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Covid-19 in der Klinik

21. Juli 2022
15.000 Euro Abzocke?

Fragwürdige Geschäfte mit der Apherese bei Long-Covid

Ärztinnen und Ärzte sind besorgt, dass verzweifelte Long-Covid-Patienten große Summen für invasive Therapien ohne Evidenz ausgeben. Tausende Menschen würden zur Behandlung sogar in andere Länder reisen, schreiben das BMJ und ITV News1,2

Lesedauer: ca. 3 Minuten

Geld

Autor: Michael van den Heuvel | Redaktion: Dr. Nina Mörsch

In Zypern, in Deutschland und in der Schweiz erhalten betroffene Patientinnen und Patienten eine therapeutische Apherese und eine gerinnungshemmende Therapie. 

15.000 Euro pro Behandlung

Der Report fasst Erfahrungen von Personen, welche die Behandlung erhalten haben, zusammen. Unter ihnen ist Gitte Boumeester, eine angehende Psychiaterin aus den Niederlanden. Bei ihr traten nach der Infektion mit SARS-CoV-2 schwere, langanhaltende Hustenanfälle auf. Boumeester konnte nicht mehr arbeiten. Sie erfuhr in einer Facebook-Gruppe für Long-Covid-Patientinnen und -Patienten von der Apherese. 

Boumeester wurde im Long-Covid-Center auf Zypern behandelt – für mehr als 15.000 Euro. Die Patientin erhielt sechs Apheresen, neun Anwendungen mit hyperbarem Sauerstoff und eine Vitamin-Infusion. Ihre Beschwerden verbesserten sich dadurch aber nicht. 

Im Long-Covid-Center rieten ihr Experten außerdem, Hydroxychloroquin als Therapie zu erwerben, falls sie sich erneut mit dem Virus infizieren sollte. Eine im März 2021 veröffentlichte Cochrane Review kam jedoch zu dem Fazit, es sei „unwahrscheinlich“, dass das Medikament einen Nutzen habe. 

Experimentelle Therapien nur in klinischen Studien

Doch was bringt die Apherese? Shamil Haroon von der Universität Birmingham, er ist an der Studie „Therapies for Long COVID in Non-hospitalised patients (TLC)" beteiligt, hat sich mit dem Thema befasst. Er sagt, eine solche experimentelle Behandlung solle nur im Rahmen einer klinischen Studie durchgeführt werden. 

„Es ist nicht verwunderlich, dass Menschen, die früher sehr fit waren, jetzt aber geschwächt sind, nicht mehr arbeiten können und nicht mehr in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, eine andere Behandlung suchen“, sagt er. „Das ist eine völlig vernünftige Reaktion auf eine solche Situation. Aber die Menschen könnten durch die Inanspruchnahme dieser Behandlungen, für die es nur wenige oder gar keine Wirksamkeitsnachweise gibt, möglicherweise bankrott gehen.“ 

Angebote auch in Deutschland

Im Februar letzten Jahres begann Dr. Beate Jaeger, Ärztin für Innere Medizin, in ihrer Klinik in Mülheim, Long-COVID-Patienten mit Apherese zu behandeln, nachdem sie Berichte gelesen hat, dass COVID-19 Probleme mit der Blutgerinnung verursacht. Wie sie dem BMJ mitteilte, habe sie inzwischen Tausende von Patienten in ihrer Klinik behandelt. Die Erfolgsgeschichten würden sich über sozialen Medien und durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreiten. 

Jaeger räumt ein, dass es sich bei der Behandlung um ein experimentelles Verfahren handele, sagte aber, dass Versuche zu lange dauern würden, wenn Patienten krank und verzweifelt seien. 

Die Ärztekammer Nordrhein prüft momentan, ob Ärzte durch solche Leistungen gegen ihre Berufsordnung verstoßen. Sie teilte dem BMJ mit, dass sie keine Beschwerden von Patienten oder Organisationen über Jaeger oder ihre Klinik erhalten habe, aber dass in einem solchen Fall eine Untersuchung einleiten werde.

Die Untersuchung ergab, dass die Apherese selbst und die damit verbundenen Reisekosten so teuer sind, dass Patienten auf Websites wie GoFundMe bereits versuchen, Spenden zu bekommen. 

Hinweise auf einen Nutzen – aber keine Beweise 

Bisherige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Mikro-Verklumpungen im Blutplasma von Menschen mit Long-Covid für die Symptome verantwortlich sein könnten. Experten, die vom BMJ kontaktiert worden sind, sagten jedoch, dass mehr Forschung erforderlich sei, um zu verstehen, wie sich solche „Mikroklumpen“ bildeten und ob sie Symptome verursachen würden. 

„Wenn wir die Mechanismen nicht kennen, durch die sich die Mikroklumpen bilden, und wenn wir nicht wissen, ob sie krankheitsverursachend sind oder nicht, erscheint es verfrüht, eine Behandlung zur Beseitigung der Mikroklumpen zu entwickeln, da sowohl die Apherese als auch die Dreifach-Antikoagulation nicht ohne Risiken sind“, so Robert Ariens, Professor für Gefäßbiologie an der University of Leeds School of Medicine. Hinzu komme die fehlende Nachsorge nach der Gabe von Antikoagulanzien. 

7 Fragen zur aktuellen Covid-19 Lage

Dieser Beitrag ist im Original erschienen auf medscape.com.

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