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Der besondere Fall

16. Feb. 2023

Arzt rettet Familie aus reißendem Fluss

Notfälle können sich überall und jederzeit ereignen, und manchmal finden sich Ärztinnen und Ärzte in Situationen wieder, in denen sie die Einzigen sind, die helfen können. So auch in dem hier geschilderten Fall.

Lesedauer: ca. 5 Minuten

Reißender Fluss
Ein Arzt rettet eine ertrinkende Familie aus einem gefährlichen Fluss. (Foto: Dreamstime.com | Tusharkoley)

Dr. Daniel Cassavar, Kardiologe bei ProMedica in Perrysburg, Ohio, gegenüber Sarah Yahr Tucker | Übersetzung und Redaktion: Dr. Linda Fischer

Dr. Daniel Cassavar lebt am Maumee River in Ohio, etwa 50 Meter vom Wasser entfernt. An dem Tag, an dem sich der Fall ereignete, hatte er früh Feierabend und begab sich nach Hause, um mit seiner Frau zu Mittag zu essen. Anschließend ging er zu seiner Scheune auf der anderen Seite der Hauptstraße, um dort herumzubasteln. Es war ein schöner Tag, seine Frau hatte einige Fenster im Haus geöffnet, als sie plötzlich Schreie vom Fluss her vernahm.

Vater mit 3 Jungen in Not

Sie rannte hinunter zum Flussufer und sah einen Vater und 3 Jungen, die im Wasser in Not geraten waren. Sie rief ihren Mann an: „Sie ertrinken!“ Cassavar sprang in seinen Wagen und fuhr die Einfahrt hinauf, durch den Garten und direkt zum Fluss hinunter.

Seine Frau wählte unterdessen den Notruf. Im Wasser hatte der Vater 2 der Jungen um seinen Hals geklammert. Sie tauchten unter, kamen hoch und tauchten wieder unter. Der dritte Junge trieb in der Nähe regungslos auf dem Wasser, mit dem Gesicht nach unten.

Cassavar zog sich Schuhe und Oberteil aus und ging zum Wasser. Obwohl seine Frau ihn warnte, nicht ins Wasser zu gehen, war ihm klar, dass er nicht einfach nur dort stehen und zusehen konnte. Er war ein guter Schwimmer und trainiert bis heute regelmäßig. Er musste also helfen. Und so ging er ins Wasser und schwamm los.

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Im tiefen Wasser gerät man schnell in Panik. Wegen der Stromschnellen kann man kaum etwas hören, und instinktiv schwimmt man in die Richtung zurück, aus der man gekommen ist, also gegen die Strömung. Ist man kein sehr starker Schwimmer, verliert man nur Zeit, indem man auf der Stelle schwimmt.

Daniel Cassavar

Junge ohne Puls

Der erwachsene Mann in Not befand sich an einer vergleichsweise tiefen Stelle des Flusses. Was er und die Kinder nicht sahen und schlicht nicht wussten: Etwa 20 Meter flussaufwärts von dieser tiefen Stelle entfernt befindet sich eine kleine Insel.

Als Cassavar bei ihnen ankam, rief er dem Mann zu, er solle sich rückwärts auf die Insel zubewegen. Dann wandte er sich dem reglosen Jungen zu. Er war der älteste der drei Kinder, etwa 10 oder 11 Jahre alt. Als Cassavar ihn erreichte und ihn umdrehte, war der Junge blau angelaufen und atmete nicht. Der Kardiologe legte seine Finger auf den Hals des Jungen und fühlte keinen Puls.

Herzdruckmassage noch im Wasser

Cassavar versuchte sich über Wasser zu halten und hielt dabei den Jungen fest. Er legte einen Arm hinter seinen Rücken und begann mit der Herzdruckmassage. Nach einigen Kompressionen, die keinen Effekt zeigten, gab er dem Jungen 2 tiefe Atemzüge und fuhr mit der Herzdruckmassage fort. Kurz darauf hustete der Junge eine große Menge Wasser aus und begann zu atmen.

Der Vater und die beiden anderen Jungen hatten es mittlerweile bis zur Insel geschafft. Also begann Cassavar, sich mit dem Jungen ebenfalls dorthin zu bewegen. Es dauerte einige Minuten, bis der Junge das Bewusstsein vollständig wiedererlangte. Natürlich war sich dieser nicht darüber bewusst, was geschehen war und fing an zu schreien, da er von einem fremden Mann festgehalten wurde.

