
Pilzvergiftung: Wissenswertes & richtiges Handeln im Notfall
Gerade bei unerfahrenen Pilzsammlern landen immer wieder giftige Exemplare auf dem Teller. Im schlimmsten Fall kann der Verzehr von Giftpilzen lebensgefährlich sein. Wissenswertes für die Pilzsaison und Tipps für den Notfall verrät der folgende Beitrag.
Lesedauer: ca. 6 Minuten

Redaktion: Marc Fröhling
Bei Verwechslung droht Lebensgefahr
Das Gesundheitsrisiko durch die Aufnahme selbst gesammelter giftiger oder unverträglicher Pilze wird vom Bundesinstitut für Risikobewertung verhältnismäßig hoch eingeschätzt – immer wieder werden bekömmliche Arten mit giftigen Vertretern verwechselt. Gerade bei beliebten heimischen Speisepilzen wie der Wiesenchampion oder Täubling besteht die Gefahr einer Verwechslung mit dem hochgiftigen Grünen Knollenblätterpilz. Die Giftinformationszentralen der Länder beantworten demnach jährlich rund 3.000 Anfragen zu Pilzen.
Besonders gefährdet sind Kinder und ältere Menschen, da bei ihnen auch kleine Mengen giftiger Pilze schwere gesundheitliche Schäden hervorrufen könnten. Die Symptome für Pilzvergiftungen sind vielfältig, häufig – aber nicht bei jedem Pilz – treten zu Beginn ein Unwohlsein, verbunden mit Magenschmerzen, Übelkeit und Erbrechen auf.1
Warnung vor Apps
„Beim Pilzesammeln sollte man sich auch nicht alleine auf Apps verlassen“, warnt Martin Ebbecke vom Giftinformationszentrum Nord in Göttingen. Auch Pilz-Experte Lukas Larbig von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie in Hannover ist bei dem Thema skeptisch. „Man sollte [...] Apps nicht sein Leben anvertrauen“, sagt er. Oft werde mit zu geringer Artenkenntnis gesammelt und zu wenige der Beratungsangebote genutzt. Von Expertenseite wird Sammlerinnen und Sammlern geraten, Schulungen der Deutschen Gesellschaft für Mykologie zu besuchen. So bietet die Deutsche Gesellschaft für Mykologie eine bundesweite Karte mit Pilzsachverständigen an.2
Was gilt es beim Sammeln zu beachten?
Die Pilzsachverständige Nadja Frotscher von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie rät unerfahrenen Pilzsuchern, bekannte von unbekannten Sorten in unterschiedlichen Körben getrennt sammeln. Es sei zudem sinnvoll, die Pilze aus dem Boden herauszudrehen, statt sie abzuschneiden, denn: Viele Pilze ließen sich nur bestimmen, wenn der gesamte Stiel intakt sei. Außerdem sollten gesammelte Pilze vor dem Verzehr in jedem Fall für 15 Minuten bis mindestens 60 Grad erhitzt werden. Denn es gebe viele Speisepilze, die erst durch das Kochen genießbar würden. Dazu zählen der Parasol (Gemeiner Riesenschirmling) sowie der Austernseitling.3
Verdacht auf Pilzvergiftung: Nicht auf angebliche Hausmittel vertrauen
Laut Prof. Dr. Michael P. Manns, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Leberstiftung, sollte man sich bei Verdacht auf eine Pilzvergiftung sofort an ein Giftinformationszentrum oder an das nächste Krankenhaus wenden oder den Notruf wählen. Die Diagnose erleichtere es, wenn Pilzreste, Reste der Mahlzeit oder das Erbrochene aufgehoben und an den Arzt oder die Ärztin weitergegeben würden. So könne die Vergiftung bestimmt und die entsprechende Behandlung besser ermittelt werden.
