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Praxis-Wissen kompakt

11. Sep. 2023
Sexuell übertragbare Erkrankungen

Wann sollten Ärztinnen und Ärzte hellhörig werden?

Sexuell übertragbaren Erkrankungen (STD) bleiben immer noch häufig unerkannt. Wir haben mit Dr. Sarah Preis, TU München, über die größten Herausforderungen in der Diagnose und ärztlichen Versorgung von STD gesprochen und liefern konkrete Tipps für die Anamnese.

Lesedauer: ca. 5 Minuten

Dr. med. Sarah Preis
Sexuell übertragbare Erkrankungen zählen zum Spezialgebiet von Dr. med. Sarah Preis, tätig an der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein, Technische Universität München. (Dr. med. Sarah Preis)

Redaktion und Interview: Nathalie Haidlauf

Frau Dr. Preis, Sie sind Dermatologin am Klinikum rechts der Isar in München und eines Ihrer Spezialgebiete sind sexuell übertragbare Erkrankungen. Wo sehen Sie hier die größten Herausforderungen in der Diagnose und ärztlichen Versorgung?

Dr. Sarah Preis: Ich glaube, das erste große Problem hinsichtlich Diagnose und ärztlicher Behandlung ist, dass viele sexuell übertragbare Erkrankungen geringe bzw. kaum Beschwerden verursachen. Zweitens kann der Körper keine protektive Immunität ausbilden. Das bedeutet, wir können immer wieder Gonorrhoe bekommen oder uns mit dem Herpes-Simplex-Virus infizieren.

Drittens wird die Diagnosestellung durch eine bestehende Stigmatisierung erschwert. Patientinnen und Patienten trauen sich oftmals einfach nicht, zum Arzt zu gehen und es ist schwierig, Infektionsketten aufzuklären, da nicht jeder oder jede bereitwillig Auskunft gibt, wo die Infektion erworben wurde. Die vierte große Herausforderung sehe ich im massiven Informationsbias in der Gesellschaft.  

Das heißt, die Aufklärung ist noch nicht gut genug?

Dr. Sarah Preis: Genau. Es gibt eine Befragung von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die diesen Informationsbias schön aufzeigt. Dort wurde erhoben, welche STD die Menschen kennen. Es kam heraus, dass 70 % HIV (Human Immunodeficiency Virus) kennen, aber nur jeder Zehnte überhaupt, weiß, dass es Chlamydien gibt. Das heißt, erst einmal muss der oder die Betroffene wissen, dass es sich um eine sexuell übertragbare Erkrankung handeln könnte, bevor er oder sie sich überhaupt beim Arzt vorstellt. Und dann muss der Arzt bzw. die Ärztin die richtigen Fragen stellen, um überhaupt an dieses oftmals etwas versteckte Problem des Betroffenen heranzutreten.

Und wie kommt man nun sexuell übertragbaren Krankheiten auf den Grund? Wann sollte man bei der Anamnese hellhörig werden?

Dr. Sarah Preis: Oftmals kommt es bei der Anamnese vor, dass Patienten sagen, sie hätten sich im Genitalbereich gestoßen oder verletzt. Häufig handelt es sich aber nicht um ein Trauma, sondern um einen Primäreffekt der Syphilis. Und ich glaube, so etwas wird einfach schnell übersehen.

Und wo Ärztinnen und Ärzte auf jeden Fall hellhörig werden sollten, ist, wenn Patientinnen oder Patienten berichten, dass sie Geschlechtsverkehr unter Drogeneinfluss hatten. Denn wir wissen, dass dieser ‚Chemsex‘ etwas brutaler ist. Die Beteiligten haben ein geringeres Schmerzempfinden und gerade bei rezeptivem Analverkehr kommt es zu deutlich mehr Verletzungen als beim ‚klassischen Sex‘.

Ganz konkret: Welche Fragen sollten Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der Sexualanamnese stellen – und welche besser nicht?