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Aber er atmete – das war alles, was zählte.

Daniel Cassavar

In der Zwischenzeit hatte ein Nachbar ein Stück flussabwärts ein Kanu zu Wasser gelassen. Der pensionierte Herr war ein körperlich fitter Mann und begann, gegen den Strom in Cassavars Richtung zu paddeln. Zusammen luden der Nachbar und der Kardiologe die Kinder mit ihrem Vater in das Kanu und paddelten an Land.

Hubschraubereinsatz und Krankenwagen

„Das alles dauerte 10 bis 15 Minuten, dann waren die Sanitäter schon da“, erinnert sich Cassavar. Ein Hubschrauber war geschickt worden, mit dem der zuvor beatmete Junge in ein Krankenhaus geflogen wurde. Die anderen 2 Jungen und der Vater wurden mit dem Krankenwagen abtransportiert.

Da Cassavar die Ärztinnen und Ärzte in der Notaufnahme kannte, bekam er später mit der Erlaubnis der Familie die Auskunft, dass es dem geretteten Mann und den 3 Jungen gut gehe. Die Lungen der Jungen waren geröntgt, und der Vater und 2 der Jungen noch am selben Tag entlassen worden. Der wiederbelebte Junge blieb über Nacht zur Beobachtung und konnte am nächsten Morgen ebenfalls entlassen werden.

Einige Tage später erfuhr Cassavar von dem Kinderarzt der Jungen, der ebenfalls die Erlaubnis hatte, ihn zu informieren, dass die Jungen abgesehen von einem mentalen Trauma unversehrt waren.

Gefährlicher Angelausflug

Zum Dank brachte die Familie dem Lebensretter am darauffolgenden Wochenende Blumen, Süßigkeiten und eine von den Kindern bemalte Karte. Cassavar erfuhr, dass der Vater die Jungen am Tag des gefährlichen Ereignisses zum Angeln mitgenommen hatte. Sie hatten im knietiefen Wasser gespielt, bis einer der Jungen weiter weg getollt und den Grund unter den Füßen verloren hatte. Natürlich war der Vater sofort zur Rettung hinterhergesprungen – gefolgt von den 2 anderen Jungen.

Arzt nahm für die Rettung hohes Risiko auf sich

Cassavar erzählt, er habe das große Glück, jeden Tag zu trainieren, schwimmen zu können und zu wissen, wie Wiederbelebungsmaßnahmen durchgeführt werden. Zudem schwamm der älteste Junge an der Wasseroberfläche, als der Kardiologe zur Rettung ansetzte – andernfalls hätte er den Jungen nicht gefunden. Der Maumee River sei nämlich bekannt als der „schlammige Maumee“: Unter Wasser könne man nichts sehen.

Je nach Jahreszeit könne der Fluss fast ausgetrocknet sein oder mit starker Strömung über die Ufer treten. Wäre das der Fall gewesen, hätte Cassavar niemals daran gedacht, dort hineinzugehen.

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Ich bin ein Risiko eingegangen. Es hätte genauso gut passieren können, dass der Vater und die 2 Kinder sich auf mich gestürzt und sich an mich geklammert hätten. Dann wären wir alle in Schwierigkeiten gewesen. Aber ich konnte nicht einfach dastehen und zusehen.

Daniel Cassavar

Cassavar schätzt, dass der Umstand, selbst Vater zu sein und Enkelkinder zu haben, sein Handeln in dieser Situation beeinflusst hat. „Arzt hin oder her, ich hatte das Gefühl, einigermaßen gut in Form zu sein, und helfen zu können.“

Zwar rette der Kardiologe täglich im Krankenhaus im Rahmen seiner Arbeit Leben, zu Hause rede er aber kaum darüber. Die sich nun ereignete Situation am Fluss sei aber etwas ganz anderes, so Cassavar. Wenn man in der Lage sei, jemandem in einer solchen Situation das Leben zu retten, sei das sehr befriedigend. Es sei ein großartiges Gefühl.

Dieser Beitrag ist im Original auf Medscape.com erschienen.

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