räumt Scheibenbogen ein.
Antikörper gegen ACE2, Angiotensin-II, zentrale und periphere Nerven
Inzwischen gibt es einige Arbeiten, die von SARS-CoV-2-getriggerten funktionellen Autoantikörpern gegen verschiedenste Moleküle des Renin-Angiotensin-Systems berichten. Dass bei vielen Patientinnen und Patienten nach der Infektion beispielsweise spezifische Antikörper gegen ACE2 (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2) vorliegen, zeigten Forschende bereits im Jahr 2021.5 Sie wiesen eine verringerte ACE2-Aktivität nach, was zu einer höheren Konzentration von Angiotensin-II führt, da dieses normalerweise von ACE2 gespalten wird und dann antiinflammatorisch wirkt. Die reduzierte ACE2-Aktivität begünstigt also einen proinflammatorischen Zustand, der wiederum für Symptome von PCS verantwortlich ist.
Eine aktuellere Studie6 wies bei Mäusen, die gegen SARS-CoV-2 immunisiert wurden, Antikörper gegen Angiotensin-II nach. Diese Antikörper könnten auch bei Menschen mit Post-Vac-Syndrom zu finden sein, vermutet Scheibenbogen.
Antikörper gegen unterschiedliche Strukturen des Zentralnervensystems konnten ebenfalls bei PCS-Erkrankten nachgewiesen werden.7 Dass diese Antikörper krankheitsrelevant sind, zeigt deren Korrelation mit Ergebnissen im Montreal-Cognitive-Assessment (MoCA)-Test: Waren Antikörper in der Spinalflüssigkeit nachweisbar, fiel das MoCA-Ergebnis schlechter aus.
Auch von Autoantikörpern gegen periphere Nervenzellen berichten Forschende in Proben von Post-Covid-Erkrankten plus ME/CFS – ähnlich wie bei Fibromyalgie-Erkrankten.8 Titer für antinukleäre Antikörper (ANA) sind bei Menschen mit Post-Covid ebenfalls häufig erhöht.9
Antikörper gegen GPCR korrelieren mit Symptom-Schwere
Antikörper gegen GPCR kommen auch bei gesunden Menschen vor. Bei Erkrankung können sie jedoch mit klinischen Parametern (z. B. Schwere der Symptome) korrelieren. Dass dabei verschiedene GPCR-Autoantikörper mit unterschiedlichen Symptomen korrelieren (z. B. Fatigue, Kognition, Vasomotorik), zeigen Ergebnisse einer aktuellen Studie, die Menschen mit PCS ohne ME/CFS und Menschen mit PCS plus ME/CFS einschloss. Eine Korrelation war allerdings nur bei Personen mit PCS plus ME/CFS sichtbar.10
Scheibenbogen hebt hervor, dass beispielsweise erhöhte Antikörper gegen β2-Adrenalin-Rezeptoren und gegen M3-Rezeptoren mit Durchblutungsstörungen verbunden waren, die bei Post-Covid oft in Form eines Raynauds-Syndroms beobachtet werden.
Optische Kohärenz-Tomografie-Untersuchungen offenbarten in einer anderen Studie zudem eine signifikante Abnahme der Makula- und peripapillären Gefäßdichte bei Autoantikörpern, die gegen adrenerge β2-Rezeptoren, adrenerge α1-Rezeptoren, MAS-Rezeptor und Angiotensin-II-Rezeptoren gerichtet sind.11
Autoantikörper therapieren
Laut Scheibenbogen gibt es bereits eine Reihe von Medikamenten, die für andere Erkrankungen zugelassen sind und auch bei PCS eingesetzt werden könnten. Hierzu wurden in den letzten 12 Monaten kleine Studien veröffentlicht, weitere kontrollierte Studien zu Medikamenten bei PCS wurden initiiert. Um Autoantikörper zu behandeln, nennt Scheibenbogen mehrere Optionen:
- B-Zell-Depletion über CD20+, CD19 oder CD38
- Immunadsorption (große, randomisierte Studie an der Charité startet demnächst)
- Fc-Rezeptor-Blocker für schnelleren Abbau der Autoantikörper (wirksam bei Myasthenia gravis)
Zudem beginnen laut Scheibenbogen Studien zu Medikamenten, welche die Durchblutung verbessern. Weitere Studie sind auch zu hoch dosierten Steroiden geplant.