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Der besondere Fall

08. Nov. 2023

Vorsicht mit Ayurveda-Pillen: Zum Teil erhebliche Schwermetallbelastung

Eine 39-jährige Patientin stellte sich immer wieder mit Bauchschmerzen, Verstopfung, Fatigue, Übelkeit und Erbrechen in der Notaufnahme vor. Bis auf eine Anämie ließ sich zunächst keine richtige Ursache finden. Bis die Patientin den entscheidenden Hinweis gab.1

Lesedauer: ca. 3 Minuten

Vorsicht mit Ayurveda-Pillen: Zum Teil erhebliche Schwermetallbelastung
„Nehmen Sie Nahrungsergänzungsmittel?“ Traditionelle und pflanzliche Arzneimittel sollten als mögliche Quelle einer Bleivergiftung mitbedacht werden. (Foto: Dreamstime.com | Marek Uliasz)

Autorin: Maria Weiß | Redaktion: Nathalie Haidlauf

Innerhalb weniger Wochen stellte sich die Patientin mehrmals mit denselben Beschwerden vor. Bei ihrem dritten Besuch in der Notaufnahme wurde ein Hb-Wert von 67 g/l (Normalwert 115-155 g/l) bei unauffälligen Vitalzeichen gemessen. Im Blutbild zeigte sich eine basophile Tüpfelung sowie eine leichte Mikrozytose und Hypochromasie ohne Anzeichen einer Hämolyse. Die Spiegel von Elektrolyten, Calcium, Magnesium, Phosphat, Vitamin B12, TSH und Leberenzymen waren im Normbereich.

Endoskopische Untersuchungen von Magen und Darm zeigten keine Blutungsursache, die Knochenmarksbiopsie ergab bis auf eine erhöhte Eisenspeicherung keinen Befund, der die Anämie erklären konnte. Eindeutige Endometrioseherde waren bei einer diagnostischen Laparoskopie nicht erkennbar. Anamnestisch waren eine gut eingestellte Hypothyreose und eine Infertilität bekannt, die mit Follitropin-alfa-Injektionen behandelt wurde. Zusätzlich nahm die Patientin Folsäure. Sie arbeitete im Büro und lebte in einer Eigentumswohnung. Sie trank keinen Alkohol, rauchte nicht und die Familienanamnese war unauffällig.

Ärztlich wurde zuerst zuerst eine Anämie unbekannter Ursache diagnostiziert, bei Verdacht auf eine milde Endometriose. Nach einer Bluttransfusion ging es der Patientin erst einmal besser – Fatigue, Kurzatmigkeit, Kopfschmerzen und Tinnitus kehrten aber bald zurück.

Deutlich erhöhter Bleispiegel unter Ayurveda-Medikamenten

Zur weiteren Abklärung wurden Julian Gitelman von der University of Toronto Dalla Lana School of Public Health und sein Team hinzugezogen. Auf genauere Nachfrage gab die Patientin jetzt an, sei einem Jahr ayurvedische Medikamente zu Behandlung ihrer Infertilität eingenommen zu haben. Der daraufhin bestimmte Bleispiegel im Blut war mit 55 µg/dl deutlich erhöht (normal < 2 µg/dl). Andere mögliche Quellen einer Bleivergiftung waren nicht erkennbar.

Tatsächlich ergab die Untersuchung der von der Patientin angewandten Ayurveda-Produkte dann tatsächlich einen z.T. stark erhöhten Bleigehalt. Nach Absetzen der Medikamente und einer 6-monatigen Chelat-Therapie war der HB-Wert deutlich angestiegen und der Frau ging es besser.

Bei Abdominalschmerzen in Verbindung mit mikrozytärer Anämie (vor allem bei basophiler Tüpfelung) sollte immer auch die Bleikonzentration im Blut bestimmt, werden, schreibt das Autoren-Team.

Das gleiche gilt für die Kombination von Abdominalschmerzen, Kopfschmerzen, Fatigue und neu aufgetretenen oder verstärkten kognitiven Einschränkungen. Haaranalyse und Urinproben sind nicht zuverlässig genug.

  • Bei nicht beruflich bedingter Bleivergiftung gehören auch traditionelle und pflanzliche Arzneimittel zu möglichen Vergiftungsquellen.

Eine Untersuchung von online bestellten Ayurveda-Pillen ergab bei 21 % einen erhöhten Gehalt an Blei, Quecksilber oder Arsen.2 Auch das Bundesministerium für Verbraucherschutz und Lebensmittel weist in einer Stellungnahme zur Einstufung von Produkten der ayurvedischen Tradition auf teilweise erhöhte Bleigehalte hin.3

Chelat-Therapie nur nach Beendigung der Exposition

Bei der Therapie der Bleivergiftung mit Chelaten ist es sehr wichtig, dass die Quelle gefunden und die Bleiexposition beendet wird, betonen die Autoren. Bei fortgesetzter Exposition ist die Chelat-Gabe kontraindiziert. Eine Chelat-Therapie ist bei symptomatischen Patienten normalerweise ab einem Schwellenwert von 70-100 μg/dL indiziert, bei Kindern und Schwangeren schon früher.

Die Entscheidung sollte aber immer individuell unter Hinzuziehung von Expertinnen bzw. Experten getroffenen werden. Bei längerer Exposition kann ein Teil des Bleis im Knochen gelagert sein und dann nach Beendigung der nur im Blut wirkenden Chelat-Therapie wieder freigesetzt werden.

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