Titelbild von Praxis-Wissen kompakt
Logo von Praxis-Wissen kompakt

Praxis-Wissen kompakt

29. Juli 2022

Update Affenpocken: Klinische Merkmale, Übertragung und Diagnose

In einem Bericht, der unlängst in der renommierten Fachzeitschrift „The New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurde, werden 528 Fälle von Affenpocken in 16 Ländern beschrieben. Hautausschlag, Schleimhautläsionen, Fieber, Lethargie und Lymphadenopathie waren häufige klinische Befunde. Nur wenige Betroffene wurden ins Krankenhaus eingeliefert.1

Lesedauer: ca. 4 Minuten

Affenpockenvirus, Mikroansicht, Virusinfektion

Autorin: Dr. Linda Fischer

Die aktuellen internationalen Falldefinitionen reichen möglicherweise nicht aus, um das Spektrum der klinischen Erscheinungsformen von Infektionen mit dem Affenpockenvirus widerzuspiegeln, eine frühzeitige Identifizierung zu ermöglichen und die Übertragungswege zu klären. Eine internationale Fallserie bringt nun mehr Licht ins Dunkel.

Das Design der Studie

Forschende der in London ansässigen Sexual Health and HIV All East Research (SHARE) Collaborative bildeten mit Kolleginnen und Kollegen in den betroffenen Ländern eine globale Kooperationsgruppe (SHARE-net). Bestätigte Fälle waren in der Fallserie definiert gemäß der Definition der britischen Gesundheitsbehörde (UKHSA)2.

Die Fallserie umfasste 528 bestätigte Fälle von Affenpockeninfektionen bei Menschen aus 5 Kontinenten, 16 Ländern und 43 klinischen Einrichtungen. Insgesamt waren 98 % der infizierten Personen homo- oder bisexuelle Männer, 75 % waren hellhäutig.

Der Altersmedian lag bei 38 Jahren. 41 % der Personen lebten mit einer HIV-Infektion, 96 % davon erhielten eine antiretrovirale Therapie. Bei 95 % lag die HIV‑Viruslast bei < 50 Kopien/ml.

Befunde: Haut- und Schleimhautläsionen, systemische Symptome

Hautläsionen wurden bei 95 % der Personen festgestellt, und zwar am häufigsten in folgenden Bereichen:

  • Anogenitalbereich (73 %)
  • Rumpf, Arme oder Beine (55 %)
  • Gesicht (25 %)
  • Handflächen und Fußsohlen (10 %)

Das Spektrum an Hautläsionen umfasste makulöse, pustulöse, vesikuläre und verkrustete Läsionen. Es traten gleichzeitig Läsionen in mehreren Phasen auf. 58 % der Personen mit Hautläsionen wiesen als vesikulopustulär beschriebene Läsionen auf.

Die Anzahl der Läsionen war sehr unterschiedlich, meist jedoch < 10 Läsionen. 54 Personen wiesen lediglich ein einziges Genitalulkus auf, was die Wahrscheinlichkeit einer Fehldiagnose als andere sexuell übertragbare Krankheit (sexually transmitted infection, STI) erhöht.

Schleimhautläsionen wurden bei 41 % der Personen festgestellt. Bei 61 Personen wurde eine Beteiligung der anorektalen Schleimhaut als Symptom angegeben, welche einherging mit anorektalen Schmerzen, Proktitis, Tenesmus oder Diarrhö (oder einer Kombination).

Oropharyngeale Symptome wurden bei 26 Personen als erste Symptome angegeben. Diese umfassten Pharyngitis, Odynophagie, Epiglottitis und orale oder tonsilläre Läsionen. Bei 3 Personen zählten Läsionen der Bindehaut zu den ersten Symptomen.

Häufige systemische Symptome während des Krankheitsverlaufs umfassten

  • Fieber (62 %),
  • Lethargie (41 %),
  • Myalgie (31 %),
  • Kopfschmerzen (27 %),
  • Lymphadenopathie (56 %).

Das anfängliche Erscheinungsbild und die Abfolge der nachfolgenden kutanen und systemischen Symptomen wiesen erhebliche Unterschiede auf.

7 Tage von Exposition bis Symptomentwicklung

Eine klare Chronologie der potenziellen Exposition und der Symptome stand für 30 Personen zur Verfügung. Davon hatten 23 ein klar definiertes Expositionsereignis mit einer mittleren Zeitspanne von 7 Tagen zwischen der Exposition und der Entwicklung von Symptomen (Spanne 3–20).

