
Milch ist gesund… oder?
Milch und Milchprodukte gelten traditionell als gesund, doch dieser Ruf wurde zuletzt von Kritikern tierischer Lebensmittel hinterfragt. Ein aktuelles Review im New England Journal of Medicine widmet sich der Evidenz rund um die Auswirkungen von Kuhmilch auf den Menschen. 1
Lesedauer: ca. 4 Minuten

Dieser Artikel beruht auf dem Review von Willet und Kollegen aus dem New England Journal of Medicine.1 Redaktion: Dr. med. Laura Cabrera
Inhaltsstoffe von Kuhmilch im Vergleich
Kuhmilch enthält neben Nährstoffen wie Proteinen, Fett und Kohlenhydraten auch Kalzium, Kalium, Phosphor, sowie verschiedene anabole Hormone. Milchkühe wurden so gezüchtet, dass sie, um mehr Milch zu produzieren, höhere Insulin-like-Growth-Factor-1-Spiegel (IGF-1) haben. Da die Kühe meist schwanger sind, wenn sie gemolken werden, enthält die Milch unter anderem Progesterone und Östrogene.
Mythos 1: Milch ist (un-) gesund für Kinder
Kinder, die Milch trinken, werden größer…
Kinder, die Kuhmilch trinken, erreichen im Schnitt eine höhere Körpergröße. Der Grund dafür ist noch unklar, allerdings wird der Einfluss der Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin auf das Wachstum diskutiert.
… doch weder dicker noch dünner
Was das Körpergewicht angeht, scheint Milch jedoch keinen großen Einfluss zu haben. Lediglich der Konsum von vorrangig fettreduzierter Milch ist assoziiert mit einem höheren BMI, allerdings vermittelt durch eine insgesamt höhere Kalorienaufnahme.
Zusammenhang mit Atopien…
Ebenfalls gibt es Zusammenhänge zwischen Kuhmilch und atopischen Symptomen wie Neurodermitis, Allergien und Asthma. Die German Infant Nutritional Intervention-Studie, eine randomisierte, verblindete Studie an 2.252 Kindern (Intention-to-treat-Analyse), mit Allergien in der Familienanamnese, verglich Säuglingsanfangsnahrung mit hydrolysiertem Protein mit Kuhmilch.
Kinder, die in den ersten 4 Lebensmonaten keine Kuhmilch bekamen, hatten bis zum 10.Lebensjahr ein niedrigeres Risiko, eine atopische Dermatitis zu entwickeln. Auf Asthma und allergische Rhinitis hingegen hatten die Milchalternativen keinen Einfluss.2
… aber vermutlich nicht mit Diabetes Typ 1
Ein früher vermuteter Zusammenhang von Milchkonsum mit Diabetes Typ 1 konnte in einer randomisierten Studie, in der Autoantikörper gegen pankreatische ß-Zellen gemessen wurden, nicht bestätigt werden.
Mythos 2: Milch schützt Erwachsene vor Knochenbrüchen
Paradox: Mehr Milch führt zu mehr Hüftfrakturen
In diesem Zusammenhang weisen die Autoren auf ein Paradoxon in der Milch-Debatte hin: Im internationalen Vergleich korreliert hoher Milchkonsum mit mehr Hüftfrakturen pro Einwohner, besonders in Dänemark, Norwegen und Schweden. Ob es sich hier jedoch um eine Kausalität handelt, ist noch unbeantwortet. Finnland, die Niederlande und Rumänien hingegen konsumieren pro Kopf mehr Milchprodukte, haben jedoch deutlich weniger Hüftfrakturen pro Einwohner als die oben genannten Länder.
Auswirkungen auf die Knochendichte nur kurzfristig
Eine erhöhte Zufuhr von Kalzium führt zu einer Erhöhung der Knochendichte um 1-3%, hält jedoch nach Beendigung der erhöhten Zufuhr nicht an. In dieser Hinsicht kann die weitverbreitete These, dass Milchkonsum in jungen Jahren den „Kalziumspeicher“ für den Rest des Lebens füllt und so im Alter vor einer zu starken Abnahme der Knochendichte schützt, nicht untermauert werden. Im Gegenteil demonstrierte eine Untersuchung an zwei Kohorten, dass männliche Jugendliche mit jedem Glas Milch pro Tag ihr Risiko, später im Leben eine Hüftfraktur zu erleiden, linear um 9% steigerten.
Milch schützt Erwachsene nicht vor Frakturen
Ebenso wenig konnten Meta-Analysen einen Vorteil von erhöhter Kalzium- oder Milchaufnahme im Bezug auf Frakturen finden. Tatsächlich kam eine Meta-Analyse an 6740 Patienten zu dem Ergebnis, dass Nahrungsergänzungsmittel mit Kalzium im Vergleich zu Plazebo mit einem erhöhten Risiko für Hüftfrakturen assoziiert sind (RR 1.64; 95% KI 1.02-2.64).
Mythos 3: Milch beeinflusst das kardiovaskuläre Risiko
Die Wirkung von Milch hängt vom Vergleich ab
Schließlich bleibt noch zu beantworten, welchen Einfluss Milch auf kardiovaskuläre Erkrankungen hat. Hier weisen die Autoren darauf hin, dass die Resultate aus Studien mit Milch und Milchprodukten stets mit den Nahrungsmitteln zusammenhängen, mit denen sie verglichen wird.
Es gilt: Milch erweist sich in der Regel als vorteilhaft gegenüber zuckerhaltigen Lebensmitteln, rotem und stark verarbeitetem Fleisch. Gegenüber Fisch, Nüssen, Obst und Gemüse können die Vorteile jedoch nicht standhalten. Diese Regel gilt sowohl für Studien über Hypertonie, koronare Herzerkrankung und Schlaganfälle.
Milchprodukte scheinen das Risiko, einen Diabetes mellitus Typ 2 zu entwickeln, nicht zu erhöhen. In manchen Studien schien sich Milch eher leicht protektiv auszuwirken.
Mythos 4: Milch erhöht das Krebsrisiko
Korrelation mit Prostata-Karzinomen
In prospektiven Kohortenstudien zeigte sich konsistent eine Verbindung zwischen dem Konsum von Milchprodukten und Prostata-Karzinomen. Eine weitere Korrelation besteht mit dem Risiko für ein Endometrium-Karzinom. Weder für Mammakarzinome noch für Ovarialkarzinome konnte dieser Zusammenhang gezeigt werden. Dahingegen scheint Milch vor kolorektalen Karzinomen zu schützen.
Allerdings, so warnen die Autoren, begann der Großteil dieser Studien erst im mittleren Lebensalter der Patienten.
Fazit
Die Autoren folgern aus ihren Rechercheergebnissen, dass der empfohlene Konsum von Milchprodukten von der Qualität der restlichen Ernährung abhängig ist. Erwachsene könnten bis zu zwei Portionen am Tag zu sich nehmen oder auch auf den täglichen Konsum verzichten.
Es gäbe allerdings keine Evidenz dafür, fettarme Milch vorzuziehen. Die Autoren sehen Milch besonders in ärmeren Populationen als einen wertvollen Bestandteil der Ernährung, während Menschen in Industrienationen auch ohne Milch adäquat versorgt sind.
- Willet et al.: “Milk and Health” N Engl J Med 2020;382:644-54
- von Berg et al.: “Allergies in high-risk schoolchildren after early intervention with cow’s milk protein hydrolysates: 10-year results from the German Infant Nutritional Intervention (GINI) study.” J Allergy Clin Immunol 2013;131:1565-73
Bildquelle: © Getty Images/simarik