
Eine ältere Frau und plötzlicher Gedächtnisverlust nach dem Sex
Eine akute ausgepräge Gedächtnisstörung bei alten Patienten kann mehrere Ursachen haben, die differenzialdiagnostisch zu berücksichtigen sind. Oft, aber nicht immer handelt es sich um eine schwerwiegende Erkrankung.1
Lesedauer: ca. 4 Minuten

Autor: Dr. Thomas Kron
Ein Beispiel schildern der Neurologe Dr. med. Peter Albrecht und Kollegen vom Evangelisches Krankenhaus Wesel. Konkret geht es um eine ältere Frau, die den Neurologen notfallmäßig vorgestellt wurde.
Die Patientin und ihre Geschichte
Grund für die Vorstellung der Patienten war den Autoren zufolge, dass sie plötzlich durcheinander gewesen sei und immer wieder dieselben Dinge gefragt habe. Ihr Ehemann habe berichtet, „dass seine Frau und er Sex gehabt hätten. Unmittelbar danach sei seine Frau völlig durcheinander gewesen und habe ständig dieselben Fragen gestellt“. Solche Symptome seien zuvor noch nie aufgetreten.
Wie Peter Albrecht und seine Kollegen weiter berichten, ergab die Anamnese-Erhebung keine bekannten Vorerkrankungen und regelmäßige Medikamenteneinnahme.
Befunde und Diagnose
- Wache, unruhige Patientin, zur Person orientiert, nicht aber zu Ort, Zeit und Situation
- Wie die Autoren weiter berichten, fragte sie über mehrere Stunden lang wiederholt nach, wo sie sei und was denn los sei.
- Antworten auf ihre wiederholten Fragen habe sie innerhalb weniger Minuten vergessen, von vier ihr genannten Begriffe habe sie alle schon nach nur einer Minute nicht mehr erinnert. Alltägliche Handlungen seien hingegen kein Problem gewesen.
- Neurologischer und internistischer Befund ansonsten unauffällig.
- Diagnose: Transiente globale Amnesie (TGA).
Diskussion
Die TGA ist, wie die Neurologen erklären, definiert als eine akute anterograde und retrograde Amnesie, die maximal 24h anhält. Es handele sich um eine gutartige Störung des Kurzzeitgedächtnisses, die auch bei sexuellen Aktivitäten auftreten könne. Der pathophysiologische Mechanismus der TGA sei bis heute nicht abschließend geklärt.
Das prozedurale Gedächtnis sei intakt; bekannte, komplexere Handlungen seien daher problemlos möglich. Die Patienten wirkten ängstlich sowie ratlos und stellten sie wiederholt dieselben Fragen.
Der Schlüssel zur Diagnose sei außer der Anamnese die gezielte klinische Untersuchung, speziell die Erhebung des neuropsychologischen Befundes. Dabei müsse insbesondere die Funktion des Kurzzeitgedächtnisses getestet werden. Dies könne beispielsweise geprüft werden, indem man die Patienten bitte, sich vier vom Untersucher vorgegebene Begriffe zu merken, die dann vom Untersucher nach einer Minute erneut abgefragt würden. Patienten mit einer TGA könnten sich in der Akutphase an keinen Begriff erinnern.
Der körperliche Untersuchungsbefund sei unauffällig, fokal-neurologische Defizite oder Vigilanzminderungen hätten die Patienten nicht. Eine TGA bilde sich innerhalb von maximal 24 h zurück. Das Rezidivrisiko betrage ca. 12–27 Prozent, wobei Migräne, Depression und sexuelle Trigger häufiger mit Rezidiven in Verbindung gebracht würden.
Mehr zur transienten globalen Amnesie
Laut der aktuellen Leitlinie ist die TGA eine Störung, die vorwiegend im Alter zwischen 50 und 70 Jahren auftritt; eine TGA bei Patienten < 50 Jahren ist eine Rarität, so dass bei jungen Patienten unbedingt notfallmäßig nach anderen Ursachen gefahndet werden sollte.
Typisch sei außer dem plötzlichen Beginn ein gehäuftes Auftreten in engen zeitlichen Zusammenhang mit emotional belastenden Ereignissen, körperlicher Aktivität oder, wie im vorliegenden Fall, sexueller Aktivität. Schon lange bekannt sei beispielsweise auch, dass eine TGA nicht selten mit Schwimmen im kalten Wasser assoziiert sei (im Englischen daher die Bezeichnung „amnesia by the seaside“).
Klinische Aspekte, die für eine TGA sprechen, seien: neuropsychologische Defizite auf das Gedächtnis beschränkt, keine Bewusstseinstrübung, keine fokalen Ausfälle, passende Fremdanamnese, keine Verletzungszeichen, Rückbildung innerhalb von 24 Stunden.
Der Nachweis von typischen ein- oder beidseitigen punktförmigen DWI-/T2-Läsionen im Hippocampus belege eine TGA, heißt es in der aktuellen Leitlinie. Neu sei, dass bis zu elf Prozent der Betroffenen zusätzlich kleine DWI-Veränderungen außerhalb des Hippocampus hätten, neuere funktionelle und morphometrische MRT-Untersuchungen sowie quantitative EEG-Analysen hätten zudem Veränderungen der funktionellen Konnektivität im limbischen System und des Hippocampus gezeigt.
Das Risiko für eine TGA ist am Vormittag (10–11 Uhr) und am späten Nachmittag (17–18 Uhr) am größten – und das Rezidivrisiko liegt zwischen 12 und 27 %.
Die Prognose ist laut der Leitlinie sehr günstig; es gebe bislang auch keine Hinweise, dass sie das Risiko für zerebrale Ischämien, chronische Gedächtnisstörungen oder demenzielle Syndrome erhöhe.
Mögliche Differenzialdiagnosen
Die Differenzialdiagnosen einer TGA sind notfallmedizinisch sehr bedeutsam. Dazu zählten Erkrankungen oder Zustände, die mit einem akuten amnestischen Syndrom einhergehen könnten, etwa die transiente epileptische Epilepsie, Enzephalitiden, unbeobachtete Schädel-Hirn-Traumata, Intoxikationen, Wernicke-Enzephalopathien oder zerebrale Ischämien im Bereich des Thalamus.
Zudem ist eine Subarachnoidalblutung in Betracht zu ziehen, die ebenfalls nach körperlicher Anstrengung mit Valsalva-Manövern wie sexueller Aktivität auftreten kann. SAB können mit einem akuten Verwirrtheitszustand ohne weitere neurologische Defizite symptomatisch werden. Allerdings hätten SAB-Patienten in aller Regel starke Kopfschmerzen.
Eine spezifische Therapie sei bei klarer Diagnose einer TGA nicht indiziert.
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Dieser Beitrag erschien im Original bei Univadis.