
Was die Zunge über die Gesundheit verrät
Bläschen, Flecken und Punkte im Mund können harmlos, aber auch Zeichen einer schweren Krankheit sein. Erfahren Sie hier, was sich hinter auffälligen Zungenmerkmalen verbergen kann und wann eine weitere Abklärung notwendig wird. 1-8
Lesedauer: ca. 6 Minuten

Autor: Paul Frysh | Übersetzung und redaktionelle Ergänzung: Dr. Nina Mörsch
Weiße Belege oder Flecken
Hinter cremig-weißen, abwischbare Belegen auf der Zunge kann sich eine Infektion mit dem Hefepilz Candida albicans verbergen (siehe Abb.1). Candida-Arten sind ein natürlicher Bestandteil der menschlichen Flora. Kommt es jedoch zu einem Ungleichgewicht, kann es zu ihrer übermäßigen Vermehrung kommen.


Weiße Schleimhautveränderungen in Form von Streifen, Papeln, Spitzen oder netzartigen Strukturen (Wickham-Streifen), könnten Lichen planus sein. Die genaue Ursache dieser Erkrankung ist ungeklärt, vermutlich liegt ein Autoimmunprozess zugrunde, der durch verschiedene Faktoren, wie genetische Prädisposition, Reaktionen auf zahnärztliche Werkstoffe (z.B. Amalgam), Medikamente, Stress, Traumata, Infektionen oder Medikamente ausgelöst werden kann. Obwohl der orale Lichen planus eine gutartige Erkrankung ist, kommt es in seltenen Fällen zu einer bösartigen Transformation, weshalb eine engmaschige Kontrolle erfolgen sollte. Zu den Risikofaktoren für eine maligne Transformation gehören Geschwürbildung, Lage auf der Zunge und weibliches Geschlecht.


Harte, flache, weiße Stellen, die sich nicht wegkratzen lassen, könnten auf eine Leukoplakie (auch Weißschwielenkrankheit) hindeuten, eine potenziell maligne Läsion, definiert als „weiße Plaque mit fraglichem Risiko, unter Ausschluss (anderer) bekannter Krankheiten oder Störungen, die kein erhöhtes Krebsrisiko bergen“.
Leukoplakie ist nur ein klinischer Begriff. Seine Definition wird normalerweise nach einer histopathologischen Untersuchung geändert. 3 Als Risikofaktoren gelten Tabakrauchen, starker Alkoholkonsum und hohes Alter.
Haarige und verfärbte Zungen
Wenn die Zunge einen Belag hat, der wie schwarzer, brauner oder weißer Pelz aussieht, handelt es sich möglicherweise um eine sogenannte haarige Zunge. Die schwarze Haarzunge, auch Lingua villosa nigra genannt, ist ein seltenes, gutartiges Phänomen und entsteht durch dicht stehende, fadenförmig verlängerte Papillae filiformes der Zunge infolge einer Hyperkeratose. 4
Auslösend für die verstärkte Verhornung sind häufig Reizstoffe, unter anderem Teer und Medikamente (Antibiotika, Antimykotika, Glukokortikoide, Antazida oder Phenothiazine), eine unzureichende Exfoliation (z. B. durch verminderte orale Aufnahme, schlechte Mundhygiene oder Mundtrockenheit im Zusammenhang mit anticholinergen Medikamenten) oder zu intensiver Gebrauch von Mundspüllösungen (z.B. Chlorhexidin). 5


Die Therapie richtet sich nach der Ausprägung der Haarzunge und besteht in erster Linie aus einer sanften Reinigung mit einer Bürste mit weichen Borsten, sowie die Entfernung des möglichen Auslösers.
Bei haarigen, weißen Flecken, die sich nicht abkratzen lassen, können, handelt es sich möglicherweise um orale haarige Leukoplakie. Sie kann bei einer viralen Infektion auftreten, etwa mit dem Epstein-Barr-Virus oder HIV.


Eine schwarze Zunge (s. Abb. 4) kann auch auf orale Wismutpräparate zurückzuführen sein. Bei manchen Menschen färbt sich die Zunge schwarz, wenn sich das Mittel mit dem Speichel vermischt. Die Verfärbung ist harmlos und verschwindet nach Absetzen des Medikamentes wieder.
Erdbeerzunge
Eine leuchtend rote Zunge könnte ein frühes Anzeichen für die Kawasaki-Krankheit sein, eine Vaskulitis im Kleinkindesalter, die in der Regel mit plötzlich einsetzendem Fieber, Exanthemen, Konjunktivitis, Schleimhautveränderungen im Mundbereich und einer zervikalen Lymphadenopathie einhergeht. Auslöser sind meist banale Atemwegsinfektionen. (s. Abb.5).


