
Lebensbedrohliche Kardiomyopathie durch Energydrinks
Übermäßiger Konsum von Energydrinks kann sich negativ auf das Herz-Kreislauf-System auswirken. Dass es derartig spezifische Ursachen bei Kardiomyopathie unklarer Ätiologie zu bedenken gilt, zeigt der Fall eines 21-jährigen Mannes.1
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Dieser Beitrag basiert auf einem Fallbericht im BMJ Case Rep. 2021 von Fisk et al. | Redaktion: Dr. Linda Fischer
Ein 21-jähriger Mann stellt sich mit Kurzatmigkeit und Schwellungen im Unterleib in der Notaufnahme vor. Er beschreibt eine 4-monatige Vorgeschichte mit zunehmender Kurzatmigkeit bei Anstrengung, Orthopnoe, Gewichtsverlust und allgemeinem Unwohlsein. Drei Monate zuvor hatte ihm sein Hausarzt wegen produktiven Hustens, Fieber und Kurzatmigkeit ein Antibiotikum verschrieben.
Literweise Energydrinks, gelegentliche Symptome
Es liegt keine nennenswerte medizinische Vorgeschichte vor, die Familienanamnese ist unauffällig für Kardiomyopathie oder plötzlichen Herztod.
Rauchen, Alkohol- und illegalen Drogenkonsum verneint der Patient, jedoch konsumiert er regelmäßig Energydrinks mit reichlich Koffein und Taurin: im Schnitt täglich vier 500-ml-Dosen über einen Zeitraum von 2 Jahren. Gelegentlich seien Dyspepsie, Zittern und Herzrasen aufgetreten, ohne dass der Patient eine ärztliche Praxis aufgesucht habe.
In den 3 Monaten vor der Einlieferung konnte er aufgrund von Lethargie und Unwohlsein sein Studium nicht fortsetzen.
Eingeschränkte systolische Funktion und Thromben
Bei Ankunft in die Notaufnahme liegt der Kreatininwert bei 562 μmol/L, der Harnstoffwert bei 47,4 mmol/L. Nach beidseitiger Nephrostomie bessert sich die Nierenfunktion kaum. Der Patient benötigt keine kardiovaskuläre oder respiratorische Unterstützung. Die Untersuchung ergibt eine dekompensierte Herzinsuffizienz, Lochfraß in den Knien und Aszites. Es liegt kein Lungenödem vor. Das EKG zeigt leichte, unspezifische Befunde.
Ein transthorakales Echokardiogramm offenbart einen dilatierten linken Ventrikel (LV) mit einer stark reduzierten Ejektionsfraktion (EF), biplane EF 11 % ohne linksventrikuläre Hypertrophie, einen dilatierten rechten Ventrikel mit eingeschränkter systolischer Funktion, biatriale Dilatation, leichte Mitral- und Trikuspidalregurgitation und einen Perikarderguss von 0,4 cm Größe. Bilaterale ventrikuläre Thromben erfordern zudem eine systemische Antikoagulation mit intravenösem unfraktioniertem Heparin.
Regelmäßige Hämodialyse, ohne bessere Herzfunktion
Der Patient wird in ein Tertiärkrankenhaus verlegt. Subklinische, embolische und hypoperfusionsbedingte Hirninfarkte und eine nephrogene Enzephalopathie erschweren seine Aufnahme.
Die Hämodialyse wird am 9. Tag auf der Intensivstation eingeleitet und erfordert anfangs eine geringe vasopressorische Unterstützung mit Noradrenalin (0,04 μg/kg/min). Inotrope Mittel sind nicht erforderlich. Zu Beginn der Dialyse kommt es entgegen der Erwartung nicht zu einem kardiovaskulären Kollaps. Dies deutet darauf hin, dass die niedrige Herzleistung bereits chronisch ist.
