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Praxis-Wissen kompakt

22. Feb. 2019
Interview mit Dr. Helmut Kolitzus

Co-Abhängigkeit: „Der Wein oder ich?“

Seit vielen Jahren setzen Sie sich auch für die Angehörigen von Suchtkranken ein. Welche Probleme bestehen in diesem Feld?

Lesedauer: ca. 3 Minuten

Dr. Helmut Kolitzus Das Jahr 2000 wurde auf meine Anregung hin mit Unterstützung der Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) und seinem damaligen Leiter Rolf Hüllinghorst zum „Jahr der Angehörigen Suchtkranker“. Eine Wiederholung z.B. 2020 wünsche ich mir, denn trotz einiger Fortschritte bei den Hilfsangeboten gibt es viel Nachholbedarf. Über die Gesamtzahl der Bedürftigen kann diskutiert werden. Manche Hochrechnungen kommen bis zu einem Drittel der Bevölkerung!

Jedenfalls wachsen allein im Moment über 2,6 Millionen Kinder unter den z.T. schrecklichen Bedingungen einer Sucht-Familie auf. Nicht wenige aus der Gruppe der EKA, der Erwachsenen Kinder von Alkoholikern, kommen zu mir, manchmal auch als Selbst-Betroffene, also mit doppelter Belastung. Bei der Sucht spielen genetische Faktoren eine Rolle, wie vor allem die Alkohol-Toleranz – und natürlich das soziale Modell, wie der Vater, der seine Probleme mit Alkohol löst oder die Mutter, die mit den kleinen bunten Pillen ihren Kummer betäubt.

Meine Anregung außer dem speziellen Jahr: Gründen wir einen „Verband der Angehörigen, Partner und Arbeitskollegen Suchtkranker“! Das könnte leicht ein größerer Verein werden als der DFB, allerdings ohne finanzielle Interessen.

Wie kann eine Co-Abhängigkeit diagnostiziert werden?

Dr. Helmut Kolitzus Im Internet oder in meinen Büchern, wie „Ich befreie mich von deiner Sucht”, gibt es Tests u.a. zur Coabhängigkeit.1 Der Süchtige wird quasi zum Suchtmittel des Coabhängigen.

Er kümmert sich aufopfernd vergeblich um das Schicksal des Suchtkranken, der lange Zeit unter der betäubenden Wirkung seiner Suchtmittel viel weniger Leidensdruck hat als die Menschen in dem Sucht-Mobile um ihn herum. Eine Betroffene hat mal gesagt: „Die Coabhängigen wollen die Götter überflüssig machen.“

Welche Strategien zur Unterstützung von Angehörigen von Suchtkranken gibt es?

Dr. Helmut Kolitzus Wir beziehen in meiner Praxis, wenn möglich alle Betroffenen mit ein. Oft endet ein jahre- oder jahrzehntelanges Leiden! Deshalb der Appell an die Helfer aller Berufe: Genau hinschauen, Diagnose & Therapie! Oft ist es die Scham, die sowohl die Betroffenen wie die Angehörigen und die Helfer an sinnvollem Handeln hindert. Nehmen Sie den Mut zusammen und sprechen Sie das Thema Sucht an!

Eine Standard-Empfehlung in meiner Psychotherapie: Schreiben Sie einen Brandbrief an den Betroffenen! Anhand konkreter Szenen/Ereignisse schildern Sie Ihre eigenen Gefühle, Wut, Trauer, Angst, Ihre eigene Verzweiflung! Am Ende könnte ein Ultimatum stehen: Willst du lieber mich – oder den Alkohol?

„Der Wein oder ich?“ fragte ein Kollege seine Freundin vor Jahren. Die Antwort war „Wein“. Er trennte sich – und lebt heute glücklich mit einer anderen Partnerin. 80 % der Männer von trinkenden Frauen trennen sich, 80 % der Frauen von trinkenden Partnern bleiben.

Nicht nur Angehörige, sondern auch die Suchtkranken sind froh und dankbar, wenn wir sie mit einer rechtzeitigen Diagnose und Unterstützung aus dem Sumpf der Sucht befreien können.

Das gesamte ziemlich kranke Gesundheitssystem wäre massiv entlastet, wenn der Alkohol-pro-Kopf-Konsum sinken würde. Der Feldversuch in Russland unter Gorbatschow hat das gezeigt. Viel weniger Arbeit für Ärzte! Später sagte die Bevölkerung: „Jelzins Fahne weht wieder über dem Kreml!“

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Dr. Helmut Kolitzus betreibt als Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie seit 27 Jahren eine Praxis für Salutogenese in München. Zuvor hat er 12 Jahre in Kliniken gearbeitet, u.a. einer Drogenklinik und eine psychosomatische Klinik geleitet. Dr Kolitzus hat mehrere Bücher geschrieben, unter anderem “Ich befreie mich von deiner Sucht” und “Die Liebe und der Suff…”. Er bietet außerdem Seminare für verschiedene Zielgruppen zu den Themen “Sucht” und “Burn-out” an. Homepage: www.kolitzus.de

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