Eine rote Zunge könnte auch auf Scharlach hindeuten. Bei einer roten und glatten Zunge (Lackzunge, Lingua glabra) kann ein Niacin-Mangel vorliegen. In der Folge treten Schmerzen im Mund, verstärkte Speichelbildung und Zungenödeme auf. Insbesondere unter der Zunge, an der Mukosa der Unterlippe und der Wangen in Höhe der Molaren bilden sich Ulzerationen.6
Burning-Mouth-Syndrom
Wenn sich die Zunge anfühlt, als wäre sie verbrüht, sollte an das Burning-Mouth-Syndrom (BMS, Syndrom des brennenden Mundes) gedacht werden. Das BMS ist gekennzeichnet durch brennende Schmerzen in einer normal erscheinenden Mundschleimhaut, die mindestens vier bis sechs Monate anhalten.
Die Erkrankung ist idiopathisch und die zugrunde liegende Pathophysiologie ist nicht gut verstanden. Bei Patientinnen und Patienten mit BMS kommt es häufig zu Veränderungen der Geschmacksfunktion, die zu einem metallischen oder bitteren Geschmack führen können. Auch Gesundheitsprobleme wie Mundtrockenheit, Infektionen, saures Aufstoßen und Diabetes können die Ursache sein.
Bei manchen Menschen verursachen auch säurehaltige Lebensmittel wie Ananas sowie Zahnpasta, Mundwasser, Bonbons oder Kaugummi ein Brennen im Mund.
Glatte Zunge und Landkartenzunge
Eine Zunge ohne Unebenheiten auf der Oberseite kann glänzend rot aussehen. Sie kann auftreten, wenn Personen nicht genügend Nährstoffe wie Eisen, Folsäure oder B-Vitamine (siehe oben) zu sich nehmen. Auch Infektionen, Zöliakie oder bestimmte Medikamente können sich hinter diesen Beschwerden verbergen.
Bei der Landkartenzunge oder Lingua geopraphica (s. Abb. 6) handelt es sich um eine gutartige entzündliche Veränderung der Zungenoberfläche. Sie zeichnet sich durch inselartige, glatte rote Flecken aus, die sich durch einen gelb-weißen beziehungsweise gräulichen und eher rauen Rand abgrenzen.
Die Flecken wechseln häufig ihr Erscheinungsbild. Manchmal schmerzen oder brennen sie, häufig ausgelöst oder verstärkt durch heiße, scharfe, pikante und säurehaltige Lebensmittel oder Zahnpasta. Sie sind harmlos, können aber mit Schuppenflechte oder Lichen planus in Verbindung gebracht werden.


Aphten und "Lügen-Bläschen"


Aphten finden sich häufig unter Zunge: Sie sind klein, rundlich, schmerzhaft und von einem gelblichen bis grauweißen Belag mit rötlich-entzündlichem Rand umgeben.
Eine einzelne, schmerzhafte Aphte an der Zungenspitze kann auf eine transiente linguale Papillitis ("Lügenbläschen") hindeuten. Diese kann sich bilden, wenn die Zunge durch Stress, schlechte Ernährung, Rauchen, allergische Reaktionen, bestimmte Lebensmittel oder Hormone gereizt wird. Sie bedarf keiner Behandlung, kann aber jederzeit wieder auftreten. (s. Abb.8)
Auch Viren wie etwa SARS-CoV-2 können zu Bläschen an Zungenspitze oder - seite führen. Bei Bläschen oder "Höckern" auf oder unter der Zunge, die keine Schmerzen verursachen und nicht von alleine abheilen, sollte der Verdacht auf Krebs abgeklärt werden.


Makroglossie ("Riesenzunge")


Eine Makroglossie, eine ausgeprägte Hypertrophie der Zunge, kann zu Problemen beim Kauen, Sprechen oder Atmen führen (s. Abb.9). Auch nimmt die Zunge unter Umständen so viel Platz ein, dass sich an ihren Seiten Abdrücke der Zähne finden. Eine Makroglossie kann angeboren oder erworben sein. Mögliche Ursachen sind Syndromerkrankungen, endokrine Störungen oder Speicherkrankheiten. Auch an gut- und bösartige Tumore muss gedacht werden. Bei einer erworbenen Makroglossie sollte primär die Grunderkrankung therapiert werden.7
Faltenzunge (Lingua plicata)
Mit zunehmendem Alter können sich tiefe Furchen und Rillen auf der Zunge bilden (Lingua plicata, LP). Teilweise tritt die LP in Kombination mit einer Landkartenzunge (siehe oben) auf. Zumeist beschränkt sich die Veränderung auf die vorderen zwei Drittel der Zungenoberfläche. Männer sind häufiger betroffen. Eine familiäre Häufung ist vielfach anzutreffen, ein autosomal-dominanter oder polygener Erbgang wird diskutiert.
Die Lingua plicata kann mit verschiedenen Krankheiten und Syndromen in Verbindung stehen, hierzu zählen Psoriasis vulgaris, perniziöse Anämie, Sjögren-Syndrom, Melkersson-Rosenthal-Syndrom, Pierre-Robin-Syndrom, Trisomie 21 und Akromegalie. Auch wenn die faltige Zunge in den meisten Fällen harmlos ist, wird eine regelmäßige Zungenreinigung empfohlen.8


Karzinom der Mundhöhle


Viele Flecken, Bläschen, Knötchen oder Verfärbungen der Zunge sind harmlos. Dennoch ist es wichtig, Anzeichen zu kennen, die auf Krebs hindeuten könnten. So ist Zungenkrebs im frühen Stadium zumeist asymptomatisch. Hellhörig sollte man jedoch werden, wenn folgende Symptome länger als 2 Wochen anhalten: schmerzlose Läsionen (weiße oder rote Flecken, Ulzerationen).
Bei fortgeschrittener Erkrankung können ein Foetor ex ore, brennende Schmerzen, insbesondere beim Schlucken, und eine Dysarthrie durch eine eingeschränkte Zungenbeweglichkeit imponieren. Zu den Risikofaktoren gehören u.a. chronischer Tabakkonsum, Alkoholabusus, Konsum von Kautabak, Infektion mit HPV-16 und übermäßiger Konsum von Fleisch und gebratenem Essen. 9