
US-Amerikaner spricht nach Krebserkrankung plötzlich mit irischem Akzent
Ein Mann aus dem US-Bundesstaat North Carolina wird aufgrund eines metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinoms mit einer Androgendeprivationstherapie und Abirateron mit Prednison behandelt. Nach der Therapie spricht der Mann Mitte 50 mit starkem irischen Akzent (Brogue), obwohl er noch nie in Irland gewesen ist.1,2
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Autor: Christoph Renninger
Dritter bekannter Fall nach Tumor
Der Akzent wird vom Patienten, der auch keine irischen Vorfahren hat, als unkontrollierbar beschrieben – er konnte nicht aufhören mit dem Akzent zu sprechen, selbst dann nicht, wenn er es aktiv versuchte. Der Mann sprach bis zu seinem Tod weiter mit dieser Sprachmelodie. Es handelt sich hierbei um das Fremdsprachen-Akzent-Syndrom (Foreign accent syndrome, FAS).
Trotz der Therapie hatte sich der Tumor zu einem kleinzelligen neuroendokrinen Prostatakarzinom (NEPC) transformiert, multifokale Hirnmetastasen gebildet und es kam mutmaßlich zu einer paraneoplastischen aufsteigenden Paralyse, welche zum Tod des Mannes führte. Vor seiner Erkrankung gab es keine neurologischen oder psychiatrischen Auffälligkeiten.
Bei diesem Patienten handelt es sich um die erste beschriebene Person mit einem Fremdsprachen-Akzent-Syndrom nach einer Prostatakrebserkrankung. Überhaupt ist dies erst der dritte publizierte Fall des Syndroms in Verbindung mit Krebs, zuvor gab es Berichte bei Brust- und Hirntumoren.
Häufiger bei unmittelbaren Hirnschäden
Üblicherweise ist das Syndrom mit Schäden des Gehirns, etwa durch einen Schlaganfall, assoziiert. Ein Schlaganfall kann zu verschiedenen Sprech- und Sprachstörungen führen, das Fremdsprachen-Akzent-Syndrom zählt hier zu den seltenen.3
Weitere mögliche Ursachen sind Veränderungen der Hirnstruktur, verursacht durch Hirntumoren oder Hirnmetastasen, eine Enzephalitis, multiple Sklerose oder neurodegenerative Erkrankungen, z.B. Demenz.
Die Symptomatik wurde erstmals 1907 vom französischen Neurologen Pierre Marie beschrieben. Er berichtete von einem Patienten, der eigentlich mit Pariser Akzent sprach. Nach einem Schlaganfall begann dieser jedoch mit einem Akzent zu sprechen, wie er in der Gegend um Straßburg zu hören ist.
Selbst Prominente betroffen
Derzeit gibt es etwa 200 publizierte Fälle, also eine eher seltene Sprachstörung. Der wohl bekannteste Betroffene war der Sänger George Michael. Nachdem er im Jahr 2011 infolge einer Pneumonie ins Koma fiel, sprach er nach dem Aufwachen für kurze Zeit mit einem Akzent aus dem Südwesten Englands (West Country accent). Eigentlich stammte Michael aus dem Norden Londons.4
Das Syndrom kann für Patientinnen und Patienten belastend sein, verlieren sie doch einen Teil ihrer Persönlichkeit, welche sich im Akzent ausdrückt. Gravierende soziale Folgen zeigt ein Bericht des norwegischen Neurologen Monrad-Krohn aus dem Jahr 1947.5 Er beschreibt eine Patientin, die nach einer Kopfverletzung bei einem Bombenangriff im zweiten Weltkrieg begann, mit einem deutschen Akzent zu sprechen.
Im Norwegen der Nachkriegszeit war dies durchaus problematisch. Die Frau wurde in Geschäften abgewiesen, da sie für eine Deutsche gehalten wurde. Ständig als Ausländerin angesehen zu werden, ist nicht nur für diese Frau eine Belastung gewesen. Auch andere Betroffene suchen kreative Wege, um mit den Symptomen umzugehen, etwa durch häufige Hotelbesuche, wo ein fremder Akzent weniger auffällt.
Auch psychologische Ursachen sind möglich
Neben Schädigungen des zentralen Nervensystems kann ein FAS auch durch psychologische Faktoren ausgelöst werden, etwa durch extremen Stress (psychogenes Fremdsprachen-Akzent-Syndrom).6 Eine Niederländerin sprach beispielsweise, nachdem sie beinahe von einem Auto überfahren worden war, mit einem starken und hartnäckigen französischen Akzent. Ausgiebige neurologische Untersuchungen hatten keine Nervenschädigungen gezeigt, allerdings eine große Stressbelastung. Erst zehn Jahre später kehrte sie zu ihrem eigentlichen Niederländisch zurück.7
Manchmal kommt es zu besonderen Varianten. Bei diesen Patientinnen und Patienten entwickelt sich ein Fremdsprachen-Akzent-Syndrom zunächst infolge einer Hirnschädigung. Danach versuchen sie ihre Sprache so anzupassen, dass diese mehr zur „neuen“ Persönlichkeit passt. In Florida beschrieben Forschende eine US-amerikanische Frau, die nach einem Schlaganfall mit britischem Akzent sprach und später vermehrt britische Wörter in ihren Sprachgebrauch aufnahm.8
Für sie war es ihren Angaben zufolge einfacher, Menschen in ihrem Umfeld zu erklären, sie sei Engländerin, als ihren Akzent als Folge einer neurologischen Erkrankung offenzulegen. Eine vollständige Erholung vom Akzentwechsel kann schwierig sein und eine lange Sprachtherapie erforderlich machen. In anderen Fällen kam es dagegen recht schnell zur Rückkehr der gewohnten Sprache.