Dr. Sarah Preis: Natürlich muss man nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr fragen. Ich glaube allerdings, das ist eine ganz schlechte Einstiegsfrage. Und diesen Fehler habe ich am Anfang häufig gemacht. Ebenso ungünstig ist es meiner Ansicht nach, zu fragen: ‚Sind Sie in einer festen Partnerschaft?‘ Denn fragt man anschließend nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr außerhalb der Partnerschaft, antworten 100 % der Patienten sicherlich mit ‚nein‘.

Zitat

Besser geeignet für den Einstieg sind Fragen, die nicht auf den Beziehungsstatus eingehen. Beispielsweise: ‚Haben Sie das Gefühl, Sie könnten irgendwoher sexuell übertragbare Erkrankungen bekommen haben?‘ oder ‚Haben Sie wechselnde Geschlechtspartner?‘

Dr. med. Sarah Preis, TU München

Gibt es sexuell übertragbare Infektionen, die besonders schwierig zu diagnostizieren sind und die deshalb häufiger übersehen werden?

Dr. Sarah Preis: Ich glaube, was häufig übersehen wird, sind alle Erkrankungen, die geringe oder kaum Symptome verursachen – beispielsweise die Chlamydien-Infektion bei der Frau. Bleibt diese unbehandelt, kann das zu Unfruchtbarkeit führen. Auch problematisch sind humane Papillomviren (HPV), also die klassischen Feigwarzen im Genitalbereich, die in der Regel nicht jucken, aber ebenfalls schwerwiegende Folgen haben können, da sie ein Krebsrisiko mit sich bringen.

Kommen wir nun auf die wohl bekannteste STD zu sprechen. Welche Rolle spielt die HIV-Infektion heute? Wo stehen wir heute, was den Umgang mit HIV und Aids angeht?

Dr. Sarah Preis: Insgesamt steht Deutschland ganz gut da. Es gab ja das 90-90-90-Ziel der Vereinten Nationen. Demnach sollten weltweit 90 % der HIV Infizierten diagnostiziert sein und 90 % davon behandelt und 90 % unterhalb der Nachweisgrenze liegen.

Wenn man sich das für Deutschland ausrechnet, sind es jährlich immerhin noch rund 8.000 nicht diagnostizierte HIV-Patientinnen und -Patienten. Also obwohl wir über 90 % der Betroffenen kennen, gibt es gleichzeitig noch geschätzt 8.000 Menschen, die ihre Diagnose noch nicht erhalten haben.

Und was man außerdem sehen kann, ist dass die Inzidenz im Bereich von Männern, die Sex mit Männern haben, konstant sinkend ist. Das liegt einerseits an der HIV-PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe), andererseits auch daran, dass hier schon ein größeres Bewusstsein vorhanden ist.

Gibt es Patientengruppen, bei denen die Infektion häufig übersehen wird?

Dr. Sarah Preis: Wo wir in Deutschland noch stark hinterherhinken, ist der Bereich heterosexueller Paare sowie bei Menschen, die Intravenösen Drogenkonsum betreiben. Also da ist auf jeden Fall noch eine Lücke, die in den letzten Jahren auch anhand den Inzidenzen deutlich wurde.

Welche Vorgehensweise oder Maßnahmen werden derzeit im Umgang mit HIV-Infizierten in der Praxis empfohlen bzw. nicht mehr empfohlen?

Dr. Sarah Preis: Was von allen Seiten empfohlen wird, ist das „Test and treat“-Programm. Demnach soll jeder Mensch, der HIV-positiv getestet wird, auch direkt behandelt werden. Und was da gut funktioniert ist, dass wir ja inzwischen wirklich eine Fülle an Präparaten haben. D.h. wir können wirklich auf jeden Betroffenen individuell eingehen – sei es hinsichtlich Anwendungsfreundlichkeit, Applikationsart, Frequenz der Anwendung, Nebenwirkungsprofil, Komorbiditäten oder eventuell vorhandenem Kinderwunsch. Die Therapieoptionen sind hier aktuell sehr gut.

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