
Covid-19: Rückzug zweier Studien & das Preprint-Problem
Ein großer Teil der wissenschaftlichen Evidenz zu Covid-19 wird zur Zeit in Form von Preprints veröffentlicht, die per Definition einen vorläufigen Charakter besitzen und entsprechend vorsichtig interpretiert werden müssen. Gleichzeitig ist auch eine reguläre Publikation in anerkannten Journalen mit Peer Review nicht automatisch eine Garantie für vertrauenswürdige Studienergebnisse, wie jüngst der Fall zweier zurückgezogener Studien zu Covid-19 zeigte. Lesen Sie hier die Einschätzung von Cochrane Deutschland zur Diskussion um Preprints und die Qualität von Studien zu Covid-19. 1
Lesedauer: ca. 3 Minuten

Dieser Artikel basiert auf der Pressemitteilung der Cochrane Deutschland Stiftung vom 09.06.2020.
Vorteile von Preprints sind Transparenz und Geschwindigkeit
Durch die Veröffentlichung von Preprints wird die Geschwindigkeit erhöht, mit der Forschungsergebnisse der wissenschaftlichen Welt zugänglich gemacht und verbreitet werden. Gleichzeitig ermöglichen Preprints kritisches Feedback von anderen Forschungsgruppen zum Entwurf der Studie, ehe diese den formalen Begutachtungsprozess einer Fachzeitschrift durchläuft, der mitunter einige Monate dauern kann.
Die Pandemie hat jedoch zu einer wahren Flut von Preprint-Publikationen geführt, weil auf diese Weise Studienergebnisse, die für die Eindämmung der Pandemie wichtig sein könnten, schneller bekannt gemacht werden können.
Der Nachteil sind Publikationen mit gravierenden Mängeln
Die Schattenseite davon ist, dass Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus Preprints stets nur einen vorläufigen Charakter haben, weil ihnen die sonst übliche Qualitätskontrolle durch Peer Review fehlt. Dadurch können sich auf Preprint-Servern gegebenenfalls auch Studien mit gravierenden Mängeln in der Methodik oder Interpretation finden, die in einer Fachzeitschrift mit qualitätssichernden Maßnahmen so nicht zur Veröffentlichung kämen.
Jörg Meerpohl, Direktor von Cochrane Deutschland und Direktor des Instituts für Evidenz in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg, kritisiert den undifferenzierten Umgang von Medien, Politikern und auch Wissenschaftlern mit diesen vorläufigen Studienergebnissen. Die Unsicherheit, die zu vielen Covid-19-Fragen nach wie vor bestehe, werde in der Berichterstattung meist zu wenig berücksichtigt.
Meerpohl ruft deshalb dazu auf, die bisherige Forschung zu Covid-19 sorgfältiger zu betrachten. „Entscheidend ist, dass die unvermeidlichen Limitationen gerade solcher Preprint-Publikationen in der Diskussion berücksichtigt und die Ergebnisse entsprechend vorsichtig interpretiert werden. Die Evidenz zu Covid-19 ist zurzeit noch lückenhaft, vorläufig und teils methodisch schwach. Doch auch wenn sich dies dringend ändern muss, so sie ist momentan eben doch noch die beste Evidenz, die wir haben.“ Alle, so Meerpohl, müssten lernen, mit dieser neuen Form der Vorab-Veröffentlichung von Ergebnissen angemessen umzugehen.
Gravierende Zweifel an Rohdaten der Firma „Surgisphere“
In der notwendigen Debatte um Preprints sollte allerdings auch nicht der Eindruck entstehen, als sei eine reguläre Veröffentlichung mit Peer Review in einem angesehenen Fachjournal eine absolute Garantie für vertrauenswürdige Forschungsergebnisse. Das belegt der aktuelle Fall von zwei Studien zur Behandlung von Covid-19, die vergangene Woche von „The Lancet“ und dem „New England Journal of Medicine“ zurückgezogen wurden. In den Publikationen ging es um die Wirksamkeit von Hydroxychloroquin bzw. den Einfluss von Antihypertensiva auf den Krankheitsverlauf.
Grund waren erst nach der Publikation aufgekommene erhebliche Zweifel an der Seriosität der Rohdaten, welche von der in Chicago ansässigen Firma Surgisphere erhoben worden waren. Mehr über den Wissenschafts-Skandal und seine bedeutenden Folgen erfahren Sie im Artikel der Ärztezeitung.
„Es ist in der Tat sehr ernüchternd, dass diese Unstimmigkeiten weder im Peer Review, noch im editoriellen Prozess der Journale aufgefallen sind. Gerade bei so hochrangigen Zeitschriften sollte so etwas nicht vorkommen“, kommentiert Jörg Meerpohl. „Für die Wahrnehmung der Qualität und Vertrauenswürdigkeit der Wissenschaft in der Öffentlichkeit ist so etwas natürlich fatal.“ Der Prozess des Peer Reviews sei zwar höchst sinnvoll, bedürfe aber dringend grundlegender Verbesserungen.
Weitere Stellungnahmen von Experten zu den beiden zurückgezogenen Studien finden Sie unter diesem Link (Sciene Center Germany).
Diese Themen könnten Sie auch interessieren: