
Neues Konzept gegen alte Zöpfe in der Medizin
„Klug entscheiden“, so nennt sich eine speziell auf klinische Bedürfnisse abgestimmte Anwendung der Evidenz Basierten Medizin (EBM). Hier geht es vorrangig darum, nachteiligen Therapien den Garaus zu machen.1-5
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Autor: Dr. med. Horst Gross, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin. Redaktion: Dr. Linda Fischer
Sinnlose Antibiose
Bestes Beispiel: der immer noch gängige Einsatz von Cephalosporinen bei der ambulant erworbenen Pneumonie. Diese Antibiotikagruppe ist nicht nur unwirksam, sondern zusätzlich auch noch schädlich, gibt der Berliner Pneumologe Dr. med. Christian Gogoll zu bedenken.
Bei dieser Indikation zeigt sich nämlich, dass der Einsatz von Cephalosporinen das Risiko einer Krankenhauseinweisung glatt um den Faktor drei erhöht (OR 2,86). Dies liegt auch an den Nebenwirkungen, so Gogoll. Cephalosporine werden primär biliär eliminiert. Die resultierenden hohen Konzentrationen im Darm prädestinieren zur Clostridium diffiziles Infektion. Das Mittel der ersten Wahl bei der ambulanten Pneumonie ist ein Aminopenicillin (z. B. Amoxicillin/Clavulansäure).
Wann eine Pneumonie schwer ist, sollte man nicht gefühlsmäßig entscheiden, sondern mit dem für diese Fragestellung validierten CRB-65-Score1, meint der Berliner Pneumologe Gogoll. Übriges: bei einer eitrigen Bronchitis ist eine Antibiose primär kontraindiziert. Dahinter steckt in der Regel ein viraler Infekt.
Modedroge Testosteron
Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, Schwächegefühl und Verlust der Muskelkraft. Das sind die typischen Beschwerden des alternden Mannes. Beschwerden, die vielmals als Testosteronmangel fehlinterpretiert werden, so Professor Dr. med. Stephan Petersenn (Hamburg). Untermauert wird diese falsche Annahme häufig noch durch eine nicht sachgerechte Bestimmung des Testosteronspiegels.
Der Anfangsverdacht eines Mangels (Hypogonadismus) ist an spezifische klinische Zeichen gebunden: Abnahme der Libido, Erektionsstörungen, insbesondere das Fehlen der morgendlichen Erektion. Nur dann sollte das Testosteron gemessen werden, rät der Experte. Zu beachten ist dabei der ausgeprägte zirkadiane Rhythmus des Hormons. Deshalb sollte die Blutentnahme morgens gegen 8 Uhr erfolgen. Eine zweimalige Messung in adäquatem zeitlichem Abstand ist obligat.
Erst bei einem Spiegel unter 2,3 mg/ml ist die Substitution indiziert. Die europäischen Leitlinien geben bei einem Wert über 3,4 mg/ml Entwarnung. In der Grauzone (2,3–3,4 mg/ml) schafft die Bestimmung des Bindungshormons (SHBG2) Klarheit. Hieraus lässt sich das freie Testosteron errechnen.
Schnellschuss Antikoagulation
Bereits das einmalig identifizierte Vorhofflimmern stellt im Prinzip eine Indikation zur Dauerantikoagulation dar. Doch wer so therapiert, handelt nicht immer klug, gibt die Erfurter Kardiologin Dr. med. Jana Boer zu bedenken. Denn Vorhofflimmern kommt nicht selten singulär im Rahmen schwerer Erkrankungen vor (z. B. Sepsis oder Grippe). Auch bei Sportlerinnen und Sportlern im Hochleistungsbereich wird über gelegentliches Vorhofflimmern berichtet.
All dies sind keine gesicherten Indikationen, die eine dauerhafte Antikoagulation rechtfertigen. Allenfalls ist dann ein Langzeit-EKG zur Abklärung sinnvoll. Hilfreich seien auch die modernen Sportuhren, die EKG oder Puls dauerhaft registrieren. Nach ihrer Erfahrung wird aber trotzdem oft reflexartig eine Dauerantikoagulation gestartet, aus Angst vor Regress- oder Haftungskomplikationen.
Die Indikationsstellung sollte im Übrigen durch 2 hilfreiche Score-Systeme abgesichert werden. Der CHA2DS2-VASc-Score3 bewertet nach klinischen Kriterien das embolische Risiko. Das Blutungsrisiko lässt sich durch den HAS-BLED-Score4 quantifizieren. Die Indikation zur Dauerantikoagulation bei Vorhofflimmern sei immer eine Synthese beider Score-Systeme, so Boer. Natürlich muss in diese Abwägung auch die zu behandelnde Person einbezogen werden, denn nur die trägt das tatsächliche Risiko.
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