
6 Antworten zu Adipositas und Ernährung
Wie lange sollte Semaglutid eingesetzt werden? Worauf ist bei starker Gewichtsreduktion zu achten? Welche Erkenntnisse gibt es zur Rolle des Mikrobioms? Im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung ErnährungSPEZIAL: Fokus Adipositas standen eine Expertin und ein Experte Interessierten Rede und Antwort.
Lesedauer: ca. 7 Minuten

Redaktion: Lisa Vandieken
Referentin und Referent des Symposiums waren:
Prof. Dr. med. Hans Hauner
Vortrag „Adipositas: Neue Empfehlungen und Behandlungsoptionen“
Direktor des Else Kröner-Fresenius Zentrums für Ernährungsmedizin
Leiter Lehrstuhl für Ernährungsmedizin, Technische Universität München
Prof. Dr. med. Yurdagül Zopf
Vortrag „Adipositas: Patientenfälle und interdisziplinäre Zusammenarbeit“
Professorin für Klinische und Experimentelle Ernährungsmedizin
Leiterin des Hector-Center für Ernährung, Bewegung und Sport, Universitätsklinikum Erlangen
Ihre Fragen
Im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung wurden auch Fragen aus dem Plenum beantwortet – hier finden Sie die Antworten.
Wie lange sollte Semaglutid in der Adipositastherapie eingesetzt werden?
Antwort: Wir haben zum längerfristigen Einsatz von Semgalutid bei Adipositas bislang nur sehr begrenzte Erfahrungen…
Prof. Hauner: Wir haben zum längerfristigen Einsatz von Semaglutid bei Adipositas bislang nur sehr begrenzte Erfahrungen. [...] Semaglutid ist allerdings in der Diabetestherapie bereits seit Jahren zugelassen, hier gibt es Erfahrungen über deutlich längere Zeiträume. Im Rahmen einer Endpunktstudie in der Diabetestherapie hat sich gezeigt, dass der Effekt auf das Körpergewicht gehalten werden kann. Zudem war auch eine Senkung der Mortalität zu beobachten: Bei adipösen Menschen mit Diabetes konnte sie bereits nach relativ kurzer Zeit um 20 % gesenkt werden – was Hoffnung auf noch stärkere Effekte über einen längeren Zeitraum gibt. Man muss davon ausgehen, dass diese Medikamente lange gegeben werden müssen.
Die praktische Erfahrung zeigt, dass Semaglutid eine echte Hilfe ist: Die Menschen sind nicht mehr so hungrig, sind schneller satt und tun sich leichter mit den Ernährungsempfehlungen. Ich erlebe Patientinnen und Patienten, die sich irgendwann so fit fühlen, dass sie fragen: „Muss ich das noch weiter nehmen und jede Woche spritzen?“ Da lasse ich sie natürlich selbst über eine Fortsetzung der Therapie entscheiden. Zukünftig wäre ein Einsatz als Bedarfstherapie auf lange Sicht denkbar – noch gibt es dazu keine Studien. Doch die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass dies eine Option sein könnte.
Natürlich gibt es noch Restunsicherheiten in Bezug auf einen langjährigen Einsatz. Doch die Erfahrungen aus der Diabetes-Therapie geben weitgehend Entwarnung: Semaglutid scheint recht gut verträglich zu sein, es muss aber weiter beobachtet werden. Es wurden weltweit bereits Millionen von Menschen zumindest über kurze Zeit damit behandelt und dabei ist nichts Dramatisches aufgefallen. Wichtig ist es, am Anfang mit einer niedrigen Dosis zu beginnen und schrittweise zu eskalieren. Bei Adipositas scheint es auch so zu sein, dass nicht alle die Maximaldosis brauchen. Bereits bei 1 mg sehen wir durchschnittlich etwa 70 % des Effekts, der Zusatzeffekt einer Steigerung auf 2,4 mg ist unter Umständen dann gar nicht mehr so gewaltig. Da gilt es, eine individuelle, patientengerechte Lösung zu finden.
Wie steht es um die Kostenerstattung? Momentan ist Semaglutid rezeptierbar, aber selten werden die Kosten erstattet.
Antwort: Es fällt unter den Lifestyle-Paragrafen…
Prof. Hauner: Es fällt unter den Lifestyle-Paragrafen, was eigentlich eine Kostenerstattung ausschließt. Dabei handelt es sich ja gar nicht um eine Lifestyle-Erkrankung, sondern um eine mit biologischen Ursachen.
