
Prof. Jany: „Maskenpflicht-Diskussion ist eher von Angst als wissenschaftlich getrieben“
Kann SARS-CoV-2 durch Aerosole übertragen werden? Entstehen durch Covid-19 Langzeit-Gewebeschäden an der Lunge? Und gibt es ein spezifisches radiologisches Muster für Covid-19-Pneumonien? Diese und weitere Fragen zu Covid-19 beantwortet hier Professor Berthold Jany, Facharzt für Pneumologie und ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP).
Lesedauer: ca. 5 Minuten
Interview: Marina Urbanietz
In einer aktuellen Pressemitteilung warnt die DGP vor voreiligen Schlüssen bzgl. der Langzeit-Gewebeschäden an der Lunge als Folge von Covid-19. Welche Daten liegen uns aktuell vor?

Prof. Jany: Das ist genau der Punkt: Trotz der in den Medien kursierenden Berichte gibt es aktuell keine gesicherten Daten. Zuletzt hat Dr. Keith Mortman von den George Washington University Hospitals eine erneute Diskussion über mögliche Langzeitschäden der Lunge im Zusammenhang mit Covid-19 ausgelöst (Link). Er stellt ein 3D-Modell der Gewebeschäden an der Lunge vor und spekuliert über mögliche langfristige Effekte. In dieser 3D-Rekonstruktion erkennt man diffuse Veränderungen, die wir allerdings auch bei interstitiellen viral bedingten Pneumonien (IIP) in einem anderen Kontext sehen. Daraus auf eine langfristige Schädigung der Lunge zu schließen ist aus meiner Sicht wissenschaftlich nicht korrekt.
Natürlich kann man heute auch nicht behaupten, dass es diese Langzeitschäden nicht geben wird. Es ist zum heutigen Standpunkt schlicht nicht möglich, irgendwelche Aussagen bezüglich der Langzeitschäden zu treffen, weil uns die entsprechenden Daten nicht vorliegen.
Gibt es bereits eine Datenbank, in der diese Daten erfasst werden?
Prof. Jany: Eine prospektive Datensammlung ist mir definitiv nicht bekannt. Es gibt einzelne Initiativen, z. B. hat Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) eine europaweite Datenbank bereits angestoßen. Das Fallregister „LEOSS“ (Lean European Open Survey on SARS-CoV-2 Infected Patients) zeichnet sich dadurch aus, dass alle im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 gesammelten Daten zur gemeinsamen Analyse an die wissenschaftliche Gemeinschaft gehen (Link).
In den vergangenen Tagen wurde spekuliert, dass sich SARS-CoV-2 nicht nur per Tröpfcheninfektion verbreitet, sondern auch über Aerosole in der Luft. Was halten Sie von dieser These?
Prof. Jany: Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass diese Krankheit durch einen – relativ engen Kontakt – übertragen wird, und zwar durch Tröpfchen und nicht primär durch Aerosole. Dabei sprechen wir über Aerosolpartikel < 10 µm mit Viren, die auch noch in einer bestimmten Menge eingeatmet werden müssten. Es gibt ein Statement im New England Journal of Medicine (NEJM), in dem das Thema genau angesprochen und die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Infektion als sehr niedrig eingestuft wurde (Link).
Es wäre nicht seriös, diesen Übertragungsweg ganz auszuschließen. Wir müssen uns jedoch auf die aktuell vorliegenden Daten stützen, die zeigen, dass die meisten Ansteckungen durch einen engen (Face-to-Face) Kontakt mit einem Infizierten zustande kommen. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit, sich z. B. bei einem Spaziergang im Vorbeigehen anzustecken, eher gering. Es ist nicht ausgeschlossen, aber sehr unwahrscheinlich.
Im Wesentlichen daran geknüpft ist auch die Frage nach einer Maskenpflicht im öffentlichen Raum. Was halten Sie davon?
Prof. Jany: Es ist unstrittig, dass das medizinische und pflegerische Personal mit Masken ausreichend versorgt werden muss, die vor einer Infektion schützen können, also FFP2/3-Masken. Und solange dies nicht sichergestellt wird, sind jegliche Diskussionen über eine allgemeine Maskenpflicht aus meiner Sicht nicht zielführend. Ich denke, solche Vorschläge sind eher angst- und nicht wissenschaftlich getrieben. „Social distancing“ und Händehygiene sind nach wie vor die wirksamsten Maßnahmen, die wir durch die andauernden Maskenpflicht-Diskussionen nicht vernachlässigen dürfen.
