
Akupunktur in der Schmerz- und Palliativmedizin
Anhand von Fallbeispielen in der Schmerz- und Palliativmedizin erläutert Dr. Silvia Maurer die Diagnostik der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und wie sie die westliche Betrachtungsweise ergänzen kann.
Lesedauer: ca. 4 Minuten

Dieser Beitrag basiert auf dem Vortrag von Dr. med. Silvia Maurer, Leiterin des regionalen DGS-Schmerzzentrums Bad Bergzabern, auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag 2021: „Akupunktur in der Schmerz- und Palliativmedizin“. Redaktion: Dr. Linda Fischer
Schmerz ist ein Stau von Qi und Blut in einer Leitbahn. Bei einer akuten Punktion wird das gestaute oder stagnierte Qi und Blut durch den Einstich der Akupunkturnadel in den Akupunkturpunkt wieder bewegt – es kommt zu einer Regulation der Qi- und Blutverteilung, und der Schmerz wird gelindert.
Kurz erklärt: Einige Begriffe aus der TCM
Hier sind einige Begriffe der TCM, die in diesem Beitrag verwendet werden, kurz erläutert:
- Das Qi, die Lebensenergie des Körpers, fließt durch die Leitbahnen und beeinflusst alle Körperfunktionen.
- Yin und Yang sind sich gegenseitig ergänzende Kräfte aus der chinesischen Philosophie und bilden die Basis der TCM. Über die Lehre von Yin und Yang lassen sich gegensätzliche Aspekte im menschlichen Körper erfassen. Hat eine Seite ein Übergewicht, herrscht auf der anderen Seite ein Mangel. Zu den wichtgsten Yin-Yang-Paaren gehören Frau und Mann, Kälte und Wärme oder wie in dem hier aufgeführten Fallbeispiel Blut (Yin) und Qi (Yang). Nur bei anhaltendem Yin-Yang-Gleichgewicht, ist die Stoffwechsellage im Körper ausgeglichen.
- Unter einem aufsteigenden Leber-Yang versteht die TCM Leber-Energie, die in den Kopf steigt oder sich staut. Zu den klassischen Symptomen zählt ein unangenehmes Gefühl der Augen, Kopfschmerzen, Bindehautentzündungen, Drehschwindel und hoher Blutdruck.
- Die Pathologie der Leber-Qi-Stagnation resultiert vor allem aus Dysfunktionen des Leberfunktionskreises, des Magens und der Milz, und aus der Lunge.
- Eine Hitze wird durch ein Yang-Übermaß im Verhältnis zu Yin definiert. Sie wirkt sich in Form von Wärme und Trockenheit, manchmal auch erhöhter Körpertemperatur aus.
- In der TCM wird das Feuer dem Herzen zugeschrieben, welches für die Harmonie der Seele verantwortlich ist. Es steht, unter anderem, für die Fähigkeit der zwischenmenschlichen Kommunikation. Ist der Herzfunktionskreis erkrankt, äußert sich dies in Nervosität, Schlaflosigkeit oder depressiver Verstimmung.
Diagnostik und Therapie am Beispiel
Um den Unterschied in der Behandlung zu veranschaulichen, wenn die traditionelle Sichtweise angewendet wird, stellt Frau Dr. Silvia Maurer zwei Fallbeispiele zum Thema Kopfschmerz vor (Tab. 1). Beide Patientinnen haben Schmerzen an der Schläfe und bringen das Auftreten der Kopfschmerzen mit ihrem Menstruationszyklus in Zusammenhang.
Menstruationszyklus und erste Diagnostik
Nach der TCM wird bei der Menstruation selbst nicht viel Qi benötigt, in der Phase der Ovulation hingegen ist das Energielevel auf seinem Maximum. Anders verhält es sich mit dem Blut: Während der Menstruation geht das Blut verloren und wird dann langsam wieder aufgefüllt, bis es zu Beginn der Menstruation seinen Höhepunkt erreicht (Abb. 1).
Die Bedeutung für die Kopfschmerzdiagnose: Treten Kopfschmerzen prämenstruell auf, ist dies ein typischer Hinweis auf eine Qi-Stagnation (Patientin I). Schmerzen während der Menstruation deuten auf ein aufsteigendes Leber-Yang hin, und postmenstruelle Schmerzen auf einen Blutmangel (Patientin II).
Erste Diagnostik über die Zungendiagnose überprüfen
In der TCM ist die Zunge in fünf Wandlungsphasen unterteilt, denen jeweils bestimmte Funktionen zugeordnet sind (Abb. 2). In dem vorgestellten Fallbeispiel wird die erste Diagnostik bestätigt: Patientin I mit roter Zunge, scharfen Begrenzungen an den Seiten und roten Erhabenheiten zeigt typische Anzeichen einer Leber-Qi-Stagnation. Die blasse, feuchte und dicke Zunge (Mangelzunge) von Patientin II bestätigt die Diagnose eines Blutmangels.
Silvia Maurers Prognose für die Patientinnen: Patientin I wird sehr gut auf die Akupunktur ansprechen und die Migräne wird sich verbessern. Patientin II ist in einem Schwächezustand, eine Akupunktur wird nur kurzfristig helfen. Sie muss häufiger und über einen langen Zeitraum angewendet werden. Es darf nur mit wenig Nadeln gearbeitet werden, um die Patientin nicht weiter zu schwächen. Auf keinen Fall sollte sediert oder Energie abgeleitet werden.
Akupunktur in der Palliativmedizin


Auch zu dem Thema Akupunktur in der Palliativmedizin stellt Silvia Maurer zwei Patientenfälle vor, bei denen Schwindel und Kopfschmerz durch Akupunktur behandelt werden sollen, die in Folge einer Chemotherapie, Radiatio und Hyperthermie von Krebsmetastasen aufgetreten sind (Tab. 2).
Zungendiagnose
Patientin I: Ein Riss in der Mitte der Zunge reicht bis zur Zungenspitze und weist auf eine starke Belastung hin. Das an der Zungenspitze befindliche Feuer (s. Abb. 2) bezieht sich, unter anderem, auf das Herz und die damit verbundenen Emotionen. Vermutlich hat die Patientin eine entsprechende Vorgeschichte.
Patientin II: Die Zunge ist mit einem dicken, gelblichen Belag überzogen, der sich über alle drei Etagen erstreckt – die Patienten hat eine sogenannte Hitze.
Bedeutung für die Therapie: Bei Patientin I wird eine Leber-Qi-Stagnation und ein Herzfeuer diagnostiziert. Sie leidet unter Schlafstörungen, Durchschlafstörungen und Albträumen. Akupunktiert werden Leber, Herz und Perikard, um die Patientin zu beruhigen. In einer zusätzlichen Psychotherapie arbeitet sie ihre Vergangenheit auf, wird den Schwindel los und hat seither keine weiteren nachweisbaren Krebsmetastasen gebildet.
Die diagnostizierte feuchte Hitze bei Patientin II deutet auf eine weit fortgeschrittene Erschöpfung und körperliche und seelische Überlastung hin. Über Akupunktur kann versucht werden, die Hitze abzuleiten, und psychosomatische Schwerpunkte zu setzen. Das Ziel ist ein Rückgang des Zungenbelags. Breitet er sich aus oder wird dunkler, ist dies ein Hinweis auf eine palliativ weit fortgeschrittene Situation. In letzterem Fall kann die Akupunktur zur Symptom-Kontrolle dennoch weiter fortgeführt werden.
Diese Themen könnten Sie auch interessieren: