„Große Schäden am Wohlbefinden von Menschen, die über Wochen isoliert sind“
Corona-Pandemie, Arzneimittelinteraktionen, Versorgungsmangel – im Rahmen der Auftakt-Pressekonferenz des Deutschen Schmerz- und Palliativtages sprachen der Kongresspräsident Dr. Johannes Horlemann und der Tagungspräsident Dr. Thomas Cegla über die aktuellen Probleme und Lösungsansätze bei der Versorgung chronischer Schmerzpatienten in Deutschland.
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Redaktion: Marina Urbanietz
Covid-19: Isolation richtet Schäden an
„Ganz besonders haben wir während der Corona-Pandemie gesehen, dass bei älteren Menschen ein unglaublicher Bedarf nach Zuwendung aus dem familiären Bereich besteht“, sagt Dr. Johannes Horlemann, Kongresspräsident des Deutschen Schmerz- und Palliativtages und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin. Man habe die Bilder gesehen, wie alte Menschen gelitten haben, die über Wochen in Altenheimen und in anderen Einrichtungen isoliert waren. Dies sei eine Sache nicht nur der Medizin, sondern auch der Zwischenmenschlichkeit und überhaupt der Menschlichkeit in der Medizin.
Lehren aus der Pandemie
„Aus der Corona-Pandemie haben wir gelernt, dass wir große Schäden am Wohlbefinden von Menschen feststellen, die wir über Wochen isolieren. Das bedeutet auch, dass in Krankenhäusern ein anderes Prozedere im Umgang mit älteren Menschen umgesetzt werden muss“, erläuterte der Kongresspräsident weiter. Dabei betonte Dr. Horlemann, dass im palliativmedizinischen Bereich in den letzten Jahren die Kontaktmöglichkeiten zwischen Patienten und Angehörigen erweitert wurden, in der Geriatrie und Schmerzmedizin bisher jedoch leider nicht viel passiert ist.
Menschen über 80 nehmen im Schnitt 8 Präparate ein
Dr. Thomas Cegla, Tagungspräsident des Deutschen Schmerz- und Palliativtages und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin, betonte vor allem das Risiko der Arzneimittelinteraktionen bei älteren Patienten, die neben verschreibungspflichtigen Medikamenten vermehrt auch frei verkäufliche Nahrungsergänzungs- und Arzneimittel einnehmen. „Im Durchschnitt nehmen Menschen im Alter von 80 Jahren acht Präparate ein“, betont Dr. Cegla. Grundsätzlich seien Ärzte bei der Behandlung älterer Patienten gut beraten, mit weiteren behandelnden Kollegen sowie Apothekern und Physiotherapeuten zusammenzuarbeiten.
Auch bei ansonsten gesunden älteren Menschen, die wenige oder keine anderen Medikamente einnehmen, sei bei der Verordnung von Analgetika die mit zunehmendem Alter veränderte hepatische und renale Elimination zu beachten. „Analgetika sollten bei älteren Patienten in der Eintitrationsphase um bis zu 50 % geringer und in der Dauertherapie um bis zu 30 % geringer dosiert werden. Zudem nimmt das Verteilungsvolumen hydrophiler Medikamente wie Morphin aufgrund des verringerten Anteils des Gesamtkörperwassers ab“, erläuterte Dr. Cegla in seinem Vortrag.
Schmerzpatienten geben über 300 Euro monatlich auf Eigenrechnung aus
Zudem betonte Dr. Horlemann einen weiteren wichtigen Aspekt, der oft übersehen wird. Über 88% der Patienten würden denken, dass sie von schmerzfreien Mitmenschen nicht verstanden werden. Viele dieser Patienten fühlen sich zudem auch im Arbeitsumfeld stigmatisiert.
„Der Patient mit chronischen Schmerzen ist sowohl bei der Arbeit als auch im familiären Umfeld der Schwache, dem man etwas abfordern muss. Und das ist sicherlich einer der Gründe, warum zwei Drittel der Patienten mit chronischen Schmerzen – und davon ein Drittel der Patienten mit Arthrose – monatlich mehr als 300 Euro für medizinische Leistungen außerhalb der Kassenversorgung ausgeben“, erläuterte der Kongresspräsident weiter. Dies sei eine enorm bedrückende Zahl, die einen erheblichen Versorgungsmangel chronischer Schmerpatienten im derzeitigen Gesundheitssystem darstellt.
Mehr zur Bedarfsplanung in der Schmerzmedizin lesen Sie auch in unserem Artikel “Appell an Schmerzmediziner: „Bitte nicht in den Ruhestand gehen!“
1. Auftakt-Pressekonferenz im Rahmen des Deutschen Schmerz- und Palliativtages 2020, 21. Juli 2020. Mehr Informationen >>
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