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Der besondere Fall

22. Feb. 2022

John F. Kennedy: Wacher Geist im kranken Körper

Trotz seiner jugendlich-fitten Erscheinung war John F. Kennedy (1917-1963) schwer krank, als er 1961 als 35. US-Präsident ins Weiße Haus in Washington einzog. Der Arzt und Historiker Ronald D. Gerste gibt im Interview Einblicke in das bewegte Leben und die Krankheitsgeschichte Kennedys.

Lesedauer: ca. 4 Minuten

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Redaktion: Marc Fröhling & Sebastian Schmidt

Zum Widerspruch zwischen dem verkörperten Bild eines vitalen und sportiven Staatsmannes und der Tatsache, dass Kennedy ein kranker Mann war: Wie ist es ihm und seinem Umfeld gelungen, diese Wirkung in der Öffentlichkeit zu erzielen?

Ronald D. Gerste: Zum einen gab es damals einen anderen Codex unter Journalisten: die Privatangelegenheiten von Politikern respektierte man (weitgehend), was ja auch für die Frauengeschichten von „JFK“ galt. Bedenken Sie: er wuchs heran während der Präsidentschaft von Franklin Delano Roosevelt (1933-1945), von dem die meisten Amerikaner kaum wussten, dass er wegen Poliomyelitis im Rollstuhl saß – wenn man ihn mühselig ans Rednerpult trug, klickten ebenso wenig die Kameras wie später angesichts Kennedys schmerzverzerrtem Gesicht bei bestimmten Bewegungen.

Zum anderen verstand es Kennedy, das Image eines sportiven, scheinbar kerngesunden jungen Politikers – er war der jüngste je ins Präsidentenamt gewählte Kandidat – zu verbreiten. Er und sein meisterhaft die Medienklaviatur spielender Vater und Finanzier, Joseph P. Kennedy, ließen Reporter an ausgesuchten Szenarien teilhaben: wenn er mit den anderen höchst athletischen Geschwistern in Hyannis Port (Massachusetts) Football spielte, wenn er auf seiner Yacht durch die Boston Bay segelte und wenn er sich auf dem Gestüt seiner Frau Jackie in Glen Ora (Virginia) mit ihren Pferden ablichten ließ.

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Ronald. D. Gerste, geboren 1957, ist Arzt und Historiker. Seit seinen Studientagen fasziniert ihn der Einfluss, den medizinische Faktoren auf den Ablauf der Geschichte haben. Gerste lebt seit vielen Jahren als Korrespondent und Buchautor in Washington, D.C., und schreibt dort vor allem für die „Neue Zürcher Zeitung“ und die „FAS“, für „Damals“, für das „Deutsche Ärzteblatt“ und andere wissenschaftliche Zeitschriften.

Würde diese Geheimhaltung in der heutigen Zeit noch funktionieren?

Gerste: Bis vor circa 3 Jahren hätte ich es nicht für möglich gehalten. Dann hatte ich folgendes Erlebnis: ein deutscher Rundfunksender – öffentlich-rechtlich – vereinbarte mit mir ein Live-Interview zu Merkels Tremorattacken. Ich stellte mir den Wecker, es war noch vor dem Morgengrauen bei uns in den USA. Dann fand ich eine E-Mail des Senders vor: wegen technischer Probleme verzichte man auf das Interview. Fast überflüssig zu erwähnen: es gab keine technischen Probleme.

Das zeigt, dass Politiker, die sich des Wohlwollens der Leitmedien erfreuen, auch heute nicht unbedingt gegenüber den Wählerinnen und Wählern Rechenschaft ablegen müssen, ob bei ihnen ein gesundheitliches Problem vorliegt, das möglicherweise die Amtsfähigkeit beeinflusst. Auch François Mitterand regierte Frankreich über zwei Amtszeiten und konnte dabei sein metastasiertes Prostatakarzinom geheim halten.

Schon als Kind und Jugendlicher war Kennedy häufig krank, was zu zahlreichen Klinikaufenthalten führte. Ärzte konnten sich dies nicht erklären – ist bekannt, welchen Behandlungen er dort unterzogen wurde?

