Zuckerersatz und kardiovaskuläre Erkrankungen
Erythrit (auch Erythritol oder E 968) wird häufig als kalorienfreie Zuckeralternative in Lebensmitteln verwendet. Eine Studie assoziiert nun jedoch ein erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko und eine gesteigerte Blutgerinnung mit dem Süßungsmittel.1
Lesedauer: ca. 5 Minuten

Redaktion: Dr. Linda Fischer
Bei 1.157 Personen mit hohem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersuchte das Forschungsteam Blutproben. Diejenigen, bei denen über den Beobachtungszeitraum von 3 Jahren eine schwerwiegende kardiovaskuläre Komplikation auftrat, fanden die Forschenden im Plasma eine gesteigerte Konzentration einiger Polyole, darunter insbesondere Erythrit.
Diese Annahmen bestätigten sich in Analysen zweier Validierungskohorten (USA, Europa) mit 2.149 und 833 weiteren Personen, mit einer hohen Prävalenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Risikofaktoren. Weitere Untersuchungen zeigten, dass eine Zugabe von Erythrit zu Blut oder Blutplättchen die Gerinnungsbildung beschleunigte.
In einer rezenten prospektiven Interventionsstudie mit 8 gesunden Personen erhöhte der Verzehr eines mit 30 g Erythrit gesüßten Getränks den Erythritspiegel im Blut über den Zeitraum von 2 Tagen so sehr, dass der Spiegel laut Forschenden weit über der Schwelle lag, bei der signifikante Hinweise auf eine veränderte Blutplättchenaktivität vorliegen. Dabei war der Süßmittelgehalt des Getränks laut Studie vergleichbar mit einer Dose handelsüblichem künstlich gesüßten Getränk oder 500 ml Diät-Eiscreme.
Erythrit häufig ohne Mengenbegrenzung
Bewertungen des Wissenschaftlichen Lebensmittelausschusses der Europäischen Union, sowie zuletzt im Jahre 2015 der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ergaben keine gesundheitlichen Bedenken gegen die Verwendung von Erythrit.2,3 Bei Produkten, die zu > 10 % aus Zuckeralkoholen bestehen, muss lediglich darauf hingewiesen werden, dass sie bei übermäßigem Verzehr abführend wirken können.4 Somit stellt Erythrit einen von derzeit 8 in der EU zugelassenen Zuckeraustauschstoffe dar und darf bestimmten industriell gefertigten Lebensmitteln ohne Mengenbegrenzung zugesetzt werden.5
Wenige Langzeitstudien zu Zuckeralternativen
Sowohl Zuckeraustauschstoffe als auch Süßstoffe kommen immer häufiger in Lebensmitteln zum Einsatz. Gerade vorerkrankten Personen werden sie oft als gesündere Zuckeralternative empfohlen.
Dennoch gibt es bisher nur wenige Langzeitstudien zu ihrer Wirkung. Dabei spielt die Bewertung ihrer Sicherheit eine erhebliche Rolle, wenn wie zuletzt wieder intensiv die Reduzierung von Zucker, etwa durch eine Zuckersteuer, diskutiert wird.
Stimmen der Fachleute
Dr. Stefan Kabisch, Studienarzt in der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin (Deutsches Zentrum für Diabetesforschung/DZD), Campus Benjamin Franklin (CBF), Charité – Universitätsmedizin Berlin
„Die Studie kombiniert Daten aus mehreren Beobachtungsstudien mit Laboranalysen zum möglichen Mechanismus der Assoziation. Hohe Erythritspiegel standen in statistischer Beziehung mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dieses Ergebnis kann zu weiten Teilen auf Scheinkorrelationen und Störgrößen beruhen. Typischerweise sind Personen mit hohem Konsum von Zuckerersatzstoffen adipöser, metabolisch kränker und haben einen insgesamt ungesünderen Lebensstil.“
Inwiefern lassen sich die erhöhten Erythrit-Werte auf die Ernährung zurückführen?