Keinesfalls jedoch sollten Betroffene auf angebliche Hausmittel gegen Vergiftungen wie ‚Milch trinken‘ oder ‚Erbrechen hervorrufen‘ vertrauen, denn: Erbrochenes kann in die Lunge geraten und Milch die Aufnahme von Gift sogar begünstigen. „Damit kann man unter Umständen die Situation noch verschlechtern“, betont Manns.4
Tödliche Vergiftung: Knollenblätterpilze zerstören die Leber
„Nach dem Verzehr von Giftpilzen kommt es im schlimmsten Fall zu einem Organversagen. Wenn die Toxine aus dem Magen- und Darmtrakt aufgenommen sind und über die Blutbahn in die Leber kommen, kann das zu einem Leberversagen führen", erläutert Manns weiter. Einer der giftigsten Pilze in Europa ist der Knollenblätterpilz. Dieser ist für mindestens 80% der tödlich verlaufenden Pilzvergiftungen verantwortlich. Für die lebensbedrohliche Wirkung des Knollenblätterpilzes sind sogenannte Amatoxine verantwortlich, vor allem das α-Amanitin. Schon ein einzelner Pilz kann tödlich giftig sein, so Manns weiter.4
Bereits ein Bruchteil einer üblichen Portion einer Pilzmahlzeit kann für Erwachsene und Kinder zum Tode führen. Rund fünf Prozent aller Pilzvergiftungen gehen auf den Konsum von Grünen Knollenblätterpilzen zurück, die von Juli bis Oktober vor allem in Laubwäldern, aber auch in Parks wachsen.1
Der Knollenblätterpilz ist sehr gefährlich, da sein Gift erst mehrere Stunden nach dem Verzehr wirkt und dann bereits im ganzen Körper aufgenommen ist. Zunächst treten Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall auf – ähnlich einer Magen-Darm-Infektion. Nach ein bis zwei Tagen kommt es zur Schädigung der Leber, die von Blutgerinnungs- und Nierenfunktionsstörungen begleitet werden kann. „Im schlimmsten Fall stellt die Leber ihre Funktion ein, so dass nur noch eine Lebertransplantation das Leben der Patienten retten kann“, so Professor Dr. Markus Cornberg, stellvertretender Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Endokrinologie (der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).5
Vergiftung auch bei essbaren Exemplaren möglich
Nicht nur bei Giftpilzen, auch bei essbaren Exemplaren kann die Gefahr einer Vergiftung bestehen:
- Zu alte Pilze – gleichgültig ob aus eigenem Sammelgut oder gekauft – können gesundheitsschädlich sein.
- Falsch gelagerte Pilze, die beispielsweise nicht durchgehend gekühlt werden, in einer nicht atmenden Plastikverpackung aufbewahrt werden oder tagelang in Kellern und Kisten liegen, können die Ursache für eine Vergiftung sein.
- Viele Waldpilze verderben ähnlich schnell wie rohes Hackfleisch und sollten innerhalb von 24 Stunden zubereitet werden.
- Bei matschigen Pilzen hat bereits die Zersetzung des Pilzeiweißes begonnen, was zu einer Lebensmittelvergiftung führen kann.4
Häufig Betroffene aus ehemaliger Sowjetunion und Mittleren Osten
Die meisten Patientinnen und Patienten mit einer Pilzvergiftung stammen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion und des Mittleren Ostens. Für die Vergiftungsfälle verantwortlich ist dabei vor allem der Knollenblätterpilz. „In den Heimatländern der betroffenen Personen ist der Knollenblätterpilz vermutlich weniger verbreitet. Hier in Deutschland wird aufgrund von Unkenntnis die Gefahr des Pilzesammelns oft nicht ausreichend ernst genommen, so Prof. Dr. Cornberg weiter. Eine unzureichende Kenntnis der einzelnen Pilzarten kann schnell zu Vergiftungen oder Leberversagen führen.5
Zur Vermeidung von Vergiftungen mit dem Grünen Knollenblätterpilz hat die Medizinische Hochschule Hannover Warnplakate in mehreren Sprachen erstellt und stellt diese zum Herunterladen zur Verfügung.
10 häufige Giftpilze in Deutschland 6
Viele Wildpilze weiter radioaktiv belastet - vor allem in Bayern
Pilze, die in den Handel gelangen, müssen nach Worten der Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Inge Paulini, Grenzwerte für radioaktives Cäsium-137 einhalten. „Wer selbst Pilze sammelt, ist nicht von diesem Grenzwert geschützt.“ Ihr Rat: Vor dem Genuss selbst gesammelter Pilze solle man sich gut informieren und sie auch nur in Maßen verzehren. „Letztlich ist es eine persönliche Entscheidung: Der gelegentliche Verzehr höher belasteter Pilze führt zwar nur zu einer geringen zusätzlichen Strahlendosis. Sie lässt sich aber leicht vermeiden, wenn man potenziell besonders hoch belastete Pilzarten im Wald stehen lässt.“7 Detaillierte Informationen finden Sie im jährlich erscheinenden Pilzbericht des BfS.
Harmlos oder bedrohlich? Gründliche Anamneseerhebung wichtig
Bei Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf eine Pilzvergiftung ist eine gründliche Anamneseerhebung entscheidend für die richtige Therapie. Wie Sie dabei vorgehen, lesen Sie im zweiten Teil des Beitrags >>