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Der besondere Fall

14. Apr. 2023

Nichtraucherin mit intermittierenden Schmerzen im Unterschenkel

Wegen Wadenschmerzen in ihrem rechten Bein stellt sich eine 56-jährige in einer Praxis vor. Seit einigen Wochen treten diese unregelmäßig nach und ohne Belastung auf. An anderen Tagen ist sie vollkommen frei von Beschwerden. Was steckt dahinter?1

Lesedauer: ca. 3 Minuten

Frau massiert ihre Wade
Was könnte hinter den schmerzenden Waden stecken? (Symbolbild) (Foto: Dreamstime / Melodija)

Autor: Dr. med.Thomas Kron | Redaktion: Sebastian Schmidt

Eine 56-jährige Frau stellt sich in einer Praxis wegen seit einigen Wochen bestehenden rechtsseitigen Wadenschmerzen vor; diese träten „teils in Ruhe und teils belastungsabhängig nach mehreren 100 Metern“ auf. Sie gibt an, dass sie an bestimmten Tagen völlig beschwerdefrei sei und mehr als 10 Kilometer gehen könne. 

Darüber hinaus berichtet sie, dass eine Schwellneigung des rechten Unterschenkels bestehe; der Verdacht auf eine Thrombose habe aber nicht bestätigt werden könne. Bis auf eine absichtliche Gewichtsreduktion um 38 kg seien keine medizinischen Besonderheiten erkennbar, berichten die Ärzte. Ihre Patientin ist Nichtraucherin.1 

Körperliche und apparative Untersuchungen

Die Patientin hat einen regelrechten Pulsstatus, auch unter Provokationsmanövern (Knieflexion, Plantarflexion) finden die Ärzte normale popliteale und pedale Pulse. Die Knöchel-Arm-Indizes beidseits physiologisch (1,1). Bis auf eine milde Hypertonie (145/92 mmHg rechts, 142/88 mmHg links) bleibt der klinische Untersuchungsbefund unauffällig. 

Allerdings zeigt die Farbduplexsonografie eine echofreie zystische Raumforderung (Breite sowie Tiefe 2 cm, Länge 4 cm) an der rechten A. poplitea, manschettenartig um die Arterie angeordnet und durch Septen lobuliert. Weder morphologisch noch hämodynamisch sind Stenosen der A. oder V. poplitea nachweisbar. Eine Strömungsbeschleunigung der A. poplitea tritt weder bei Knie- noch bei Plantarflexion auf. Atherosklerotische Gefäßveränderungen zeigen sich nicht. 

Eine MRT-Untersuchung des rechten Knies zeigt eine zystoide, die A. poplitea umgebende, zur Gelenkflüssigkeit isotense Raumforderung (ohne Kontrastmittelanreicherung) mit Verbindung zur Kniegelenkkapsel.

Die Diagnose lautet: zystische Adventitiadegeneration der A. poplitea.

Therapie: Patientin wünscht keine Intervention

Eine interventionelle Therapie wünscht die Patientin nicht, da sie in ihrer Gehfähigkeit zu diesem Zeitpunkt nicht dauerhaft beeinträchtigt und zudem phasenweise beschwerdefrei gewesen war. Außerdem finden die Ärzte keine morphologischen und funktionellen Stenose-Zeichen. Aus diesem Grund vereinbarten sie mit der Patientin kurzfristige 3-monatliche Verlaufskontrollen.

Diskussion: Auftreten und Therapieoptionen

Die zystische Adventitiadegeneration (CAD) ist eine seltene Gefäßerkrankung. Seit der Erstbeschreibung im Jahr 1947 haben Ärzte weniger als 400 Fälle publiziert.

Gemeinsam mit dem poplitealen Entrapment-Syndrom ist die CAD eine seltene, nicht atherosklerotische Ursache der Claudicatio. Betroffen ist meist die A. poplitea. Bekannt sind auch Kasuistiken mit anderer Lokalisation (A. iliaca externa, A. brachialis, A. radialis, A. ulnaris sowie V. saphena). Alle betroffenen Gefäße haben eine anatomische Beziehung zu einem Gelenk.

Die Ätiologie der CAD wird laut den Autoren des Fallberichts kontrovers diskutiert. Zu den Hypothesen zählen insbesondere eine embryologische, traumatische, systemische und eine ganglion-ähnliche Genese.

Das häufigste klinische Symptom der CAD ist die Claudicatio, in einigen Kasuistiken wird jedoch eine fluktuierende Symptomatik mit beschwerdearmen Intervallen beschrieben.

Die CAD betrifft überwiegend Männer in der 4. oder 5. Dekade; das Verhältnis Männer zu Frauen liegt bei 4 bis 5 zu 1. Da Erkrankte in der Regel jung sind und ein geringes kardiovaskuläres Risiko zeigten, ist die klinische Diagnose oft schwierig und wird in der Regel verzögert gestellt.

Zu den in der Fachliteratur beschriebenen therapeutischen Optionen zählen die Exzision der Zysten unter Erhalt der Arterie, die Exzision der betroffenen Arterie mit Interposition eines Venen- oder Kunststoffgrafts und die CT- oder ultraschallgesteuerte entlastende Punktion der Zysten. Eine allgemein anerkannte Therapieempfehlung gebe es den Autoren zufolge nicht. 

Da in der Literatur auch Fälle spontaner Remissionen der CAD zu finden sind, halten einige Autoren eine konservative Behandlung bei Patienten ohne kritische Ischämie und Symptomatik für gerechtfertigt.

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Univadis.de.

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