Im Median betrug die Zeit vom Auftreten der Symptome bis zum 1. positiven PCR-Befund 5 Tage (Spanne 2–20). Der Median von der 1. bis zur weiteren Hautläsion belief sich ebenfalls auf 5 Tage (Spanne 2–11). Bei Personen für die Daten über PCR-Folgetests zur Verfügung standen, war der späteste Zeitpunkt, an dem eine Läsion positiv blieb, 21 Tage nach Auftreten der Symptome.

Das klinische Erscheinungsbild war ähnlich bei Personen mit HIV-Infektion und Personen ohne HIV-Infektion. Bei 109 der getesteten Personen (29 %) wurden begleitende STIs festgestellt, mit Tripper, Chlamydien und Syphilis bei 8 %, 5 % bzw. 9 % der untersuchten Personen.

Übertragung

Im Durchschnitt hatten die 406 Personen, bei denen eine Sexualanamnese erhoben wurde 5 Sexualpartner in den vergangenen 3 Monaten. 147 (28 %) gaben an, im Monat vor der Diagnose ins Ausland gereist zu sein, und 103 (20 %) hatten an großen Zusammenkünften (> 30 Personen) wie Pride-Veranstaltungen teilgenommen. 106 (20 %) gaben an, im Vormonat „Chemsex" (Sex in Verbindung mit Drogen) praktiziert zu haben.

Insgesamt 70 Personen (13 %) wurden in ein Krankenhaus eingeliefert, häufig aufgrund von:

  • Schmerzbehandlung (21 Personen), meist wegen starker anorektaler Schmerzen
  • Behandlung einer Superinfektion der Weichteile (18).

Weitere Gründe:

  • schwere Pharyngitis, welche die orale Aufnahme einschränkte (5 Personen)
  • Behandlung von Augenverletzungen (2)
  • akute Nierenverletzung (2)
  • Myokarditis (2)
  • Infektionskontrolle (13)

Es gab keinen Unterschied in der Häufigkeit der Einweisungen je nach HIV Status.

Schwere Komplikationen: Epiglottitis und Myokarditis

Es wurden 2 Arten schwerer Komplikationen gemeldet: ein Fall von Epiglottitis, 2 Fälle von Myokarditis. Die Kehldeckelentzündung trat bei eine mit HIV infizierten Person mit einer CD4-Zellzahl von < 200/µl auf. Sie wurde mit Tecovirimat behandelt und erholte sich vollständig.

Die Myokarditis-Fälle waren selbstlimitierend (< 7 Tage) und klangen ohne antivirale Therapie ab. Ein Fall trat bei einer Person mit HIV-Infektion mit einer CD4-Zellzahl von 780/µl auf, und ein Weiterer trat bei einer Person ohne HIV-Infektion auf. Todesfälle wurden keine gemeldet.

Therapie: Cidofovir, Tecovirimat, Vaccinia-Immunglobulin

Insgesamt erhielten 5 % der 528 Personen eine Affenpocken-spezifische Behandlung. Zu den verabreichten Medikamenten gehörten

  • intravenöses oder topisches Cidofovir (bei 2 %),
  • Tecovirimat (2 %) und
  • Vaccinia-Immunglobulin (< 1 %).

Diagnose

Die Erstvorstellung erfolgte in Kliniken für sexuelle Gesundheit oder HIV, Notaufnahmen und dermatologischen Kliniken, seltener in der Primärversorgung.

Ein positives PCR-Ergebnis wurde am häufigsten bei Haut- oder Anogenital-Läsionen erzielt (97 %); andere Stellen wurden weniger häufig beprobt. Die gemeldeten Prozentsätze positiver PCR-Ergebnisse betrugen

  • 26 % bei nasopharyngealen Proben,
  • 3 % bei Urinproben und
  • 7 % bei Blutproben
  • Sperma wurde bei 32 Personen aus 5 klinischen Einrichtungen getestet und war bei 29 Personen PCR-positiv

Einschränkungen der Studie

Die Personen in dieser Fallserie hatten Symptome, die sie veranlassten, einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen, was bedeutet, dass Personen, die asymptomatisch waren, mildere Symptome hatten oder paucisymptomatisch waren, übersehen worden sein könnten.

Die Symptome wurden ab dem Zeitpunkt der Präsentation erfasst, daher wurden frühe Symptome möglicherweise nicht gemeldet, was die Informationen über die Inkubationszeit einschränkt.

Quellen anzeigen
Impressum anzeigen