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Der besondere Fall

05. Nov. 2021

Karl II., Hexerei und die Folgen der Heiratspolitik

Der spanische König Karl II. litt zeitlebens an einer Vielzahl von Krankheiten und Störungen. Der Grund für sein Leiden lag jedoch vermutlich in einer Erbkrankheit, ausgelöst durch die inzestuösen Beziehungen der Habsburgerdynastie.

Lesedauer: ca. 3 Minuten

Links: Carlos II. von Spanien, Juan Carreño de Miranda (Wikipedia, gemeinfrei). Mitte: Carlos II. von Spanien, Anonym (Wikipedia, gemeinfrei). Rechts: Phillip IV. von Spanien, Velazquez (Wikipedia, gemeinfrei).
Links: Carlos II. von Spanien, Juan Carreño de Miranda (Wikipedia, gemeinfrei). Mitte: Carlos II. von Spanien, Anonym (Wikipedia, gemeinfrei). Rechts: Phillip IV. von Spanien, Velazquez (Wikipedia, gemeinfrei).

Ein neuer Erklärungsversuch aus Australien

Eine neue Erklärung für die Krankheiten und Störungen des spanischen Königs haben Forschende der Universität Sydney und des Westmead Hospital (Australien) Ende September in der Fachzeitschrift BMJ Neurology Open veröffentlicht. Sie argumentieren, dass Karl II. an Aspartylglucosaminurie gelitten haben könnte, einer sehr seltenen Erbkrankheit, die zur Gruppe der lysosomalen Speicherkrankheiten und Glykoproteinosen gehört. Vermutlich ausgelöst durch den hohen Grad an Inzucht im spanischen Zweig der Habsburger mit zahlreichen blutsverwandten Ehen.

Ursachen und Häufigkeit der Aspartylglucosaminurie

Aspartylglucosaminurie ist eine autosomal rezessiv vererbte lysosomale Störung, die durch einen Mangel des Enzyms N-Aspartyl-beta-Glucosaminidase verursacht wird. Es kommt zu Ablagerung und Anhäufung von Glykoasparaginen, hauptsächlich Aspartylglucosamin, in verschiedenen Geweben, einschließlich denen des Nervensystems. Die meisten Fälle wurden in Finnland beschrieben, wo es einen Fall pro 18 500 Menschen gibt. Außerhalb Finnlands ist sie viel seltener, obwohl die genaue Häufigkeit unbekannt ist.

Da die Krankheit autosomal rezessiv vererbt wird, muss eine Person das abnorme Gen (AGA-Gen) von beiden Elternteilen erhalten haben. Deshalb kommt sie in Populationen mit hoher Blutsverwandtschaft, wie z. B. den Habsburgern, häufiger vor.

Typische Merkmale der Aspartylglucosaminurie

Betroffene haben eine normale Geburt und frühe Kindheit, wobei sich die Symptome im Alter von 2-3 Jahren in Form von Sprach- und motorischen Entwicklungsverzögerungen und geistiger Behinderung zu manifestieren beginnen. Äußerlich äußert sie sich in einem markanten Gesichtsausdruck, der aus einem Hypertelorismus der Augen, geschwollenen Augenlidern, kleinen Ohren, vollen Lippen, einem ausgeprägten quadratischen Kiefer, einem kurzen Amorbogen und einer breiten Nase besteht.

Die Betroffenen altern vorzeitig und können eine relative Mikrozephalie aufweisen, vermutlich aufgrund des verzögerten Schädelwachstums. Sie können auch an einer Vielzahl von Hautläsionen leiden, wie z. B. Erythemen, herpetischen Läsionen, Angiofibromen im Gesicht, Seborrhoe, Zahnfleischwucherungen, oralen Ödemen und gelegentlich Tumoren und Fisteln.

Häufig sind Knochenanomalien zu sehen, darunter deformierte Rippen, Skoliose und Verdickungen des Schädeldaches. Weitere Merkmale der Krankheit sind wiederkehrende Lungeninfektionen, Durchfall, Hypermobilität des Bindegewebes, Leistenbrüche, Bewegungsstörungen und Epilepsie.

Psychatrische Symptome und progressiver Krankheitsverlauf

Die geistige Behinderung ist zu Beginn in der Regel leicht, wobei die verbalen Störungen am stärksten ausgeprägt sind, und nimmt im späten Erwachsenenalter einen schweren Verlauf, der mit einer Vielzahl von psychiatrischen Symptomen einhergehen kann.

Der Krankheitsverlauf ist progressiv, und die meisten Betroffenen sterben zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr, wobei sie in den letzten Lebensjahren apathisch sein können, wie es bei Karl II. der Fall war.

Karl II. und Aspartylglucosaminurie

Solange keine überzeugenden Antworten vorliegen, müssen neue Hypothesen aufgestellt werden. Zu diesem Zweck gingen die australischen Forscher weiter und untersuchten die Habsburger-Dynastie als Ganzes.

Die umfangreiche Inzuchtgeschichte der Habsburger ist gut dokumentiert und war für ihr schlechtes Überleben verantwortlich: 29,4 % der Habsburger starben vor dem ersten Lebensjahr und 50 % vor dem zehnten Lebensjahr. Die Inzucht war im spanischen Zweig, dessen letzter Vertreter Karl II. war, sogar noch größer, wodurch das Risiko, an einer rezessiven Erbkrankheit wie der Aspartylglucosaminurie zu leiden, erheblich erhöht wurde, was die meisten, wenn nicht sogar alle der dokumentierten Merkmale Karls II. erklären könnte.

Darüber hinaus war Karl II. nicht der einzige Habsburger, der an psychiatrischen und neurologischen Störungen litt. Es gibt Dokumente, die dasselbe Problem bei anderen Mitgliedern dieser Familie erwähnen, wie z. B. Psychosen, häufige Epilepsie und Schwierigkeiten beim Gehen ­– was auf Ataxie hindeutet – und natürlich die charakteristischen habsburgischen Gesichtszüge, die die Aspartylglucosaminurie-Hypothese bestätigen.

Es stimmt zwar, dass nicht alle Mitglieder der Habsburger, die dieses Gesichtsmerkmal besaßen, so stark litten wie Karl II., aber das diskreditiert nicht die Möglichkeit einer autosomal rezessiven Krankheit. Ganz im Gegenteil: Heterozygote Träger des geschädigten Gens konnten zwar das für diese Familie charakteristische Gesichtsmerkmal entwickeln. Aber da sie auch eine ungeschädigte Kopie des AGA-Gens besaßen, entwickelten sie nicht die anderen oben genannten Komplikationen.

Hypothese muss unbewiesen bleiben

Doch trotz der Stärke dieses neuen Vorschlags „ist es in diesem Stadium unmöglich zu beweisen, dass er wahr ist. Die spanische Linie der Habsburger ist ausgestorben, so dass es keine modernen direkten Nachkommen gibt. Am nächsten kämen die der österreichischen Linie, aber diese hatte von Anfang an eine geringere Blutsverwandtschaft, was es wiederum unmöglich macht, sicher zu sein, dass es sich bei der Krankheit Karls II. um Aspartylglucosaminurie handelte“, so die Forscher.

In Teil 1 lesen Sie von den Symptomen Karl II. und anderen Erklärungsversuchen.

Die Symptome des "verhexten Königs" (Teil 1)

Dieser Beitrag ist im Orginal auf Univadis.es erschienen.

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