Nachtrag
Aufgrund der Kommentare einiger Kolleginnen und Kollegen zur Maskenpflicht-Problematik ist es aus Sicht der Redaktion sinnvoll, den Standpunkt von Prof. Jany genauer zu erläutern: „Bei dieser Antwort war es mir wichtig, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, der Bevölkerung „Schutz“ vorenthalten zu wollen. Es geht nicht nur um den Mangel an „höherwertigen“, also eine virale Infektion verhindernden Masken (auch hier gibt es keinen 100%-igen Schutz), sondern um den anderen Zweck: „OP-Masken“, also Nase-Mund-Masken, sollen die Verbreitung von Erregern eines Erkrankten behindern. Einen Schutz vor Infektion durch andere (Erkrankte) bieten sie dagegen kaum“.
Kann eine Covid-19-Pneumonie von einer anderen viralen Pneumonie auf der Bildgebung unterschieden werden?
Prof. Jany: Es gibt bereits systematische Untersuchungen zu diesem Thema, u.a. auch eine Publikation im „Lancet“ mit 81 Covid-19-Patienten aus Wuhan, die radiologisch untersucht wurden (Link). Dort wird beschrieben, wie sich die Infektion radiologisch im CT darstellt und auch wie sie sich entwickelt. Es wurde jedoch kein für Covid-19 spezifisches Muster festgestellt. Auch das American College für Radiology (ACR) warnt in einem Statement ausdrücklich davor, aufgrund der Bildgebung eine Covid-19-Diagnose zu stellen (Link).
Der Unterschied zwischen einer Covid-19-Pneumonie und anderen viralen Pneumonien ist aktuell radiologisch nicht erkennbar.
Wie erklären sich die unterschiedlich schweren Verläufe, gerade bei Patienten ohne/mit ähnlichen Vorerkrankungen?
Prof. Jany: Diese Frage kann man aufgrund der aktuell vorliegenden Daten nicht seriös beantworten. Es gibt eine Menge unterschiedlicher Fallberichte, aber uns fehlt noch sehr viel Datenmaterial, um eine verlässliche Aussage zu treffen. Aus pneumologischer Sicht kann ich nur sagen, dass insbesondere Raucher und COPD-Patienten schwere Verläufe zeigen, weil sie mehr ACE2-Rezeptoren haben, über die das Virus mit großer Wahrscheinlichkeit in die Lunge gelangt. Hierfür gibt es Untersuchungen, die die Rezeptordichte in der Lunge mit der Lungenfunktion korrelieren und zeigen: Je schlechter der FEV1 (Anm. der Red.: Forced Expiratory Volume in 1 Second), desto höher ist die Rezeptordichte (Link).
Sollte in der aktuellen Situation bei COPD- und Asthma-Patienten Kortison weitergegeben werden?
Prof. Jany: Die DGP hat hierzu ein klares Statement abgegeben. Es gibt zum heutigen Zeitpunkt keinen Grund, ein inhalatives Steroid abzusetzen. Dadurch würden wir die Patienten mehr gefährden als durch ein unbelegtes Risiko einer Förderung der Ansteckung mit SARS-CoV-2.
Wo sehen Sie aktuell die größte Herausforderung für Deutschland?
Prof. Jany: In der aktuellen Debatte wird eine mögliche Knappheit an Beatmungsgeräten als eins der zentralen Probleme dargestellt. Dabei ist der Mangel an qualifiziertem Personal aus meiner Sicht unsere eigentliche Schwachstelle. Durch die Ökonomisierung des Gesundheitswesens hatten wir bereits bei schweren Influenza-Wellen Probleme, das nötige Personal für beatmungspflichtige Patienten zu bekommen. Selbstverständlich kann es auch jetzt nicht auf die Schnelle gefunden werden. Es ist ein langer Auswahl- und Ausbildungsprozess, der nach dieser Epidemie angestoßen werden muss. Darin sehe ich aktuell eine der wichtigsten Aufgaben der Politik.
Auch Dr. Johannes Winning, Leiter des Funktionsbereichs Notfallmedizin der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie am Universitätsklinikum Jena, sieht im Personalmangel eine der größten Herausforderung in der aktuellen Situation. Lesen Sie mehr dazu hier >>