Gerste: John F. Kennedy hat eine lange, in die Kindheit zurückreichende und nie in eine einzige, wirklich befriedigende Diagnose mündende Krankheitsgeschichte. Die wichtigsten Stationen: als Teenager war er untergewichtig, hatte immer wieder Magen-Darm-Probleme. Man machte Diäten mit ihm, unterzog ihn der damals noch recht kruden Endoskopie. Verschiedentlich wurde Kennedy als gelbgesichtig beschrieben, was einer angeblich auf dem Kriegsschauplatz im Südpazifik erlittenen Malaria angedichtet wurde, aber möglicherweise ein frühes Symptom seines Morbus Addison war, der zu einer charakteristischen Braunfärbung der Haut führen kann.

Später stand die extrem schmerzhafte Rückenproblematik im Vordergrund. Der Öffentlichkeit gegenüber wurden zwei politisch hilfreiche Erklärungen zur Pathogenese abgegeben: eine Sportverletzung – was das Bild des vitalen Jungpolitikers unterstreicht – oder eine Kriegsverletzung – was heldenhaft und patriotisch wirkt.

Ende der 40er Jahre wurde bei ihm dann Morbus Addison diagnostiziert. Damals war noch sehr wenig über das Leiden bekannt. Welche Therapieversuche wurden bei JFK angewandt?

Gerste: Man wusste zumindest, dass Glukokortikoide substituiert werden müssen – nur freilich noch nicht genau in welcher Dosierung und welche potenziellen Komplikationen drohen. So gehen Biografen Kennedys heute davon aus (wesentliche medizinische Akten sind immer noch unter Verschluss bei den Gralshütern seines Erbes und Ansehens, der JFK Presidential Library in Boston), dass durch die Steroidzufuhr eine Osteoporose induziert wurde, die zu seinen Rückenproblemen führten – Probleme, die in den Bruch des fünften Lendenwirbels und einer komplizierten Operation mit Implantation einer Metallplatte mündeten. Apropos postoperative Pflege: seine junge Frau Jackie (die beiden hatten 1953 geheiratet) wusste, womit man ihm eine Freude machen konnte: sie überredete die Schauspielerin Grace Kelly, als Krankenschwester verkleidet an seinem Bett aufzutauchen.

Die Cortisol-Zufuhr hinterließ später gelegentlich Spuren in seinem Gesicht: auf manchen Bildern wirkt der ansonsten schlanke Präsident fast aufgedunsen, mit einer an das Cushing-Syndrom erinnernden Physiognomie.

Wie sieht der aktuelle Wissensstand zur Krankheit aus und wie würde man heute therapieren?

Gerste: Die 1855 von dem britischen Arzt Thomas Addison erstmals beschriebene Insuffizienz der Nebennierenrinde wurde damals noch überwiegend durch Tuberkulose ausgelöst – der großen Pandemie des 19. Jahrhunderts. Heute wird beim primären Morbus Addison meist von einer Autoimmunreaktion gegen die kortikoidproduzierenden Zellen ausgegangen. Der sekundären Nebenniereninsuffizienz liegt hingegen eine Störung in der Hypophyse zugrunde. Wichtige Symptome sind neben der auch bei JFK aufgetretenen Hautverfärbung vor allem Schwäche, Gewichtsabnahme und arterielle Hypotonie; nicht selten treten auch Magen-Darm-Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe) auf, an denen der junge Kennedy regelmäßig litt. Der Nachweis erfolgt durch Laboruntersuchungen mit dem charakteristischen Mangel an Cortisol, Aldosteron und Natrium sowie – beim primären Addison – erhöhtem ACTH-Spiegel. Heilbar ist die Krankheit in aller Regel nicht, aber beherrschbar: durch Substitution der von der Nebennierenrinde nicht ausreichend gebildeten Hormone.

Im zweiten Teil des Interviews geht es um den umstrittenen „Dr. Feelgood“, den berühmten Promi-Arzt, dem sich auch John F. Kennedy anvertraut hat. Außerdem wirf Ronald D. Gerste einen Blick auf die hypothetische Biografie von Kennedy: Wie hätten sich wohl sein weiteres Leben und sein Gesundheitszustand ohne den tödlichen Kopfschuss von Dallas entwickelt?

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