Fallauflösung: Zweite Muskelbiopsie offenbart Diagnose
Die zweite Muskelbiopsie des Mannes (72) mit fortschreitender Kamptokormie, Dropped-Head-Syndrom und ausgeprägter Dysphagie führt die Ärztinnen und Ärzte zu der richtigen Diagnose. Hintergründe dazu und wie sie den Patienten behandeln, lesen Sie hier im zweiten Teil des Beitrags.1
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Die elektronenmikroskopische Auswertung der Musculus vastus lateralis-Biopsie ergibt Nemalin-Stäbchen in mehreren Muskelfasern. Die Ärztinnen und Ärzte stellen daher die Diagnose einer sporadischen späten Nemalin-Stäbchen-Myopathie (sporadic late-onset nemaline rod myopathy, SLONM) in Verbindung mit einer monoklonalen Gammopathie. Der Patient erhält über 6 Monate intravenös Immunglobulin, ohne dass es zu einer klinisch signifikanten Besserung kommt. Der Patient wird zur hämatologischen Untersuchung überwiesen zwecks potenzieller autologer hämatopoetischer Stammzelltransplantation.
Hintergrund zu SLONM
SLONM ist eine seltene, erworbene, progressive Myopathie bei Erwachsenen. Erstmals wurde sie 1966 von A. G. Engel beschrieben.2 Der typische klinische Phänotyp ist gekennzeichnet durch Schwäche und Atrophie vorwiegend der proximalen und axialen Muskeln, die zu Kamptokormie oder Dropped-Head-Syndrom führen können. Dysphagie und Dyspnoe sind häufig und treten in etwa 50 % der Fälle auf,3 Atemversagen ist bei diesem Krankheitsbild eine häufige Todesursache.4 Berichtet wird zudem über eine kardiale Beteiligung.3,5
Häufig 2 Muskelbiopsien für Diagnose erforderlich
Werte für Kreatinkinase sind in der Regel normal oder leicht erhöht, die Elektromyografie zeigt myopathische motorische Potenziale und Fibrillationspotentiale.4 Die Magnetresonanztomografie kann eine Beteiligung der Nackenstrecker, der paraspinalen Muskeln, der Gesäßmuskulatur, der Kniesehne und des Musculus soleus zeigen.5
Ein charakteristisches pathologisches Merkmal der SLONM sind Nemalin-Stäbchen in Myofasern in der Licht- oder Elektronenmikroskopie. Begleitende histopathologische Befunde umfassen Myofaseratrophie, myofibrilläre Desintegration, kernartige Bereiche, vakuoläre Veränderungen, Fasernekrosen, entzündliche Infiltrate und mitochondriale Veränderungen.3 Eine erste Muskelbiopsie kann in bis zu einem Drittel der SLONM-Fälle nicht diagnostisch sein, sodass eine zweite Muskelbiopsie erforderlich ist, wenn sich der klinische Verdacht erhärtet.6
Oft assoziiert mit Gammopathie und HIV-Infektion
Zu den wichtigen paraklinischen Assoziationen der spät auftretenden Nemalin-Myopathie zählen eine monoklonale Gammopathie und eine HIV-Infektion. Monoklonale Gammopathie ist in etwa 50 % der SLONM-Fälle vorhanden und umfasst typischerweise ein IgG-Paraprotein mit entweder κ- oder λ-Leichtketten. Ein multiples Myelom ist selten.3
Es gilt zu beachten, dass sich die spät auftretende Nemalin-Myopathie klinisch und pathologisch von der kongenitalen Nemalin-Myopathien unterscheidet – wobei auch seltene Fälle von familiärer Nemalin-Myopathie im Erwachsenenalter bekannt sind.7 Liegt eine Familienanamnese vor, sollten genetische Tests in Betracht gezogen werden.
Tod meist innerhalb von 5 Jahren
Der natürliche Verlauf der SLONM ist eine fortschreitende Muskelschwäche, die in der Regel innerhalb von 1 bis 5 Jahren nach Auftreten der Symptome zum Tod führt. Umstritten ist, ob das Vorhandensein einer monoklonalen Gammopathie die Prognose verschlechtert.4,6
SLONM scheint, insbesondere wenn sie mit einer monoklonalen Gammopathie assoziiert ist, schlecht auf Immuntherapien anzusprechen.3,4 Dennoch zeigen einige Patientinnen und Patienten ein deutliches und anhaltendes Ansprechen auf intravenöses Immunglobulin, welches daher als Erstlinientherapie vorgeschlagen wird.6 Für Patientinnen und Patienten, die nicht auf eine Immuntherapie ansprechen, oder Menschen mit einem aggressiveren Krankheitsverlauf werden Behandlungen auf der Basis von Chemotherapie, mit oder ohne autologe Stammzellen empfohlen.8,9