Angesichts der intrakardialen Thromben und des Nierenversagens wird der Patient mit intravenösem unfraktioniertem Heparin antikoaguliert. Nach einem positiven Test auf Heparin-induzierte Thrombozytopenie stellen ihn die Ärztinnen und Ärzte auf Argatroban um.
Der Patient stabilisiert sich auf der Intensivstation, bleibt aber in einem kardialen und renalen Versagen, das eine regelmäßige Hämodialyse erfordert. Die Herzfunktion bessert sich zunächst nicht. Die Hämodynamik bleibt ohne Vasopressor-Unterstützung und Inotropika stabil.
Transplantation von Nieren oder Herz nicht erforderlich
Während urologische Untersuchungen durchgeführt werden, um die Eignung für eine Nierentransplantation zu beurteilen, verbessert sich seine Urinausscheidung, sodass die Dialyse pausiert werden kann.
Die Untersuchung mittels Rechtsherzkatheter ergibt, dass eine Herztransplantation oder mechanische Kreislaufunterstützung nicht erforderlich ist.
Entlassung nach 58 Tagen
58 Tage nach seiner Erstvorstellung wird der Patient mit einem Kreatininwert von 383 μmol/L aus dem Krankenhaus entlassen. Er wird aber weiter kardiologisch, renal und urologisch betreut. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) nach 2 Monaten zeigt eine verbesserte LVEF auf 18 %. Ein transthorakales Echokardiogramm 9 Monate nach der Entlassung ergibt eine weitere Verbesserung der LVEF auf 51 % bei normaler rechtsventrikulärer Funktion. Die MRT-Untersuchung zeigt keine Narben, Entzündungen oder Ödeme.
Energydrink-induzierte Kardiotoxizität
Es handelt sich im vorliegenden Fall um eine schwere biventrikuläre Insuffizienz mit biventrikulären Thromben unklarer Ätiologie. In Anbetracht des dauerhaft hohen Konsums von Energydrinks, des Fehlens einer signifikanten medizinischen oder familiären Vorgeschichte, der Ergebnisse der kardialen Bildgebung und der Besserung nach Absetzen der Drinks sehen die Ärztinnen und Ärzte eine durch Energydrinks induzierte Kardiotoxizität als wahrscheinlichste Ursache an.
Die Ärztinnen und Ärzte hatten einige Differenzialdiagnosen erwogen
Takotsubo-Kardiomyopathie unwahrscheinlich
Eine stressbedingte oder Takotsubo-Kardiomyopathie hielten die Ärztinnen und Ärzte für wenig wahrscheinlich, da kein vorangegangener emotionaler oder physischer Stressor vorlag. Der schleichende Beginn über Monate vor der Einlieferung war auch nicht typisch für das Syndrom, das in der Regel akuter auftritt und bei dem sich die linksventrikuläre Funktion oft schneller erholt (innerhalb von 21 Tagen nach Beginn).
Darüber hinaus erfüllte der Patient weder die überarbeiteten Mayo-Kriterien noch die internationalen Diagnosekriterien. Auch in der transthorakalen Echokardiografie fehlten charakteristische Merkmale. Zudem betrifft das Syndrom vor allem Frauen nach der Menopause.
Myokarditis und Tachykardie als Auslöser verworfen
Eine Herzinsuffizienz als Folge einer Myokarditis wurde zwar in Betracht gezogen, aber auch hierfür war der schleichende klinische Verlauf nicht typisch. Zudem zeigte die MRT-Untersuchung keine dafür typische Myokard-Entzündung oder Fibrose.
Eine Herzinsuffizienz aufgrund von Stoffwechselstörungen infolge einer chronischen Niereninsuffizienz wurde ebenfalls als mögliche Differenzialdiagnose in Betracht gezogen.
Eine tachykardiebedingte Kardiomyopathie wurde ausgeschlossen, da es während der gesamten Aufnahme keine Herzrhythmusstörungen gab.
Erstbehandlung: Furosemid, Antibiotika, Heparin
Wie hatten die Ärztinnen und Ärzte den Patienten medikamentös behandelt? Zunächst bestand die medizinische Erstbehandlung wegen Verdacht auf ambulant erworbene Lungenentzündung aus intravenösem Furosemid und Antibiotika. Der Patient wurde mit unfraktioniertem Heparin antikoaguliert und später wegen Heparin-induzierter Thrombozytopenie auf Argatroban und dann auf Warfarin umgestellt.
Entlassung: NYHA-Klasse I, Medikamente, Niere geschädigt
Nach Stabilisierung wurde der Patient mit folgenden Medikamenten entlassen:
- Warfarin 1 × täglich
- Carvedilol 3,125 mg 2 × täglich
- Furosemid 20 mg 1 × täglich
- Isosorbiddinitrat 20 mg 2 × täglich
- Hydralazin 25 mg 3 × täglich
- Lansoprazol
- orale Nahrungsergänzungsmittel
Wegen der fortbestehenden schweren Nierenfunktionsstörung waren ACE-Hemmer und Mineralokortikoidrezeptor-Antagonist kontraindiziert.
Nach der Entlassung nahm die Belastungstoleranz bei dem Patienten beträchtlich zu, ohne Symptome einer Herzinsuffizienz oder Herzklopfen (NYHA-Klasse I). Er blieb euvolämisch und hämodynamisch stabil.
Die Nierenfunktion blieb stark beeinträchtigt. Carvedilol wurde während der Nachbeobachtungszeit auf 6,25 mg 2 × täglich hochtitriert.
Vage Prognose zu Genesung und Rückfallrisiko
Die schlechte Nierenfunktion verhinderte den Einsatz der bestmöglichen Versorgung bei Herzinsuffizienz. Dennoch besserte und erholte sich die Herzkammerfunktion des Patienten weiter – vermutlich dank Verzicht auf Energydrinks.
Die Autorinnen und Autoren des Falls betonen, es sei dennoch schwierig, den klinischen Verlauf der Genesung oder das Risiko eines Rückfalls vorherzusagen. Es sei wahrscheinlich, dass der Patient irgendwann u. a. eine Nierentransplantation benötige.
Koffein wirkt u. a. auf zentrale Katecholamin-Freisetzung
Der zugrunde liegende Mechanismus der Energydrink-induzierten Herzinsuffizienz ist nicht vollständig geklärt. Das hoch konzentrierte Koffein in Energydrinks hat positive chronotrope und inotrope Eigenschaften, vor allem durch seine Wirkung als kompetitiver Antagonist von myokardialen Adenosin-Rezeptoren und auf die Katecholamin-Freisetzung.
Die Stresskardiomyopathie wird mit Erkrankungen wie Phäochromozytomen und Subarachnoidalblutungen in Verbindung gebracht, die zu einem Anstieg der Katecholamine führen. Eine chronische sympathische Überstimulation durch exogenen Koffeinkonsum kann ebenfalls eine Stresskardiomyopathie auslösen.
Es ist auch bekannt, dass Energydrinks den Blutdruck erhöhen und eine Reihe von Arrhythmien wie Vorhofflimmern sowie supraventrikuläre und ventrikuläre Ektopien auslösen können. Im schlimmsten Fall kann es zu Herzversagen kommen.
Fazit: Gründliche Anamnese zu bestimmten Ursachen
Dieser Fall verdeutlicht, wie wichtig es ist, bei Patientinnen und Patienten mit Kardiomyopathie unklarer Ätiologie sorgfältig nach einer bestimmten Ursache zu suchen. Dies schließt eine gründliche Anamnese auch zum Konsum von Energydrinks ein.
Künftige Studien sind notwendig, um herauszufinden, welche Faktoren für schweres Herzversagen oder Herzrhythmusstörungen nach Energydrinks prädisponieren. So könnten dann Risikogruppen identifiziert und entsprechend aufgeklärt werden.