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Der besondere Fall

24. Aug. 2023

Schwäche und Inkontinenz bei einem 24-jährigen Wanderer

Ein 24-jähriger Mann stellt sich mit Inkontinenz und mit Schwäche in der Notaufnahme vor. Er war vor den Beschwerden fit, trank am Wochenende viel Alkohol und konsumierte Lachgas. Was ist passiert?

Lesedauer: ca. 3 Minuten

Jugendliche auf einer Wanderung
Ein 24-Jähriger inhalierte auf einer Wandertour Lachgas. Ist das eine Erklärung für seine Symptome? (Symbolbild) (Foto: © Getty Images / piola666)

Autoren: Hassan Khuram, Scott Goldstein | Redaktion: Marc Fröhling

Ein 24-jähriger Mann stellt sich in der Notaufnahme vor. Er leidet seit 1 Woche an zunehmender Schwäche in beiden Beinen. Der Patient berichtet über Schwierigkeiten beim Gehen und Aufstehen aus dem Sitzen sowie über Taubheitsgefühle und Kribbeln. Seit dem Vortag hat er Schwierigkeiten, seine Darm- und Blasenfunktionen zu kontrollieren. In der Vergangenheit gab es keine vergleichbaren Episoden.

Fragen nach Schmerzen oder Kribbeln in den Händen, Kopfschmerzen, Fieber, Schüttelfrost oder Sehstörungen verneint der Mann. Es gibt bei ihm in der Vorgeschichte keine Hinweise auf ein Trauma oder auf besondere Erkrankungen.

Seine Krankengeschichte ist unauffällig. In der Familienanamnese finden sich Bluthochdruck und Diabetes. Er nimmt derzeit keine Medikamente ein und hat keine bekannten Allergien.

Der Patient konsumiert an den Wochenenden im Durchschnitt etwa 8 bis 12 alkoholische Getränke. Synkopen oder „Blackouts“ kämen dabei nicht vor, sagt der junge Mann. Er wandert sehr gern und hat kürzlich bei einer Tour mit Freunden – wie schon häufiger – Lachgas inhaliert. Andere legale oder illegale Substanzen oder Tabakprodukte konsumiert er nicht. Er ist sexuell aktiv, hat mehrere Partner und benutzt immer Kondome.

Körperliche und apparative Untersuchungen

Seine Vitalzeichen zum Zeitpunkt der Untersuchung sind: Körpertemperatur 36,8°C oral, Puls 70/min regelmäßig, Atemfrequenz 18/min, Blutdruck 135/80 mmHg. Die pulsoxymetrisch bestimmte Sauerstoffsättigung beträgt unter Raumluft 99%. Er ist wach und zu Person, Ort und Zeit orientiert. Er wirkt jedoch ängstlich und wird leicht unruhig, wenn ihm Fragen gestellt werden.

Die kardiopulmonale Untersuchung ist unauffällig. Das Abdomen ist weich und unempfindlich.

Die Funktionen der Hirnnerven II-XII sind intakt. Die grobe Kraft in beiden oberen Extremitäten beträgt 5/5, in den unteren 3/5 mit deutlicher Kraftminderung in den Zehen und Knöcheln. Die Sensibilität für leichte Berührungen und Nadelstiche ist an beiden Beinen strumpfförmig eingeschränkt. Die tiefen Sehnenreflexe sind an beiden Beinen ausgefallen. Die Sensibilität für leichte Berührungen ist an beiden oberen Extremitäten intakt. Die Reflexe sind an beiden oberen Extremitäten seitengleich mit etwa 2+ auslösbar.

Der Patient kann weder auf den Fersen noch auf den Zehen gehen. Das Gehen auf einem Strich ist ebenfalls nicht möglich.

Bei der Bestimmung der Laborwerte wurden folgende Messwerte ermittelt:

  • Hämoglobin: 10,9 g/dl (normal 13,5-17,5 g/dl)
  • Hämatokrit: 33,1% (normal 45%-52%)
  • Thrombozyten: 269.000/µl (normal 150.000-450.000 Zellen/µl)
  • Erythrozyten: 3,15 × 106/µl (normal 4,5-6,0 × 106/µl l)
  • MCV: 105 fl (normal 83-98 fl)
  • Glucose: 125 mg/dl (normal < 160 mg/dl)
  • freies Thyroxin (T4): 2,0 ng/dl (normal: 0,8-2,7 ng/dl)
  • TSH: 4,9 μIU/ml (normal: 0,35-5,5 μIU/ml)
  • Thiamin: 140 nmol/l (normal 66,5-200 nmol/l)
  • Erythrozytenverteilungsbreite (EVB): 17,6% (normal 11,5%-14,5%)
  • Vitamin E: 10,9 mg/l (normal 5,7-19,9 mg/l)
  • Folsäure: 10,2 ng/ml (normal 2,8-13,5 ng/ml)
  • Homocystein: 25,3 µmol/l (normal 0-15 µmol/l)
  • Methylmalonsäure (MMS): 1.954 nmol/l (normal 73-376 nmol/l)
  • Vitamin B12: 273 pg/ml (normal 210-920 pg/ml).

Die serologischen Untersuchungen auf HIV, Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien und Borreliose sind negativ. Die Ergebnisse des toxikologischen Urinscreenings auf Amphetamine, Barbiturate, Benzodiazepine, Kokain, Methadon, Opiate und Oxycodon sowie das Blutalkoholscreening sind ebenfalls negativ.

Im kranialen CT finden sich kein Hydrozephalus, kein Hirn- oder Kleinhirnödem und keine Anzeichen einer intra- oder extraaxialen Blutung, keine Mittellinienverschiebung, kein Masseneffekt und keine Hernierung (s. Abb. 1). Die Ergebnisse eines Blutausstrichs, der Elektromyographie (EMG) und des MRT stehen noch aus.

Kraniales CT
Abb. 1: Kraniales CT
Kraniales CT
Abb. 1: Kraniales CT

Erfahren Sie im zweiten Teil der Kasuistik, welche Diagnose hinter den Symptomen des jungen Mannes steckt und wie ihm geholfen werden konnte.

Zum zweiten Teil >>

Dieser Beitrag ist im Original auf Medscape.com erschienen.

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