
Arzt übersieht gefährliche Erkrankung
Während einer Hitzewelle im Sommer 2021 kommt eine stark übergewichtige 51-Jährige mit erstmals aufgetretenem Bluthochdruck in die Hausarztpraxis. Unter der Therapie mit 5 mg Ramipril und bei extremen Temperaturen klagt sie über Schwindel, Luftnot und Schwäche. Der Arzt reduziert das Medikament und schickt die sehr angespannte Frau nach Hause – mit schwerwiegenden Folgen.1-3
Lesedauer: ca. 3 Minuten
.jpg&w=3840&q=75)
Quelle: Der Hausarzt 14/2021: Hitzewelle: Was können Sie tun? Autorinnen: Dr. Olga A. Sawickl, Prof. Dr. med. Beate Müller | Redaktion: Dr. Nina Mörsch
Hitzewellen können für viele Menschen zur gesundheitlichen Belastung werden: Nach Angaben des Robert Koch-Instituts steigt die Mortalität pro Grad Celsius um 1 bis 6 Prozent. Ursächlich sind Durchblutungsstörungen wie Thrombosen, Herzinfarkte und Schlaganfälle, aber auch Erkrankungen der Atemwege, der Nieren und hitzebedingte Stoffwechselstörungen. Der folgende Fehlerbericht des Fehlerberichts- und Lernsystem "Jeder Fehler zählt" handelt vom tragischen Verlauf einer initial übersehenen Lungenembolie während einer Hitzewelle.
Was ist passiert?
Eine stark übergewichtige 51-Jährige kommt mit einer neu entdeckten arteriellen Hypertonie in die Arztpraxis. In der Anamnese finden sich weder Vorerkrankungen noch Thrombosen, Thrombophilieneigung, Rauchen oder eine Hormongabe.
Nach einer Basisdiagnostik beginnt ihr Arzt eine Therapie mit Ramipril – zunächst mit 2,5 mg, dann mit 5 mg. Bei extremer Hitze klagt die Patientin unter 5 mg Ramipril über Schwindel; anamnestisch kommt es zu Anfällen von Luftnot und Schwäche. Die Ergebnisse eines zweimal durchgeführten EKG, die Messung der Sauerstoffsättigung (Sp02) sowie eines Röntgen-Thorax sind unauffällig. Der Arzt veranlasst eine Echokardiographie. Bei normalen Blutdruckwerten der Patientin wird das Ramipril reduziert und die Frau erhält eine Krankschreibung.
Was war das Ergebnis?
Zu Hause erleidet die Patientin nach sechs Tagen eine Synkope. Der eintreffende Notarzt erhebt unauffällige Vitalparameter und will die Patientin daheim lassen. Auf eigenen Wunsch lässt sie sich jedoch beschwerdefrei in die Notfallambulanz bringen.
Kurz vor der geplanten Entlassung werden deutlich erhöhte D-Dimere gemessen. Die Patientin wird auf die Intensivstation verlegt. Im Thorax-CT zeigt sich eine stattgehabte zentrale Lungenembolie ohne Nachweis einer peripheren tiefen Venenthrombose. Die Patientin wird voll antikoaguliert und auf eine periphere Station verlegt. Dort erleidet sie drei Tage später ein Rezidiv und wird reanimationspflichtig. Sie überlebt mit einem schweren hypoxischen Hirnschaden.
Mögliche Gründe, die zu dem Ereignis geführt haben können?
Der berichtende Hausarzt reflektiert seinen Fall: „[…] Eigentlich habe ich gelernt, immer an eine Lungenembolie zu denken, in diesem Fall haben mich die neu begonnene ACE-Hemmer-Therapie, das imposante Übergewicht, die Hitze und vor allem der Stress der Patientin anders denken lassen."
Handlungsempfehlungen bei enormer Hitze
In Anlehnung an die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es in Bezug auf extreme Hitze wesentliche Handlungsfelder für Hausärzte, schreibt der Fehlerbericht:
1. Information und Kommunikation von Risiken und Präventionsmaßnahmen
Hausärzte können vulnerable Personengruppen und deren Angehörige für die gesundheitlichen Auswirkungen von Hitzeereignissen sensibilisieren und über hitzebedingte Risiken sowie Präventionsmaßnahmen informieren.
2. Besondere Beachtung von Risikogruppen sowie Medikamentenanpassung
Besonders beachten sollten Sie Personen, die durch extreme Hitzeereignisse gefährdet sind (s. Kasten). Diese vulnerablen Personengruppen sollten Sie bereits vor den Hitzeperioden identifizieren, um bei Bedarf schnell geeignete Maßnahmen ergreifen zu können.
- ältere, isoliert lebende und pflegebedürftige Menschen
- Menschen mit Adipositas
- Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauf- Erkrankungen, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz oder pneumologische Erkrankungen
- Menschen mit fieberhaften Erkrankungen
- Menschen mit Demenz
- Menschen mit bestimmten Medikamenten (zum Beispiel Diuretika, blutdrucksenkende Mittel)
- Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder
Ferner sollten Sie die Beratung zur Hitzevorsorge von Patienten mit chronischen Erkrankungen in die Routineversorgung integrieren. Die WHO empfiehlt dabei die Prüfung der Medikation am besten vor einer Hitzeperiode. Entsprechende Hinweise auf Arzneistoffe mit potenziellem Einfluss auf die Temperaturregulation und den Volumenstatus finden Sie in der Heidelberger Hitzetabelle1.
3. Anpassung der Praxisräume
In den Praxisräumen sollten Sie die Hitze reduzieren – zum Beispiel durch Verschattungen oder Raumventilatoren (Ventilatoren kühlen effektiv bis 35°C!). Denkbar sind auch organisatorische Maßnahmen wie die Berücksichtigung des Personalkräfteeinsatzes vor allem bei Urlaubsregelungen und die Anpassung der Sprechzeiten mit sehr frühen und späten Sprechstunden.
4. Fort- und Weiterbildung
Durch Fort- und Weiterbildungen kann das Praxisteam auf Hitzeereignisse adäquat reagieren. Eine CME-zertifizierte Fortbildung zu Epidemiologie und Prävention hitzebedingter Gesundheitsschäden älterer Menschen finden Sie beispielsweise hier.2
Diese Themen könnten Sie auch interessieren: