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Der besondere Fall

29. Aug. 2023
Geplatztes Aneurysma

Einsatz einer Notärztin in der eigenen Familie

Gerade Ärztinnen und Ärzte der Notfallmedizin sind dafür geschult, unter Zeitdruck und in extremen Situationen schnell und effektiv zu handeln. Aber was, wenn die zu rettende Person aus dem eigenen engen Familienkreis kommt? Ein Ärztinnen-Ehepaar berichtet von einem derartigen emotionalen Fall.

Lesedauer: ca. 5 Minuten

aneurysma
Aneurysma: Potenziell ein lebensbedrohlicher Notfall (Foto: Getty Images / Dr_Microbe)

Taylor und Alison Delgado, Notfallmedizinerin an der University of Utah Health, Salt Lake City und Kinderärztin bei Wasatch Pediatrics in Park City, Utah, im Interview mit Sarah Yahr Tucker I Übersetzung und Redaktion: Dr. Linda Fischer

Gerade zu Bett gegangen, wacht Taylor Delgados Partnerin mit extremem Kopfschmerz auf. Anschließend ist sie nicht mehr ansprechbar. Mit Verdacht auf eine Hirnblutung wählt Taylor den Notruf und nimmt schon einmal eine provisorische, aber lebensrettende ärztliche Versorgung vor. Was war genau passiert? Ihre ganze Geschichte erzählen die beiden Beteiligten selber.

Fahrradunfall und Rettungshubschrauber

Alison Delgado (Kinderärztin und Patientin): Taylor und ich waren seit 4 Monaten im zweiten Jahr der Facharztausbildung. Ich war Assistenzärztin in der Kinderheilkunde am Cincinnati Children's Hospital und sie Assistenzärztin für Notfallmedizin an der Universitätsklinik. Ich hatte einen freien Tag und Taylor eine Schicht in der Notaufnahme als Teil der Flugbesatzung.

Ich selbst unternahm an dem Nachmittag eine Fahrradtour. Nach etwa drei Viertel der Strecke fuhr mich ein Auto an. Die Rettungskräfte waren schnell bei mir, intubierten mich noch am Unfallort und brachten mich in das nächstgelegene Krankenhaus. Ich fiel aber nicht in deren Zuständigkeitsbereich. Also setzte sich das dortige Ärzteteam mit dem Universitätskrankenhaus in Verbindung: Ich sollte per Rettungshubschrauber verlegt werden.

Patientin ist eigene Frau: Rettung verzögert sich

Taylor Delgado (Notfallmedizinerin und Retterin): Gegen 17:30 Uhr erhielten wir über Funk die Anforderung für eine Verlegung einer 27-jährigen Frau. In dem Krankenhaus gelandet, berichtete mir der Arzt vor Ort von einer leichten Brachykardie, einer Herzfrequenz zwischen 40 und 50 Schlägen pro Minute, unauffälligem Blutdruck und einem offensichtlichen Trauma im Gesicht. Ein Endotrachealtubus war gelegt worden.

Und da erkannte ich die Patientin: Es war meine Frau Alison. Das Problem war nun, dass ich als Alisons Ehefrau nicht ihre Flugärztin sein durfte. Es wurde ein zweiter Hubschrauber angefordert.

Das Schlimme für mich war, dass sich Alisons medizinische Versorgung nun durch meine Anwesenheit verzögerte, da wir ja jetzt auf den zweiten Hubschrauber warten mussten. Als ihre Herzfrequenz sank, beschlossen der Notarzt, meine Flugkollegin und ich, ihr Atropin zu verabreichen. Außerdem bekam sie die Beruhigungsmittel Fentanyl und Midazolam. Anschließend blieb uns nur, weiter abzuwarten. Als schließlich der zweite Hubschrauber ankam, durfte ich mitfliegen.

5 Tage im Koma mit verletzter Halsschlagader, gute Reha

Taylor: In der Universitätsklinik angekommen, zeigten die Bilder der Computertomografie eine lebensbedrohliche Kopfverletzung. Der behandelnde Arzt berichtete mir von starken Blutungen im Gehirn. Es sei nicht klar, ob Alison die Nacht überlebe.

Alison: Ich lag 5 Tage lang im Koma. Schicht für Schicht waren sie erstaunt, dass ich noch lebte. Ich hatte einen gebrochenen Kiefer, gebrochene Wirbel in der Wirbelsäule, ein gebrochenes Schlüssel- und Brustbein sowie Prellungen an Herz und Lunge. Später wurde festgestellt, dass eine durch den Unfall verursachte Dissektion und ein Aneurysma vorlagen.

Mein Kiefer wurde verdrahtet und ein Luftröhrenschnitt gelegt. Das Aneurysma wurde verschlossen und ein Stent in die Dissektion eingesetzt. Ich erhielt Thrombozyten-Aggregationshemmer, um eine Stent-Thrombose zu verhindern.

Zweieinhalb Wochen, nachdem ich aus dem Koma erwacht war, war ich dann stabil genug, um eine stationäre Reha-Einrichtung zu besuchen. Ich machte rasch Fortschritte, auch weil Taylor bei mir war. Wir versuchten gemeinsam, meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen und meinen Wortschatz wieder zu erweitern.

Taylor: Ihre Sprache wurde von Tag zu Tag flüssiger. Ihr rechter Arm funktionierte immer besser. Wir fingen an, draußen zu spazieren und nach 14 Tagen wurde sie nach Hause entlassen.

Als wir die Reha-Einrichtung verließen, nahm ich ein paar zusätzliche Trachealkanülen und Zubehör mit. Die Notfallmedizinerin in mir dachte, dass ich das gebrauchen könnte. Ein paar Tage später entfernte ihr HNO-Arzt den Tracheostomie-Schlauch.

Rückschlag: Intrakranielle Blutung, erneut ins Krankenhaus

Taylor: In der darauffolgenden Nacht wachte Alison mit extremen Kopfschmerzen auf und war dann nicht mehr ansprechbar. Ich wählte den Notruf und forderte einen Krankenwagen an. Mein Verdacht: Hirnblutung.

Alison übergab sich. Von dem vorangegangenen Unfall mit Kieferbruch hatte sie im Mund noch Gummibänder infolge der Operation, was das Öffnen ihres Mundes stark einschränkte. Also erwog ich, ihr eine Trachealkanüle zu legen.

Trachealkanüle gesetzt, um Luftzufuhr zu sichern

Taylor: Nach dem Unfall war Alison zwar schon einmal tracheotomiert worden – die Öffnung hatte sich aber inzwischen wieder geschlossen. Ich versuchte, die Kanüle trotzdem zu legen, was bei ihr aber starke Schmerzen verursachte. Trotz Alisons Abwehrversuchen gelang es mir aber schließlich, die Kanüle zu legen.

Als der Krankenwagen eintraf, bestand ich darauf, bei Alison zu bleiben und forderte für sie 4 mg Zofran und 2 mg Midazolam intravenös.

Im Krankenhaus angekommen, stand fest: Ein Aneurysma war geplatzt. Alison hatte eine rezidivierende Subarachnoidalblutung und eine intrakranielle Blutung. Die Ärztinnen und Ärzte versuchten zunächst, das Aneurysma zu embolisieren.

Alison hatte einen Hydrocephalus. Normalerweise wäre das ein Fall für eine Drainage. Dagegen sprach aber ihre Einnahme von Aspirin und Clopidogrel. Dadurch bestünde dann die Gefahr, dass sie an der Einstichstelle eine Blutung erleiden würde, die eine Hirnblutung verursachen könnte.

Erfolgreiche Operation, aber Rückschritt in der Reha

Alison: Ich musste so bald wie möglich operiert werden. Aber ich sollte mindestens 6 Wochen lang Clopidogrel und Aspirin nehmen, bevor es als sicher galt, sie abzusetzen. Es dauerte weitere 3 Wochen bis zur Operation.

Der zweite Krankenhausaufenthalt war allgemein beängstigender als der erste, denn ich bekam viel mehr mit. Ich wusste, dass ich womöglich nicht mehr in meine ärztliche Tätigkeit zurückkehren würde. Es bestand das Risiko, dass ich während der Operation blind oder gelähmt werden würde. Vielleicht würde ich das Krankenhaus nicht mehr verlassen.

Die Operation verlief dann aber erfolgreich. Ein paar Tage später konnte ich nach Hause. Aber ich hatte alles verloren, was ich mir in der Rehabilitation erkämpft hatte. Meine Sprache war wieder auf dem Nullpunkt.

Niemand rechnete damit, dass ich wieder arbeiten könnte. Aber ich blieb zuversichtlich: Ich hatte so viel Glück gehabt, hätte sterben können, als das Aneurysma geplatzt war, oder zu jedem anderen Zeitpunkt danach.

Am Ende dann doch noch die Facharztausbildung

Alison: Und meine Zuversicht wurde belohnt: Fast 3 Jahre nach meinem Unfall konnte ich meine Facharztausbildung erfolgreich beenden und bestand mein Examen in der Pädiatrie. Ich denke, ich habe jetzt ein anderes Einfühlungsvermögen für meine Patientinnen und Patienten, da ich weiß, wie es ist, wenn ungewiss ist, ob man das Krankenhaus wieder verlassen wird oder nicht.

Dieser Beitrag ist im Original auf Medscape.com erschienen.

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