Es sollte also darauf hingearbeitet werden, dass es nicht mehr unter entsprechende Regelungen fällt, gerne auch für bestimmte Indikationen, bei denen man sonst nicht weiterkommt. Es gilt also, die Krankenkassen bzw. den Gemeinsamen Bundesausschuss zu überzeugen, damit es zu einer Änderung kommt.
Welche Laborparameter muss man bei starker Gewichtsreduktion im Auge behalten?
Antwort: Wenn es um Formula-Diät geht, muss man auf die Elektrolyte achten…
Prof. Hauner: Wenn es um Formula-Diät geht, muss man auf die Elektrolyte achten. Es handelt sich um eine katabole Stoffwechselsituation, in der auch die Konzentration von Harnstoff und Harnsäure ansteigen kann. Wenn man das regelmäßig beobachtet und die Patientinnen und Patienten auch vorher gut untersucht hat, kann sehr wenig passieren.[...] Es kann beispielsweis zu einem Flüssigkeitsmangel kommen – bei einer entsprechenden Diät muss mehr getrunken werden. Außerdem kann bei so knapper Kost der Blutdruck stark absinken und einen Kollaps begünstigen. Es ist daher wichtig, gut zu informieren und zu kommunizieren. Im Grund genommen sind jedoch die meisten Diäten, sofern sie nicht extrem einseitig sind, weitgehend ungefährlich. Ich würde allerdings differenzieren zwischen mäßig energiereduzierten Ernährungsformen, die recht sicher sind und alle wichtigen Nährstoffe liefern, und davon abgetrennt die sehr niedrigkalorischen Diäten wie Formula-Diäten, bei denen nicht nur in Bezug auf Kalorien, sondern auch bei den Mikronährstoffen stark eingespart wird. Hier besteht eher mal ein Risiko und man sollte die Patientinnen und Patienten regelmäßig einbestellen. Nicht immer ist ein großes Laborspektrum nötig, es geht vielmehr darum zu sehen, wie sie sich fühlen. Wenn pathologische Werte vorlagen, sollten diese kontrolliert werden. Zusätzlich zu den Elektrolyten sollte immer auch der Kreatinin-Wert bestimmt werden. Ein entsprechendes Monitoring ist nicht so schwer, wie es manchen scheint und in jedem ambulanten Setting gut umsetzbar. Entsprechende Empfehlungen zu Parametern für die Verlaufskontrolle finden sich auch in der neuen Leitlinie, die in Kürze veröffentlicht wird.
Was wissen wir über das Mikrobiom als Verursacher von Adipositas?
Antwort: Das ist zurzeit natürlich ein heißes Thema…
Prof. Hauner: Das ist zurzeit natürlich ein heißes Thema. Es gibt einige Beobachtungen, die vielleicht in diese Richtung deuten – ob es aber wirklich einen kausalen Zusammenhang gibt, ist alles andere als klar. Die Mikrobiota sind bei adipösen Menschen etwas verändert – was das aber wirklich bedeutet, wissen wir nicht. Es gibt zwar Hypothesen bezüglich der Beeinflussung von Energiebilanz oder Appetitregulation, hier ist die Datenlage allerdings nach wie vor unklar. Wir haben Mikrobiota vor und nach Formula-Diät bzw. bariatrischer OP untersucht und nichts Besonderes feststellen können. Ein Problem ist auch immer die Methodik: Aus 10 Labors bekommen Sie 10 unterschiedliche Befunde. Auch was ein gesundes Mikrobiom ist, weiß bis heute kein Mensch. Hinzu kommt: Das Mikrobiom wird ja nicht nur von Ernährung beeinflusst, sondern es spielen neben der Genetik auch Faktoren wie Bewegung eine Rolle. Es gibt also viele Einflussfaktoren, die es schwer machen, klinisch relevante Aussagen zu treffen. Es handelt sich dennoch um eine hoch interessante Forschung. Doch was diese für einen praktischen Nutzen hat, kann noch keiner beantworten. Ich möchte auch davor warnen, Menschen zu einer Sequenzierung des Mikrobioms zu raten – das kostet viel Geld, ist aber wirklich wertlos.
Thema „Precision Nutrition“, also die Idee die für einzelne Menschen ideale Ernährung zu finden: Gibt es tatsächlich eine ideale, auf unsere heutigen Bedürfnisse angepasste Ernährung, oder muss man dies individuell betrachten?
