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Praxis-Wissen kompakt

04. Aug. 2020
Deutscher Schmerz- und Palliativtag

Polypharmazie: 2 Checklisten als Schutz vor Tablettenflut

Medikamentenchecklisten helfen, ältere Patienten vor der versehentlichen Gabe von gefährlichen Pharmaka zu schützen. Doch nicht jede Liste ist erfolgversprechend.1

Lesedauer: ca. 2 Minuten

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,,Wie gut, dass die meisten die Hälfte ihrer Medikamete vergessen”

,,Wenn der das alles wirklich nimmt, dann ist er bald tot”, so reagiert Prof. Dr. med. Martin Wehling (Gerontopharmakologie Uni Mannheim) auf typische Medikamentenpläne Hochaltriger, die ihm in seiner Beratungsambulanz immer wieder begegnen. 15 bis 20 Präparate bei über 80-Jährigen sind keine Seltenheit. ,,Wie gut, dass die meisten sowieso die Hälfte vergessen”, gibt Wehling zu bedenken.

Leitlinien irreführend

Ein Konstruktionsfehler der meisten Therapieleitlinien ist der Grund für den Schlamassel: ,,Alte Menschen werden aus Sicherheitsgründen nicht in Leitlinienstudien aufgenommen. Infolgedessen gelten die Empfehlungen aber auch nicht für alte Patienten. Da denkt nur keiner dran”, mahnt der Spezialist für die Pharmakologie im Alter.

Verkannte Gefahren

,,Allein ein Viertel aller vermeidbaren Nebenwirkungen im Alter gehen auf das Konto der typischen Nierenschwäche, die immer noch zu wenig beachtet wird”, berichtet Wehling. NSAID führen beim alten Menschen fünffach häufiger zu gastrointestinalen Komplikationen. Das wird aber zu oft vergessen, kritisiert der Pharmakologe. Pharmachecklisten, die auf ein fortgeschrittenes Alter zugeschnitten sind, schaffen da Abhilfe.

 Negativlisten

Zwei Varianten der Verordnungshilfen sind im Umlauf. Zum einen reine präparateorientierte Listen, wie die PRISCUS-Liste (Potentially inappropriate medication in the elderly). 2 ,,Diese Negativlisten sind beliebt, weil man so schnell und ohne Kenntnis der Diagnosen Medikamentenpläne nach kritischen Präparaten durchforsten kann. Im Prinzip kann jeder Apotheker solche Listen anwenden”, meint Wehling. ,,Dazu muss man den Patienten noch nicht einmal gesehen haben.”

 Positivlisten

Ganz anders dagegen sind sogenannte Positivlisten, wie z. B. FORTA (fit for the aged) konzipiert. 3 Deren Autoren haben für die 30 wichtigsten geriatrischen Diagnosen, die 300 häufigsten eingesetzten Medikamente bewertet  und in einer Positivliste zusammengefasst. Diagnosebezogen werden abgestufte Empfehlungen von ,,unbedingt empfehlenswert” bis zu ,,kontraindiziert” gegeben.

,,Solche Positivlisten können Sie nur anwenden, wenn Sie den Patienten kennen. Seine persönliche Situation, seine Diagnosen und auch seine Wünsche. Deshalb ist der Einsatz dieser Positivchecklisten auch wesentlich aufwendiger. Dafür wird man aber auch auf eventuelle Therapieoptionen hingewiesen, die man sonst übersehen hätte”, gibt Wehling zu bedenken.

Welcher Checkliste soll man den Vorzug geben?

Für Wehling ist die Antwort klar: Er setzt auf die FORTA-Liste. Ihren Nutzen hat sie im Rahmen der VALFORTA-Studie bewiesen. Bei konsequenter Anwendung lässt sich etwa ein Fünftel der kritisch einzustufenden Medikationen vermeiden. Zusätzlich profitieren Patienten davon, dass diese Positivliste als Ideengeber mithilft,  die medikamentöse Therapie zu verbessern. 4

In der Praxis läuft es darauf hinaus, dass Mittel mit ungünstigem Profil durch altersverträglichere Präparate ersetzt werden. Und diese ,,besseren Pillen findet man am zuverlässigsten in der FORTA-Liste”, meint Wehling. Zudem ist die Liste kostenfrei und als App verfügbar.

Quellen
  1.  Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2020 (Onlinekongress der Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V.). Seminar: FORTA (fit for the aged) und PRISCUS (Potentially inappropriate medication in the elderly), Prof. Dr. Martin Wehling, Mannheim.
  2. Priscus-Liste; Gelbe Liste, 22.11.2018.
  3. Forta-Projekt deutsch: UMM Universitätsmedizin Mannheim.“ Aufgerufen am 30 Juli. 2020.
  4. Wehling M, Burkhardt H, Kuhn-Thiel A, et al. VALFORTA: a randomised trial to validate the FORTA (Fit fOR The Aged) classification. Age Ageing. 2016;45(2):262-267. doi:10.1093/ageing/afv200.

Bildquelle: © GettyImages/ljubaphoto

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