„Der gemessene Erythrit-Spiegel resultiert aus der Nahrungszufuhr sowie aus der körpereigenen Produktion. Letztere erreicht nicht die Mengen, die durch gesüßte Lebensmittel erzielt werden können. Die in den Zell-, Tier- und Humanexperimenten der Publikation eingesetzte Dosis ist im Vergleich zu den gemessenen Spiegeln der Kohorten äußerst hoch und somit von den meisten Menschen nicht durch die Ernährung erreichbar.“
„Die untersuchten Kohorten waren Hochrisikokohorten. Für gesündere Menschen ist der Risikozusammenhang sehr wahrscheinlich geringer. Der im Labor untersuchte Mechanismus der Wirkung von Erythrit auf das Gerinnungssystem wurde aber an gesunden Personen getestet und zeigte dennoch die auffällige Reaktion der Blutplättchen. Im Prinzip ist das Risiko also wahrscheinlich für alle Menschen generalisierbar.“
„Allerdings zeigt in allen 3 Kohorten nur das oberste Quartil das signifikant erhöhte Herz-Kreislauf-Risiko. Die notwendige Dosis für einen Effekt auf das statistische Herzrisiko bzw. eine Wirkung auf das Gerinnungssystem ist also möglicherweise so hoch, dass die meisten Menschen sie auch mit dem heute üblichen Ernährungsmuster und der verfügbaren Produktpalette nicht erreichen.“
PD Dr. Anne Christin Meyer-Gerspach, Leiterin der Metabolen Forschungsgruppe, St. Clara Forschung, Basel, Schweiz und PD Dr. Bettina Wölnerhanssen, Ärztin und Leiterin der Forschungsabteilung, St. Clara Forschung, Basel, Schweiz
PD Dr. Anne Christin Meyer-Gerspach:
„Folgende Punkte sind unklar und sollten weiter untersucht werden: Erstens konnte nicht zwischen endogener Synthese und dem Konsum von Erythrit unterschieden werden.“
„Zweitens waren in der Studie erhöhte Erythritwerte im Blut mit einem erhöhten Herzinfarktrisiko assoziiert. Ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen dem Konsum von Erythrit und einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen konnte aber nicht aufgezeigt werden. Damit stellen sich die Fragen: Produzieren Personen mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko vermehrt Erythrit aus konsumiertem Zucker? Ist die endogene Erythritproduktion durch eine genetische Disposition gesteuert?“
„Ein Hinweis liefert eine vor wenigen Jahren publizierte Studie6, bei der 30 Jahre alte Blutproben analysiert wurden – also aus einer Zeitperiode, als noch kein Erythrit in Lebensmitteln verwendet wurde. Bei dieser Studie waren erhöhte Erythritwerte mit einem erhöhten Risiko von Herzinfarkten verbunden. Möglicherweise hatten diese Menschen also einen erhöhten Blutzuckerspiegel – was bekanntermaßen zu erhöhtem Herzinfarktrisiko führt – und der erhöhte Erythritspiegel war ein Nebenbefund ohne direkte klinische Bedeutung7.“
Wie übertragbar sind die Daten auf die allgemeine Bevölkerung?
„Die Aussagekraft der verschiedenen Studien bezogen auf die Gesamtbevölkerung ist schwierig. In der ersten Studie wurden bei einer Risikogruppe das Vorhandensein von Erythrit im Blut mit dem Vorhandensein von kardiovaskulären Komplikationen korreliert. Es handelt sich also um eine Population mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko, das heißt, die Aussage kann nicht ohne Weiteres auf die ‚Normalbevölkerung’ übertragen werden. Bei der zweiten Studie handelt es sich um in-vitro Versuche, sowie in-vivo Tierversuche, deren Aussagekraft bzw. deren Übertragung auf den Menschen limitiert ist. In der dritten Studie wurden 8 Probanden untersucht und dabei die Konzentrationen von Erythrit im Blut nach Einnahme von Erythrit gemessen, nicht aber die Gerinnungsfunktion untersucht. Deutlich aussagekräftiger wäre die Untersuchung des Gerinnungssystems bei gesunden Probanden oder bei Patienten zu untersuchen nach akuter und nach chronischer Einnahme von Erythrit.“
Inwiefern wird eine Reduktion von Zucker in Lebensmitteln mit Süßstoffen ersetzt und welche Folgen könnte das haben?
PD Dr. Bettina Wölnerhanssen:
„Die Zuckerreduktion ist aus medizinischer Sicht dringend notwendig. Idealerweise wird der Konsum an süß schmeckenden Substanzen reduziert und der Zuckersatz durch Zuckeralternativen limitiert. Getränke mit Zuckeralternativen sollten nicht als Ersatz für zuckerhaltige Getränke empfohlen werden und Wasser sollte weiterhin die Hauptquelle der Flüssigkeitsaufnahme sein.“
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