Antwort: Im Prinzip muss man allen eine gesunde Ernährung nahelegen …
Prof. Zopf: Im Prinzip muss man allen eine gesunde Ernährung nahelegen, damit hat man auch die Darmflora wieder im Griff. Man kann jetzt natürlich nicht sagen, dass alle Menschen sich genau gleich ernähren müssen, aber wir geben schon ganz allgemeine Empfehlungen. Zum Beispiel eine Reduktion der Zufuhr von prozessierten Lebensmitteln. Ich sehe eine gefährliche Tendenz zu immer mehr prozessierten Lebensmitteln. Wir müssen nicht versuchen, den Darm besonders zu beeinflussen oder sonstiges. Mit der ganz normalen gesunden Ernährung, wie sie Herr Hauner in seinem Vortrag vorgestellt hat, ist es denke ich für alle das Beste.
Prof. Hauner: Mit personalisierten Ansätzen wird zurzeit natürlich auch viel Geschäft gemacht. [...] Ein wissenschaftlicher Beleg steht allerdings aus. Man kann nur davor warnen, eine solche Genotyp-basierte Diät zu machen: Menschen zahlen viel Geld für vollkommen erratische Ergebnisse und Empfehlungen, die vermutlich ohnehin so getroffen werden könnten, vielleicht ein bisschen angepasst an den Genotyp. Es gibt keine einzige Studie, die gezeigt hätte, dass so etwas wirksam ist. Im Interesse der Patientinnen und Patienten gilt es, sehr kritisch zu sein. Wir sind noch weit davon entfernt, basierend auf genetischen oder biologischen Informationen, das auf ein Individuum herunterbrechen zu können. Ob das überhaupt notwendig ist, ist auch die Frage.
Da jeder Mensch anders reagiert und einen anderen Bedarf hat, lässt sich nicht die eine optimale Ernährung exakt definieren. Daher empfehle ich immer einen gewissen Korridor dessen, was wir als gesunde Ernährung ansehen. Wichtig ist es, innerhalb des Korridors auch Wahlmöglichkeiten zu schaffen. Denn es gibt nicht den einen Weg nach Rom, sondern es gibt viele Möglichkeiten. Diese müssen für die Patientinnen und Patienten vor allem umsetzbar, einleuchtend und passend sein. Dann haben wir eine gute Chance auf eine dauerhafte Integration und Umsetzung im Alltag, was ja letztlich entscheidend ist.
Sind die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Hinblick auf Kohlenhydrate noch aktuell?
Antwort: Es wird immer wieder kritisch infrage gestellt…
Prof. Zopf: Es wird immer wieder kritisch infrage gestellt, ob die entsprechenden Empfehlungen noch aktuell sind oder nicht.[...] In Bezug auf Kohlenhydrate darf man natürlich nicht vergessen: Es sollten ballaststoff- und vollkornhaltige Lebensmittel zu sich genommen werden. Ich persönlich kann nicht verstehen, warum diese auf Kohortenanalysen basierenden Empfehlungen so kritisiert werden. Ich sehe kein Problem darin, mit adäquaten Lebensmitteln – wie Vollkornprodukten, Obst und Gemüse – auf eine entsprechende Kohlenhydratmenge zu gehen als Teil einer gesundherhaltenden Ernährung.
Prof. Hauner: Ich denke, dass diese Empfehlung im Großen und Ganzen richtig ist und bestehen bleiben wird. Wir wissen zwar nicht genau, welche Kohlenhydratmenge optimal ist, aber die Größenordnung ist richtig und jeder kann für sich selbst entscheiden, ob er ein bisschen mehr oder weniger nimmt. Wichtig ist sicherlich die Qualität der Kohlenhydrate. Die schnell resorbierbaren sollten möglichst reduziert werden, denn diese verursachen die metabolischen Probleme.[...]
Wie kann konservative Therapie bei adipösen Patientinnen und Patienten zum Erfolg werden? Prof. Yurdagül Zopf, Gastroenterologin und Ernährungsmedizinerin, gibt mit 3 Fallbeispielen Einblicke in die interdisziplinäre ambulante Adipositas-Therapie.
Gesamte Fortbildung auf Abruf
Was hat sich in den Therapie-Empfehlungen zur Behandlung der Adipositas getan? Und wie sieht die interdisziplinäre Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Adipositas in der Praxis aus? Die Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie in der Aufzeichnung der Fortbildung ErnährungSPEZIAL: Fokus Adipositas.
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